Wasserkraftnutzung und die Energiewende

Ergibt die Nutzung der Wasserkraft in dezentralen Kleinanlagen Sinn?

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Die Nutzung der Wasserkraft in kleinen Anlage hat zwar schon eine lange Tradition, erhitzt jedoch auch heute noch vielfach die Gemüter ob ihrer Umweltverträglichkeit. Grundsätzlich setzt praktisch jede Wasserkraftnutzung einen Eingriff in die Natur voraus. Es gilt jedoch im Einzelfall abzuwägen, welche Maßnahme ökologisch und ökonomisch sinnvoll sein kann. Und um die Frage, ob viele kleine Anlagen besser als wenige Großkraftwerke sind, wird sich die Fachwelt und all die, die sich dazu zählen, noch lange streiten.

Die Zeiten, als man mit einer 35 kW Wasserkraftanlage noch eine ganze Kleinstadt wie Schönau im Wiesental mit Strom versorgen konnte, sind lange vorbei. Das ehemalige Städtische Elektrizitätswerk wurde im Jahre 1975 stillgelegt, die Turbine ausgebaut und später verschrottet. In der Nachbarschaft - im Einzugsbereich der Wiese zwischen dem Feldberg im Schwarzwald und der Mündung in den Rhein bei Basel – haben jedoch viele Anlagen überlebt. Und in der jüngeren Vergangenheit wurden auch neue Kleinkraftwerke gebaut. Heute sind in der Region wieder mehr als 70 kleine Wasserkraftwerke unterschiedlicher Leistung in Betrieb. Die intensive Wasserkraftnutzung an der Wiese hat sowohl historische, als auch meteorologische Gründe. Wenn die Westwinde ihre Wolken über den Hauptkamm des Südschwarzwaldes nach Osten schieben, fällt der Regen im unmittelbar östlich anschließenden Wiesental und seinen Seitentälern.

Bild: Christoph Jehle: Bau von Wasserkraftanlagen.

Was ursprünglich die Grundlage für Mühlen und Sägewerke war, bildete später die Basis der örtlichen Stromversorgung. Die Wasserkraft war auch einer der Hauptgründe für den damaligen Aufbau einer mehrstufigen Textil- und Bürstenindustrie. Mit dem Niedergang der Textilindustrie wurden zahlreiche der verbliebenen Wasserkraftanlagen auf die reine Stromeinspeisung ins öffentliche Netz umgestellt. Nicht zuletzt diese Tradition der lokalen und regionalen Stromerzeugung hat nach Tschernobyl beispielsweise die Schönauer Stromrebellen darauf gebracht, dass Strom auch umweltfreundlicher als in Kernkraftwerken erzeugt werden kann.

Nun wäre es vermessen zu behaupten, dass der gesamte deutsche Strombedarf mit Wasserkraft zu decken wäre. Ein mehr oder weniger großer Anteil der Stromerzeugung kann jedoch vorwiegend in den Hoch- und Mittelgebirgen aus Wasserkraft gewonnen werden. Damit werden auch in der Zukunft die südlichen Bundesländer ein höheres Wasserkraftaufkommen haben, als der Rest der Republik. Regional und lokal in kleinen Anlagen dezentral erzeugter Strom benötigt im Übrigen auch keine teueren und in der Bevölkerung wenig akzeptierten Hoch- und Höchstspannungstrassen mit all ihren unerwünschten Nebenwirkungen.

Technische Grundlagen der Wasserkraftnutzung

Mit dem verfügbaren Wasser wird im ersten Schritt eine rein mechanische Maschine in eine Drehbewegung versetzt. Im zweiten Schritt wird diese Drehbewegung zum Antrieb eines Stromerzeugers/Generators genutzt. Abhängig von der örtlichen Gegebenheiten und der historischen Entwicklung des jeweiligen Standorts unterscheiden sich die technischen Umsetzungen.

Zu den ältesten Arten der Wasserkraftmaschinen zählen die Wasserräder. Ihre meist niedrigen Drehzahlen und das vorliegende hohe Drehmoment ließen sie zur bevorzugten Antriebsmaschine von lokalen Sägewerken und Mehlmühlen werden. Für die Stromerzeugung muss die Drehzahl mittels einer geeigneten Übersetzung jedoch deutlich erhöht werden.

