Gedanken zu einem Privileg

Stellt das derzeitige Urheberrecht einen fairen Ausgleich der Interessen von Gesellschaft, Urhebern und Verlegern sicher?

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Urheberrechtsschutz ist ein Privileg, das die Gesellschaft Autoren (Schriftstellern, Wissenschaftlern, Komponisten u.a.) und Künstlern (Musikern, bildenden Künstlern u.a.) einräumt. Die Begründung dieser Privilegien aus einem Naturrecht an "geistigem Eigentum" ist ideologischer Überbau. Begriffe wie "geistiges Eigentum" oder "geistiger Diebstahl" stellen eine unzulässige Analogie zum Eigentumsbegriff des Sachgüterrechts dar und dienen zur Manipulation durch die Sprache. Die Autorenprivilegien lassen sich aufgrund ihrer Nützlichkeit verteidigen. Dann kann die Gesellschaft aber auch billigerweise eine Gegenleistung von den Autoren erwarten.

Mit dem plötzlichen Auftauchen der Piratenbewegung und ihren unerwarteten schnellen politischen Erfolgen wird offenbar auch um eines ihrer Kernthemen, das Urheberrecht, heftiger gestritten. Das Maß der Heftigkeit einer Diskussion ist aber nicht immer auch ein Maß für die Qualität ihrer Argumente. Zunächst haben die Piraten nur darauf reagiert, dass die Unterhaltungsindustrie zur Durchsetzung ihrer Ansprüche die Politik dazu bewegen will, Grundrechte einzuschränken. So wird z. B. durch die bereits praktizierte Herausgabe von personenbezogenen Daten (Verbindungsdaten) an die Industrie, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Zukünftig sollen nach Ansicht der Industrielobby Internetseiten, auf denen angeblich gegen das Urheberrecht verstoßen wird, gesperrt werden.

In Frankreich kann bereits heute einem Internetnutzer nach drei Verstößen (Three-Strikes-Verfahren) gegen das Urheberrecht der Zugang zum Internet gesperrt werden (Verstoß gegen das Recht auf Informationsfreiheit).1 Die Sperre erfolgt in einem Kurzverfahren ohne Anhörung des Beschuldigten. Der sogenannte Gallo-Bericht, der im Europaparlament mit der Mehrheit der konservativen Abgeordneten angenommen wurde, schlägt vor, diese Verfahren in ganz Europa zu übernehmen. Schließlich sollen, nach Vorstellung der Unterhaltungsindustrie, die Provider zukünftig den Internetverkehr ihrer Nutzer kontrollieren. Das ist so, als würde man die Post dazu verpflichten, alle Briefe zu öffnen, um zu kontrollieren, ob dort eine nicht autorisierte Kopie verschickt wird. Und all dies wird in Hinterzimmern zwischen Lobbyisten und Eurokraten ausgeklüngelt und in Richtlinienentwürfe umgesetzt. Darauf aufmerksam gemacht zu haben, ist ein Verdienst der neuen Partei. Vielleicht sollte man aber unabhängig von dieser aktuellen Diskussion das Thema Urheberrecht grundsätzlicher betrachten.

Ein Schutz geistiger Leistungen wäre in alten Gesellschaften auf Unverständnis gestoßen

Das Urheberrecht für Texte, Musik, Bilder und Filme ist eine Einrichtung der Neuzeit. Einem Thomas von Aquin, einem Ockham oder einem Roger Bacon wäre es nicht im Traum eingefallen, Abmahnungen zu verschicken, wenn irgendwo in Europa ihre Texte kopiert wurden. Das war nämlich ganz selbstverständlich und auch erwünscht. Auch Bilder großer Künstler wurden routinemäßig kopiert. Musikstücke konnten aufgeführt, die Partitur aber geheim gehalten werde, was auch gut funktionierte, solange nicht ein Mozart im Publikum saß.2

