Die Philosophie als Verbindungsoffizierin?

Fragen zur Gegenwartsphilosophie an den Chefredakteur des Philosophie-Magazins, Wolfram Eilenberger

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Eigentlich müssten nach der Finanzkrise auf allen Kanälen, in allen Feuilletons und Wirtschaftsteilen philosophische Debatten um den richtigen Weg unserer Gesellschaft ausbrechen. Eigentlich. Wenigstens fünf Philosophiezeitschriften, Agora 42, Hohe Luft, Information Philosophie, Der Blaue Reiter und Philosophie Magazin ringen im deutschsprachigen Raum um Leser. Der Stern hat mit Richard David Precht einen eigenen Hausphilosophen, der demnächst das Philosophische Quartett übernehmen soll. Warum gibt es dennoch keinerlei öffentliche Debatten um die Philosophie? Wo ist der neue Karl Marx? Nietzsche?

Eines der fünf Philosophenjournale ist der Ableger des französischen philomag, das Philosophie-Magazin. Eine Hamburger PR-Agentur hat mir die letzten vier Ausgaben gesendet.

"Also bloß keine Experimente", spottete selbst die betuliche ZEIT über die Erstausgabe. Der fehlende Mut zum Neuen, so Autor Maximilian Probst, sei Ausdruck der Angst, mit Philosophie am Kiosk abgelehnt zu werden. Auch in der vierten Ausgabe lassen philosophische Oberstufenpädagogik und ermüdende Statements überwiegend untalentierter Redner und Schreiber mit Doktor- und Professorentitel keine intellektuelle Spannung aufkommen. Die Philosophen schweigen wie die Gräber.

Meine Idee war deshalb, keine Rezension der Zeitschrift zu schreiben, sondern ein hoffentlich lebendig-kontroverses Gespräch mit dem Chefredakteur Wolfram Eilenberger zu führen. Dieser erhielt für sein Buch "Philosophie für alle, die noch etwas vorhaben" 2011 den Mindelheimer Philosophiepreis und machte sich auch einen Namen mit populären Büchern über Fußball und die Ehe mit Finninnen - eigentlich ideale Voraussetzungen für ein Gespräch.

Zu meiner Überraschung lehnte Eilenberger dieses Ansinnen vehement ab und schlug vor, dass ich ihm die Fragen senden und er dann antworten würde. Dieser Einladung zum Dialog konnte ich nicht widerstehen.

Nur zwischen den Zeilen kann man nun etwas über Eilenbergers Philosophiebild erfahren, das manchen vielleicht an sein Philosophiestudium erinnert: Da sollen etwa durch "begriffliche Klarheit" , "begangene Fehler" und "Denkfehler" vermieden werden. Fehler in der Philosophie, einer nicht exakten Wissenschaft? Das wäre eigentlich ein toller Ansatz für eine Debatte gewesen! Aber, wie Eilenbeger im Interview selbst einräumt, eignet sich Philosophie nicht als Debatte. Sie funktioniert nämlich seit eh und je als One-Way-Communication, als Impfung der Schüler, Studenten und des Publikums mit angeblich erkenntnisfördernden Logopharmaka.

Eilenberger bemüht gar den US-Pädagogen und Re-Education Papst John Dewey mit der Charakterisierung der Philosophie als "Verbindungsoffizierin" zwischen unverstandenen Begrifflichkeiten. Glaubt man der US Navy, liegt deren Hauptaufgabe in der Vermeidung von collateral damage, die durch die fehlende Koordinierung militärischer Einheiten entstehen könnte. So sollen Luftschläge besser koordiniert, der Nachschub effizienter organisiert und die Feldkommunikation verbessert werden. Aber nicht nur im Feld, sondern auch an der Heimatfront ist der Liaison Officer ein begehrter Posten.

Wenn Eilenberger mit dieser Darstellung tatsächlich den Kern der Philosophie getroffen hat, dann sind wir Philosophiefreunde auf dem Holzweg. Denn wo wir glauben, offene Fragen, Selbst- und Sinnfindung, Werte, Diskussion und Kontroverse hineindelirieren zu können, geht es eigentlich nur um Koordinierungsmaßnahmen zur Erreichung begrifflicher Klarheit.

Aufgrund unserer naiven Fehleinschätzung haben wir es auch verdient, dauerhaft nicht in der akademischen Philosophie wirken und nicht in den Philosophiezeitschriften debattieren zu dürfen. Im Philosophenmonopoly dürfen wir also nicht über Los gehen und auch keine 4000 Euro einstreichen.