Eine Sonderform des Wasserrads stellt das schnell laufende Waschel dar. Wer einen dieser in alle Richtungen spritzenden Kraftzwerge einmal in Betrieb erlebt hat, wundert sich nicht, dass diese Schnelldreher den Markt nicht erobern konnten.

Höhere Drehzahlen erreichte man mit Turbinen. Die Pelton-Turbine mit ihrem Becherlaufrad in einem geschlossenen Gehäuse ähnelt dabei vom Funktionsprinzip her dem Waschel. Sie eignet sich für größere Fallhöhen. Zu den zahlreich verbreiteten Modellen zählt die auch die Francis-Turbine, die bei kleinen Anlagen mit geringem Gefälle oft als sogenannte Francis-Schacht-Turbine eingebaut wurde. Zur Nutzung höherer Gefälle und größerer Wassermengen erhielten die Francis-Laufräder ein eigenes Gehäuse mit einer Einlaufspirale und wurden so zur Francis-Spiral-Turbine. Jüngeren Datums sind die Kaplan- und die Rohr-Turbinen. Einen Sonderweg der Turbinenentwicklung stellt die Durchström-Turbine dar. Turbinen stellen in den meisten Fällen das effizienteste Instrument zur Wasserkraftnutzung dar. Die Kapselung des Laufrads in einem Gehäuse ist zwar hilfreich für die Effizienz der Maschine, scheint aber für ihre Akzeptanz außerhalb der Fachwelt der Wasserkraftnutzer eher ein Hemmnis zu sein.

Da kam vor einigen Jahren die Wasserkraftschnecke wie gerufen. Einer der wichtigsten Vorteile der Schnecken, die üblicherweise in umgekehrter Drehrichtung als Pumpe in Klärwerken ihren Dienst tut, scheint die Tatsache zu sein, dass man ihr beim Drehen zusehen kann. In ihrer Grundfunktion auf die archimedische Schraube zurückgehend, lassen sich Zeitgenossen mit humanistischer Bildung gerne von dieser archaisch wirkenden Maschine begeistern. Jedoch sitzt auch hier der Teufel oftmals im Detail. So fällt die Schallentwicklung von Wasserkraftschnecken bei unterschiedlichen Drehzahlen manchem Anlieger auf die Nerven. Auch verfügen die Anlagen zur Nutzung schwankender Durchflussmengen meist über einen Frequenz-Umrichter, der einerseits die Effizienz der Gesamtanlage reduziert und andererseits einem oft unterschätzten betriebsbedingten Verschleiß unterliegt.

Der Ausbau der Wasserkraft als Folge der Energiewende

Neben anderen erneuerbaren Energien rückt auch das noch bestehende Wasserkraftpotential nach der Energiewende wieder in den Blickpunkt. Anders als Sonne und Wind steht die Wasserkraft deutlich kontinuierlicher zur Verfügung. Je weniger die Landschaft im Einzugsgebiet eines Gewässers durch anthropogene Einflüsse versiegelt wurde, desto gleichmäßiger fällt das Wasserangebot üblicherweise aus. Und je steter der Abfluss, desto eher eignet sich das Fließgewässer zum Betrieb einer Wasserkraftanlage für die Grundlastversorgung.

Mit Vorliebe werden Wasserkraftanlagen dort installiert, wo das Gefälle am einfachsten zu nutzen ist. Daher finden sich viele Wasserkraftanlagen an Standorten in den Hoch- und Mittelgebirgen. Daher wundert es wenig, dass die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern über eine vergleichsweise große Anzahl an Wasserkraftanlagen verfügen. Der Freistaat Bayern oder zumindest der bayerische Umweltministers Dr. Marcel Huber hat nun mit seinem „10-Punkte-Fahrplan für eine ökologische und naturverträgliche Wasserkraftnutzung“ das Thema Wasserkraftnutzung politisch reaktiviert. Und schon befürchten zahlreiche Naturschützer und Fischer schon wieder den Untergang des Abendlandes, weil bis zum letzten Bächlein alles mit Wasserkraftanlagen zugepflastert würde.