Natürlich, man hätte die Texte auch in der Schublade lassen, die Bilder im Atelier verstecken können. Das machte aber wenig Sinn, denn man wollte ja gerade kommunizieren. Und man wollte kommunizieren, um sein Thema, sei es die Religion, die Philosophie, die Kunst oder die Wissenschaft im Austausch mit anderen weiterzuentwickeln. Außerdem war in dieser Zeit den Kulturschaffenden noch klar, dass sie alle nur "Zwerge auf den Schultern von Riesen" waren, die "mehr und Entfernteres als diese sehen ... - freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die Größe der Riesen (sie) emporhebt."3 Man war also bescheiden. Jeder Kulturschaffende fügte nur einen kleinen Teil Eigenes, Neues dem zu, was die Kulturgemeinschaft ihm vorab gegeben hatte.

Die Erfindung der Buchdruckerkunst förderte den freien Austausch neuer Ideen. Die meisten Bücher waren zunächst noch in Latein geschrieben und richteten sich an eine kleine Zahl von Fachgenossen. Es gab zu Anfang keine größere kaufkräftige Lesergemeinde, das heißt, es gab noch kein Geschäft. Als sich das später änderte, wollte der Drucker, der ein Werk als erster herausbrachte, verständlicherweise nicht, dass andere Drucker von seiner Vorarbeit profitierten. Er lief also zum Landesherrn und ließe sich ein Sonderrecht, Privileg genannt, einräumen, das den Konkurrenten den Nachdruck verbot. Bekannt ist der Ärger, den Martin Luther mit den Raubdruckern hatte. Dabei ging es ihm aber weniger um entgangene eigene Einnahmen, auch wenn er sich über den "Geitz, das die geitzigen Wenste vnd reubische Nachdrücker mit vnser Erbeit vntrewlich vmbgehen" beklagte. Ihn störte mehr, dass die Nachdrucke meist von schlechter Qualität waren.

Vnd ist mir offt widerfaren / das ich der Nachdrücker druck gelesen / also verfelschet gefunden / das ich meine eigen Erbeit / an vielen Orten nicht gekennet / auffs newe habe müssen bessern.

Der sächsische Kurfürst Johann Friedrich erließ denn auch ein Privileg, das drei Wittenberger Druckern /Buchhändlern Schutz vor Nachdrucken der Luthertexte gewährte.4

Dass man an einer geistigen Leistung, an einer Idee als Urheber Eigentum hätte, wie an einem Sack Kartoffeln, dass man mit ihr handeln könne und anderen ihre Nutzung verbieten könne, diese Vorstellung wäre für einen Menschen des Mittelalters noch völlig abwegig gewesen. Ideen waren etwas vom Menschen unabhängig Existierendes. Es gab also keine Erfinder, sondern lediglich Wiederfinder, Menschen, die sich an Ideen erinnerten (Platon), oder denen sie durch göttliche Eingebung gegeben wurden (Augustinus). Mit welchen Argumenten hätte Luther den Nachdruck seiner Bibel verbieten wollen? Als Urheber hätte er sich ja wohl kaum ausgeben wollen. So klagt er einfach, dass er so viel Arbeit mit seiner Bibelübersetzung hatte, und sich die Raubdrucker die Früchte seiner Arbeit zunutze machen. Luthers Ärger ist verständlich, doch ist sein Argument weder sehr christlich, noch berücksichtigt es die Tatsache, dass die Entwicklung der menschlichen Kultur schon immer darauf beruhte, dass sich der Einzelne die Arbeit, die Mühen und Erfahrungen vieler anderer, seien es Zeitgenossen, seien es Vorfahren, zunutze machte.

Mit Aufkommen der Buchdruckkunst wird Druckern / Verlegern ein Schutz gegen Raubdrucker als individuelles Privileg des Herrschers verliehen

Das Urheberrecht war also von seinen Anfängen an ein Sonderrecht, ein Privileg für Drucker und Verleger, so wie es viele weitere, vom Herrscher willkürlich vergebene, Privilegien und Monopole gab. Der Autor hatte in der Regel wenig von diesem Privileg. Die Privilegien waren zeitlich und territorial begrenzt. Schon jenseits der Landesgrenze galten sie nichts mehr, was besonders in Deutschland mit seinen vielen Territorien diesem Verlegerrecht Grenzen setzte. Nachdrucke waren jenseits der Grenzen weiterhin legal und üblich, und noch die Ideen der Aufklärung verbreiteten sich (glücklicherweise) weitgehend durch "Raubkopien".

Die Vorstellung, dass das Recht nicht die Vermarkter, sondern die Autoren als Urheber schützen sollte, verbreitete sich erst im 18. Jahrhundert. Man hatte die mittelalterliche Bescheidenheit abgelegt und sah nun in dem Künstler, dem Dichter und dem Denker den Genius, der in seinen Werken Neues erschafft, der also nicht nur Autor, sondern im strengen Sinn "Urheber" ist. In diesem Licht gesehen ist verständlich, dem Urheber den Nießbrauch an seiner Schöpfung nicht nur par ordre du mufti, sondern auch aus moralischen Gründen zuzusprechen. So haben etwa Kant und Fichte argumentiert. Beide gehen vom Eigentum des Verfassers an seinen Gedanken aus.56

Die Bücherprivilegien lassen sich nicht aus einem Naturrecht ableiten

Für beide ist dies ein an die Person gebundenes, unveräußerliches Recht. Kant meint, dies geht unbezweifelbar aus dem Naturrecht hervor. Hier irrt der Gelehrte, denn gerade dies bezweifelt Fichte überzeugend:

Was ist ein Bücherprivilegium? Ein Privilegium überhaupt ist Ausnahme von einem allgemein geltenden Gesetze der natürlichen, oder der bürgerlichen Gesetzgebung. Ueber Büchereigenthum ist bis itzt kein bürgerliches Gesetz vorhanden; also muß ein Bücherprivilegium eine Ausnahme von einem Naturgesetze sein. … Es setzt mithin ein Gesetz der Natur voraus, welches so lauten müßte: Jeder hat ein Recht, jedes Buch nachzudrucken.
Was kann die Bitte um ein Privilegium anders heißen als: Ich erkenne an, daß vom Tage der Publikazion meines Werkes, jeder wer will, das unbezweifelte Recht hat, sich das Eigenthum und jeden möglichen Nutzen desselben anzumaßen, bitte aber um meines Vortheils willen, die Rechte der Menschheit einzuschränken.

Beide begehen aber noch einen weiteren kardinalen Fehler, der bis heute fahrlässig oder vorsätzlich wiederholt wird. Sie wenden nämlich die Terminologie und die Rechtsvorstellungen, die sich für Sachgüter entwickelt hatten, per Analogie auf die Kategorie der Ideen, Konzepte, geistigen Schöpfungen etc. (immaterielle Güter) an. Die Sachverhalte sind aber nicht analog.

An einer Sache kann ich ein ausschließliches Eigentum haben, d.h. ich kann sie nutzen, sie veräußern, sie verzehren oder zerstören. Eine Sache kann mir gestohlen werden. Wenn ich eine Sache veräußere, geht sie in das Eigentum des Erwerbers über und ich verliere das Eigentum. Eine Sache kann nicht zwei Menschen gleichzeitig gehören (In Eigentümergemeinschaften besitzt jeder nur ein Teileigentum).

Bei immateriellen Gütern ist dies anders. Wer wollte Kant seine Idee von den analytischen Wahrheiten a priori stehlen? Wem wollte er sie verkaufen, sodass er sie dann nicht mehr besitzt? Als er sie veröffentlichte, konnten viele Menschen sich diese Idee zu eigen machen, ihren Nutzen daraus ziehen, ohne dass Herrn Kant dabei nur das Geringste verloren ging.

Begriffe wie geistiges Eigentum, geistiger Diebstahl etc. beruhen also auf einer falschen Analogie, sind Übergeneralisierung, und überall, wo sie benutzt werden, liegt der Verdacht der Manipulation durch die Sprache nahe.7 Das Bürgerliche Gesetzbuch der BRD kennt nur Eigentum an Sachen. Den Begriff des geistiges Eigentums sucht man in ihm vergeblich.8 Zur Regelung der Rechte an immateriellen Gütern bedarf es einer eigenen, unabhängig zu begründenden Gesetzgebung.

Die Thesen Kants, Fichtes und andere blieben auch nicht unwidersprochen. Der preußische Rechts- und Sprachwissenschaftler Johann Christoph Rüdiger meinte Nachdrucke seien das "einzige Mittel gegen unbillige Vertheurung der Bücher" und Freiherr von Knigge schloss sich an:

Die höchst wohlfeilen Nachdrucke bringen Bücher, die ausserdem nur von reichen Leuten gekauft und gelesen werden, in die Hände ärmerer Classen, und befördern also die Cultur.

Heute muss man wohl konstatieren, dass die Idee eines unsichtbaren festen Bandes, das das Werk unlösbar mit dem Urheber verbindet, ideologischer Überbau des romantischen Geniekults war, was aber noch nicht bedeuten muss, dass der Unterbau, das ökonomische Interesse des Autors an der Nutzung seiner Arbeit, unberechtigt wäre.

Die Interpretation des Urheberrechts als Ausgleich zwischen Rechten der Autoren und Rechten der Gesellschaft ist eine angelsächsische Erfindung

Unabhängig von den Spitzfindigkeiten deutscher Philosophen hatte man in England zuvor ein anderes Kriterium herangezogen, um ein Autorenprivileg zu begründen: die Nützlichkeit. 1710 erließ die englische Königin Anne das früheste Urheberrechtsschutzgesetz zu Gunsten der Autoren, das Statute of Anne: "An Act for the Encouragement of Learning, by Vesting the Copies of Printed Books in the Authors or Purchasers of such Copies, during the Times therein mentioned".9

Der Autor erhielt durch diesen Akt ein zeitlich begrenztes (14 Jahre) Privileg zur ausschließlichen Verwertung seines Werks. Zur Begründung wird angeführt,

  • dass durch das Privileg Gelehrte angeregt werden sollen, nützliche Bücher zu verfassen (Encouragement of Learned Men to Compose and Write useful Books)
  • dass dadurch das Lernen gefördert wird (Encouragement of Learning)
  • und dass man den Autoren die Möglichkeit bieten will von ihrer Arbeit zu leben ([that] the Liberty of Printing, Reprinting, and Publishing, ... without the Consent of the Authors … [have led] to their very great Detriment, and too often to the Ruin of them and their Families: For Preventing therefore such Practices for the future … )

Es werden hier also zwei Vorteile für die Gemeinschaft einem Vorteil für den Autor gegenübergestellt. Das Statut ist ein schönes Beispiel für einen pragmatischen Interessenausgleich. Mit ihm wird im Effekt der Berufsschriftsteller gestützt. Es sollten fortan auch nicht begüterte, nicht adelige oder klerikale Autoren die ökonomischen Voraussetzungen bekommen, Bücher zu verfassen.

Diese pragmatischen Nützlichkeitsargumente, und nicht das idealistische Geschwurbel Kants, Fichtes und Hegels, haben sich als Begründung der entstehenden Urheberrechts- und Patentgesetzgebung durchgesetzt.

Die weitere Entwicklung des Urheberrechts und des verwandten Patentrechts kann hier nicht ausführlich dargestellt werden. Heute verfügen alle Industrie- und Schwellenländer über einschlägige Gesetze. International wird eine Harmonisierung dieser Gesetze angestrebt, z. B. durch das Welturheberrechtsabkommen (Genf 1952 / Paris 1971) 1011 oder durch den Vertrag über die Internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (Patent Cooperation Treaty, 1970)12. Im Effekt ist durch diese und weitere Abkommen der Spielraum der nationalen Gesetzgeber weitgehend eingeschränkt. Andererseits scheint eine Verschärfung der Regelungen zum Nachteil der Allgemeinheit immer noch möglich, wenn nur genügend starke Interessenvertreter bzw. Staaten diese Verschärfungen durchsetzen wollen (siehe die aktuelle Diskussion um das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ACTA).

Ein instruktiver Vergleich zwischen Urheberrecht und Patentrecht

Man kann aber berechtigterweise fragen, ob die vorhanden Gesetze und insbesondere die aktuelle Praxis einen fairen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit, der Autoren und der Verlage gebracht haben. Man kann z. B. fragen: "Was bekommt die Gesellschaft als Gegenleistung, dafür, dass sie Autoren Privilegien einräumt"? Dazu ist ein Vergleich des Patentrechts mit dem Urheberrecht (UrhG) instruktiv.