Im folgenden Interview erhalten wir jetzt die einzigartige Chance, unsere Denkfehler zu korrigieren und endlich von der Chausseestraße in die Parkallee umzuziehen.

Wolfram Eilenberger. Foto: www.mchurek.de

Was macht heute einen guten Gegenwartsphilosophen aus?

Wolfram Eilenberger: Begriffliche Klarheit, breites Spektrum, eigenständige Fragen. Und ein bisschen weh tun muss es auch.

Warum gibt es um die Philosophie keine öffentlichen Debatten wie etwa um das Grass-Gedicht, Breivik, Sarrazin oder Wulff?

Wolfram Eilenberger: Ich glaube, das liegt daran, dass "die Philosophie" sich als Thema für eine Debatte nicht so gut eignet. Öffentliche philosophische Debatten gibt es ja medial durchaus, ein Beispiel wäre das Thema "Willensfreiheit".

Würde das Philosophie-Magazin über Berufsverbote in der deutschen akademischen Philosophie berichten?

Wolfram Eilenberger: Wir schließen kein Thema a priori aus. Grundsätzlich aber sind wir als Magazin in Themenauswahl und -entwicklung weniger an rein innerakademischen Streitigkeiten und Grabenkämpfen interessiert - es gibt sie zweifellos.

Warum werden Geister wie Peter Sloterdijk, Norbert Bolz, Wilhelm Schmid, Gerd B. Achenbach, Richard David Precht und Michael Schmidt-Salomon nicht als Professoren in die Philosophie berufen? Bräuchte man dort nicht exponierte Redner, Lehrer und Denker?

Wolfram Eilenberger: Gegenfrage: Warum diese Fixierung auf philosophische Lehrstühle? Produktives Philosophieren stand von Beginn an in einem sehr gespannten Verhältnis zu institutionalisierteren Formen. Weder Spinoza noch Hume, weder Nietzsche oder Wittgenstein suchten in ihrem Denken die Nähe der Universitäten. Die Idee, eine Professur sei das Ziel eines jeden Philosophendaseins, ist - innerhalb der Zunft - derzeit vielleicht der Denkfehler an sich. Und manche der von Ihnen genannten Kollegen scheitern ja einfach an formalen Voraussetzungen, beispielsweise, weil sie nicht Philosophie studiert haben bzw. nicht in diesem Fach promoviert wurden.

Die Philosophie empfand sich immer als übergreifende Leitwissenschaft - wer bedarf heute zum selbständigen Gebrauch seines Verstandes noch derartiger Leitung?

Wolfram Eilenberger: Die Selbststilisierung der Philosophie als Leitwissenschaft hat mich nie überzeugt. John Dewey spricht von der Philosophie als einer "Verbindungsoffizierin", die zwischen füreinander taub gewordene Begrifflichkeiten neue, erkenntnisfördernde Verbindungen schafft. Meinem Empfinden nach das plausiblere Bild. Diese Fähigkeit benötigt unsere plural gewordene und sich stark ausdifferenzierende Gesellschaft besonders dringend.

Streng genommen ist doch die Interpretation von Texten und deren Einflüssen Literaturwissenschaft. Was unterscheidet die Philosophie von theologischer Exegese?

Wolfram Eilenberger: Zunächst natürlich die Bezugstexte. Interpretation ist in der Philosophie ja immer von spezifischen systematischen Interessen geleitet - es gibt kein ungeleitetes Verstehen. Versuchen, ohne eine aktive und intensive Auseinandersetzung mit der Tradition systematisch zu philosophieren, stehe ich skeptisch gegenüber. Die Gefahr, bereits begangene Fehler noch einmal zu wiederholen, ist dann sehr hoch.

Welche lebenden Philosophen und welche Werke empfehlen Sie unseren Lesern?

Wolfram Eilenberger: Besonders empfehlen möchte ich das in Deutschland bisher kaum beachtete Werk des amerikanischen Philosophen Stanley Cavell. Ein guter Beginn ist das im unlängst im Chronos Verlag erschienene "Cities of Words".

Ihr Lieblingszitat?

Wolfram Eilenberger: The mass of men lead lives of quiet desperation. Henry Thoreau

(Die Mehrheit der Menschen führt ein Leben in stiller Verzweiflung.)

Schlussbemerkung: Pink Floyd konnte diese Aussage zumindest geographisch eingrenzen: "Hanging on in quiet desperation is the English way".