Bild: Christoph Jehle: Bau von Wasserkraftanlagen.

Bei näherer Betrachtung handelt es sich jedoch bei allen 10 Punkten eher um vage Absichtserklärungen, die zahlreiche Hintertürchen offen lassen, als um ein klares Konzept. Man geht davon aus, dass die Wasserkraft in Bayern derzeit einen Anteil von etwa 60 % an der Stromproduktion aus regenerativen Energien hat. Der Anteil der Wasserkraft an der Bruttostromerzeugung in Bayern lag im Jahre 2010 bei 13,6 %. Das bayerische Umweltministerium vermeldet für das Jahr 2010 jedoch rund 15 % des bayerischen Stromverbrauchs aus der Wasserkraft. Und da ist es schon wieder, das politisch so oft praktizierte Spiel mit den Zahlen: Unterschiedliche Bezugsgrößen genutzt und schon hat man die Werte leicht geändert. Und eine leichte Veränderung verspricht der Umweltminister auch für die Wasserkraftnutzung in Bayern: Bis zum Jahre 2021 soll die Wasserkraft rund 17 % des bayerischen Stromverbrauchs decken. Es wird wohl mehr von der Stetigkeit und der Menge des Niederschlags im Zieljahr zusammenhängen, ob dieser Wert erreicht wird, als mit dem Bau neuer Wasserkraftanlagen.

Der bayerische 10-Punkte-Fahrplan im Detail

  1. Modernisierung und Nachrüstung Die Betreiber von großen Wasserkraftanlagen sehen 70 % des noch erschließbaren Wasserkraftpotentials im Ausbau bestehender Anlagen durch Modernisierung und Nachrüstung. Es geht hier nur um bestehende große Kraftwerke. Bestehende Potentiale zur dezentralen Nutzung kleiner Wasserkräfte werden hier nicht erwähnt.
  2. Nutzung bestehender Querbauwerke Man sieht hier eine Win-win-Situation für Natur- und Gewässerschutz sowie Stromerzeugung, wenn gleichzeitig ökologische Verbesserungen wie Durchgängigkeit und Fischpopulationsschutz erreicht werden. In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse erwähnte Huber die Zahl von 6000 bestehenden Querbauwerken, die untersucht werden sollten. Was in dem Zusammenhang gerne unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, dass in solchen Fällen die Unterhaltspflicht für das Querbauwerk gerne von der öffentlichen Hand auf den Kraftwerksbetreiber übertragen wird, die zuständige Körperschaft somit Kosten auf Dritte abwälzen kann.
  3. Flusssanierungen Man will bei geplanten Flusssanierungen wie an der Salzach eine Wasserkraftnutzung umweltverträglich integrieren. Die meisten Beobachter werden dies auf den ersten Blick als Integration einer umweltverträglichen Wasserkraftnutzung verstehen.
  4. Gebietskulisse Die vorgenannten Potentiale will man zu einer Gebietskulisse zusammenfassen und auf diese Weise die Wasserkraftnutzung auf geeignete Standorte lenken. Wie jemand aus diesem Zusammenhang Hoffnungen auf die Erschließung von neuen Standorten für Kleinwasserkraftanlagen setzen will, wie dies im Landkreis Forchheim geschieht, erscheint schleierhaft.
  5. Schutz ökologische besonders bedeutender Gebiete Ausgewählte Gebiete sollen von der Wasserkraftnutzung ausgenommen werden. Der Neubau von Querbauwerken an bislang frei fließenden Gewässerabschnitten rein aus Gründen der Energieerzeugung widerspreche den Zielen einer ökologischen Energiewende. Damit scheint der Bau von Wasserkraftanlagen an Standorten ausgeschlossen, an welchen derzeit kein baulicher Eingriff vorliegt. Alte, inzwischen abgebaute Anlagen könnten so nicht reaktiviert werden. Und ähnlich wie bei der Windkraft soll ein Kataster mit ökologisch besonders bedeutenden Gebieten entstehen, in welchen die Bewahrung oder Entwicklung eines ökologisch wertvollen Zustands regelmäßig Vorrang haben wird vor einer Wasserkraftnutzung. Allerdings lässt diese Vorgabe durchaus die Möglichkeit, dass ein Querbauwerk aus Gründen des Hochwasserschutzes errichtet wird und dann auch für die Wasserkraftnutzung zur Verfügung steht. So sehen Hintertürchen aus.
  6. Vorzeigeprojekte der ökologischen Wasserkraft Mit der Bayerischen Landeskraftwerke GmbH will man durch Vorzeigeprojekte die breite Anwendung innovativer naturverträglicher Wasserkraftwerkstechnik unterstützen. Was auch immer sich hinter diesem Punkt verbergen mag: Vorzeigeprojekt und ökologisch klingt gut. Es gibt durchaus schon vollautomatische Fischaufzüge, die nach Art einer Seilbahn den Fischen beim Überwinden von Wehrbauten helfen.
  7. Forschung Man will die Forschung über energetische und ökologische Verbesserungen an Wasserkraftanlagen ausbauen, sagt aber nicht ansatzweise, in welchen Bereichen dies erfolgen soll. Zudem erscheint es sinnvoller, die vorhandenen Forschungsergebnisse endlich in der Praxis anzuwenden.
  8. Energiespeicher Man will geeignete Standorte für neue Pumpspeicherkraftwerke, bzw. Energiespeicher entwickeln. Hier will man ausgehend von einer derzeit in Bayern installierten Pumpspeicherkraftwerkskapazität von 540 MW eine landesweite Kapazität von rund 2000 bis 3000 MW erreichen. Da scheint man aber mit den betroffenen Anliegern noch nicht gesprochen zu haben.
  9. Forum „Ökologische Wasserkraft“ Die genannten Schritte zur Steigerung der Wasserkraftpotentiale will man von einem Forum „Ökologische Wasserkraft“ begleitet sehen, in dem alle betroffenen gesellschaftlichen Gruppen (kommunale Spitzen-, Naturschutzverbände, Wasserkraftunternehmern sowie weitere, nicht näher spezifizierte Beteiligte) partnerschaftlich zusammenarbeiten. Die Auftaktveranstaltung zum Forum „Ökologische Wasserkraft“ soll am 16. März 2012 auf Einladung des bayerischen Umweltministers stattgefunden haben. Seine Fortsetzung soll das Forum in der Form von Workshops finden. Ob und in welcher Weise die Ergebnisse aus dieser Runde das Licht der Öffentlichkeit erblicken, ist bislang nicht bekannt. Überhaupt war man im bayerischen Umweltministerium zum Thema 10-Punkte-Fahrplan trotz mehrfacher Anfrage sehr zurückhaltend.
  10. Förderprogramme Förderprogramme zur Wasserkraft sollen gezielt auf ihre Wirksamkeit bezüglich ökologischer und energetischer Verbesserungen ausgerichtet werden. Da wird dann wohl die Kapazitätsausweitung der bestehenden großen Flusskraftwerke mit Fördergeldern unterstützt, da deren Betreiber, wie in Punkt 1 beschrieben, bei ihren Anlagen 70 % des in Bayern noch bestehenden Wasserkraftpotentials verorten.

Ob der Freistaat mit seinem 10-Punkte-Fahrplan jetzt wirklich nach Fahrplan punkten kann, muss die Zukunft zeigen. Wenn aber gebetsmühlenhaft immer wieder hervorgehoben wird, dass ja heute schon 90 % der Bäche und Flüsse in Bayern für die Stromerzeugung genutzt würden und mit 4250 Wasserkraftwerken in Bayern schon mehr Anlagen stünden, als in jedem anderen Bundesland sowie die Kleinkraftwerke der Fischwelt und der Gewässerökologie großen Schaden zufügen würden, ist kaum damit zu rechnen, dass ein Ausbau der kleinen Wasserkraft in Bayern in nächster Zukunft möglich ist, auch wenn der Freistaat in den nächsten fünf Jahren eine Milliarde Euro in die Energiewende und den Klimaschutz investieren will.

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