  • Als Gegenleistung für den Patentschutz ist der Erfinder verpflichtet, seine Erfindung offen zu legen. Er muss das erfundene Gerät oder Verfahren so beschreiben, dass ein sachkundiger Leser das Gerät nachbauen kann, bzw. das Verfahren durchführen kann. Das ist eine erhebliche Gegenleistung, denn der Erfinder hat an einer Veröffentlichung, anders als ein Autor oder Musiker, nicht das geringste Eigeninteresse. Durch diesen Veröffentlichungszwang wird bereits während der Laufzeit des Patents die Weiterentwicklung der Technik gefördert, was der Allgemeinheit zugutekommen kann.
  • Dem Autor eines urheberrechtlich geschützten Werkes steht es frei, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist (§ 12 UrhG13). Eine Veröffentlichung wird die Regel sein, geschieht aber vornehmlich im eigenen Interesse.
  • Eine Erfindung muss neu sein, das heißt, sie darf nicht bereits im "Stand der Technik" enthalten sein.
  • Dies gilt prinzipiell auch für ein künstlerisches oder wissenschaftliches Werk. Es gilt aber nur mit Einschränkungen. Was sollte man inhaltlich in Sachen Liebeslieder Neues sagen, was nicht schon hundert Mal gesagt worden wäre. Hier macht es bereits die neue Form, in die der alte Inhalt verpackt wird. Andererseits wird man auch Probleme mit dem Urheberrecht bekommen, wenn man einen ganzen Harry Potter Roman mit eigenen Worten nacherzählt und auf den Markt wirft. Was genau an einem Werk schützenswert ist, der Inhalt, die Form oder beides verrät uns das UrhG nicht.
  • Eine Erfindung muss eine gewisse "Erfindungshöhe" aufweisen. Ein fiktiver Fachmann, der den ganzen Stand der Technik kennt, darf nicht in naheliegender Weise und mit zumutbarem Aufwand auf die vorgeschlagene Lösung kommen. Die mangelnde Erfindungshöhe ist der häufigste Grund den Patentschutz zu verweigern.
  • Im Urheberschutzrecht wird kein Mindestmaß an kultureller oder wissenschaftlicher Qualität gefordert. Jeder, der sich vor ein Mikrofon stellt und "Hänschen Klein" trällert, ist durch das UrhG geschützt. Jeder Mist, einmal zu Papier gebracht, begründet Rechtsansprüche. Die Mona Lisa ist als Kunstwerk Gemeingut. Wenn ich mich aber mit einer Kamera vor das Bild stelle und auf den Auslöser drücke, ist durch diesen "schöpferischen Akt" das resultierende Foto vom UrhG geschützt. Das UrhG macht nur wenige Ausnahmen:
    • Die nur unwesentliche Bearbeitung eines nicht geschützten Werkes der Musik wird nicht als selbständiges Werk geschützt (§3 UrhG)
    • Unbeschränkt zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von vermischten Nachrichten tatsächlichen Inhalts und von Tagesneuigkeiten, die durch Presse oder Funk veröffentlicht worden sind (§49 Abs. 2 UrhG)
    Meiner Meinung nach sollte das UrhG nur Autoren schützen, deren Werke einen Mindeststandard an Originalität und Neuheit sowie kultureller oder wissenschaftlicher Qualität aufweisen. Das muss nicht zu größerer Rechtsunsicherheit führen. Die Prüfung, ob ein Werk diesen Kriterien entspricht, wäre ja nur im Streitfall nötig. Auch würden sich in der Rechtsprechung, ähnlich wie bei der Rechtsprechung zur erfinderischen Höhe von Patenten, schnell entsprechende Kriterien herausbilden. Es müssten dann viele der Prozesse, die aktuell die Gerichte verstopfen, wegen offensichtlich mangelnder Neuheit oder Höhe des Werks gar nicht mehr geführt werden.
  • In § 3 UrhG sollte die Einschränkung auf Werke der Musik gestrichen werden. Jedes gemeinfreie Werk, das nur unwesentlich verändert wird, muss gemeinfrei bleiben. Meiner Meinung nach ist in Zeiten des computergestützten Notensatzes der einfache Neudruck vorhandener Noten genau so wenig eine schöpferische Leistung, wie die Übertragung eines Texts von Fraktur in Times New Roman. Der Druck einer Klaviersonate von Mozart muss also gemeinfrei bleiben, selbst dann, wenn der Verleger noch ein paar Ziffern als Fingersatz über die Noten schreibt. All das ist unwesentlich. Wenn die GEMA Kindergärten abkassieren will, weil diese Noten von Volksliedern kopiert haben, kann das erst recht nur als Frechheit gewertet werden.14
  • Die Geltungsdauer eines Patents beträgt höchstens 20 Jahre, lediglich bei Arzneimitteln kann eine Verlängerung um weitere 5 Jahre beansprucht werden. Für das Patent müssen laufend Gebühren bezahlt werden, die mit der Zeit steigen. Damit wird dem Erfinder nahegelegt, seinen Anspruch auch schon früher aufzugeben.
  • Der Urheberrechtsschutz erlöscht in der EU und anderen Industriestaaten erst 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers. Das ist verglichen mit der Geltungsdauer eines Patents sehr lang. Das Welturheberrechts-Abkommen von 1952 verpflichtete nur zu einer Schutzdauer von 25 Jahren nach dem Tod des Urhebers. Zudem ist die Vererbbarkeit des Urheberschutzrechts (§ 28 UrhG) eigentlich ein Fremdkörper im deutschen Urheberschutzrecht. So sagt § 11 UrhG: "Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes.". Hier flattert noch das romantische, unauflösliche Band zwischen Schöpfer und Werk durch den Gesetzestext. Dementsprechend gilt: "Das Urheberrecht ist nicht übertragbar ..." (§ 29 UrhG.). Aber irgendwie soll das Band dann doch auf die Erben hin flattern: "Das Urheberrecht ist vererblich" (§ 28 UrhG). Diesem Schutz der Erben steht keinerlei Gegenleistung für die Gesellschaft gegenüber. Im Gegenteil gibt es genügend Fälle, in denen die willkürliche Ausübung dieser Rechte die verdiente Rezeption des Werks behindert hat, und daher dem toten Autor und der Gesellschaft gleichermaßen geschadet hat [siehe z. B. "Brecht Erben haben wieder zugeschlagen"15].

Der Vergleich zeigt, dass die Autoren- und Künstlerprivilegien deutlich vorteilhafter ausgestaltet sind, als die Privilegien, die man Erfindern einräumt. Dabei sind Erfinder für die Gesellschaft nicht etwa weniger nützlich.