Gute Zeiten für angehende Auszubildende?

"Der Kampf um die wenigen qualifizierten Schüler ist längst entbrannt"

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Die Bundesregierung stellt ihren Berufsbildungsbericht 2012 vor. Zum vierten Mal in Folge gibt es mehr unbesetzte Ausbildungsplätze als unversorgte Bewerber. Nicht ganz unbegründet zieht der Bericht daher eine positive Bilanz. Trotzdem bleiben auf Seiten von Gewerkschaften und Arbeitgeber einige Probleme bei der beruflichen Ausbildung junger Menschen weiter bestehen.

Wer dieser Tage die Schule verlässt, kann sich wahrlich freuen. Angesichts der demografischen Entwicklung der vergangenen Jahre suchen Handwerksbetriebe und Industrie händeringend nach Nachwuchs. Der kürzlich von der Bundesregierung herausgegebene Berufsbildungsbericht 2012 zeigt, dass sich der positive Trend der vergangenen Jahre auch für das Ausbildungsjahr 2010/11 weiter fortgesetzt hat.

Zum vierten Mal in Folge gab es mehr unbesetzte Ausbildungsplätze, als unversorgte Bewerber. Im angegebenen Ausbildungsjahr wurden 570.140 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen, was einer Steigerung von 1,8 Prozent zum Vorjahr entspricht. Auch die Zahl der Jugendlichen, die eine alternative Ausbildung begonnen haben, wie beispielsweise ein Praktikum oder ein Berufsvorbereitendes Jahr, ist zurückgegangen. Wurden 2010 noch 72.342 Jugendliche in einer sogenannten Ausbildungsschleife geparkt, sank die Zahl 2011 auf 65.190 Jugendliche.

Als eine zentrale Herausforderung wird daher in dem Bericht die Fachkräftesicherung genannt. Bundesbildungsministerin Annette Schavan sagte: "Wir müssen alle Potenziale nützen, um den Fachkräftebedarf zu sichern. Das sind wir auch den jungen Menschen schuldig. Eine gute Ausbildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit und eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe."

Defektes Bildungssystem

Für die Arbeitgeber ist die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt daher nicht nur positiv. Leiden sie doch unter der vermehrten Konkurrenz um die geeigneten Bewerber. Darüber hinaus beklagt sich ein großer Teil der Arbeitgeber zusätzlich über die oft unzureichende Ausbildungsreife der Bewerber. Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, sagte:

Die immer noch viel zu hohe Zahl an Schulabgängern ohne Abschluss und Schülern mit Kompetenzdefiziten in Lesen, Schreiben und Rechnen kommt erschwerend hinzu.

Auch der Verband Wirtschaftsjunioren Deutschland (WJD) spart nicht mit Kritik an der Situation. So sagte Eva Fischer, die Bundesvorsitzende des WJD:

Junge Unternehmer würden gern ausbilden, aber die Schüler haben oft keine Vorstellung von Arbeit." Ein Großteil der deutschen Schüler sei nicht ausbildungsreif, was für die Unternehmen allerdings nichts Neues sei: Der Kampf um die wenigen qualifizierten Schüler ist längst entbrannt.

Die Unternehmen müssten daher mehr und mehr die Aufgabe von Lehrern und Eltern übernehmen, da die Schüler nach ihrem Schulabschluss, weder richtig lesen, schreiben oder rechnen könnten. Die Unternehmen, so Fischer, würden zunehmens zu den "Verlierern des defekten Bildungssystems."

Fehlender Blick auf die "Ausbildungsreife der Betriebe"

Auch die Gewerkschaften sehen die Ergebnisse des Berichtes deutlich weniger positiv, als die Bundesregierung. In einer DGB -Expertise zu den Schwierigkeiten der Betriebe bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen, sagten die Autoren Matthias Anbuhl und Thomas Gießler, dass es erhebliche Ungleichgewichte auf dem Ausbildungsmarkt gäbe.

Während einige Berufe sehr gefragt seien, gäbe es insbesondere bei den Berufen Restaurantfachmann, Fachmann für Systemgastronomie, Klempner, Fachmann für Lebensmittelhandwerk, Fleischer und Gebäudereiniger erhebliche Schwierigkeiten, entsprechende Bewerber zu finden.

Wenn es in diesen Berufen schon seit Jahren wachsende Besetzungsprobleme gibt, ist das ein wichtiges Indiz für eine schwindende Attraktivität dieser Ausbildungsberufe. Das Bundesinstitut für Berufsbildung kam bereits 2009 zu dem Schluss, dass nur Betriebe, die im Ruf stehen, eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu bieten, sich im Wettbewerb um Jugendliche behaupten können.

Während die Spitzenverbände der Wirtschaft vielfach eine "mangelnde Ausbildungsreife" der Jugendlichen beklagten, fehle in der öffentlichen Debatte ein systematischer Blick auf die "Ausbildungsreife der Betriebe." Ein Blick auf die Misserfolgsquote bei den Abschlüssen der Auszubildenden sei daher durchaus sinnvoll.

Es sei augenfällig, dass bei nahezu allen Ausbildungsberufen mit einem hohen Anteil unbesetzter Plätze, auch die Quote der nicht erfolgreich bestandenen Abschlussprüfungen deutlich über dem Durchschnitt läge. Bei Köchen oder Gebäudereinigern läge die Misserfolgsquote um mehr als das Doppelte höher als beim Durchschnitt aller Berufsabschlüsse.

Verbesserung der Ausbildungsbedingungen nötig

Die Kritik der Gewerkschaften ist dabei sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Denn insbesondere auf wettbewerbsintensiven Märkten gilt bekanntermaßen die Regel, wird eine Ware knapp, erhöht sich der Preis dafür. Wenn die Unternehmen also auch in der Zukunft ihre Ausbildungsplätze mit den angeblich wenigen verbliebenen "ausbildungsreifen" Jugendlichen besetzten möchten, kann eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen sicherlich nicht schaden.

An erster Stelle stünde dabei wohl eine entsprechende Erhöhung der Ausbildungsvergütung. Wer diesen Weg nicht gehen möchte, wird sich für seine Auszubildenden etwas anderes einfallen lassen müssen. Möglicherweise kann die Schaffung zusätzlicher innerbetrieblicher Ausbildungsmaßnahmen den Defiziten in der Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz der "nichtausbildungsreifen" Jugendlichen entgegenwirken.

Ohne solche Maßnahmen indes hört sich die Kritik der Arbeitgeber bisweilen eher nach dem griechischen Philosophen Sokrates (470 - 399 v. Chr.) an. Denn bereits er stellte eine deutliche "Nichtausbildungsreife" der antiken griechischen Jugend fest. So sagte er: "Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Speisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer."