Ist der Euro noch zu retten? (Und wenn ja, wie viele?)

Teil 2 des Interviews mit Christian Felber von Attac

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Der Österreicher Christian Felber ist einer der Köpfe der Attac-Bewegung, um die es in den letzten Jahren etwas still wurde. Nun hat er zwei neue Bücher veröffentlicht: In einem geht es um das Modell einer Gemeinwohl-Ökonomie, die seiner Ansicht nach eine Ausweg aus den seit 2008 dicht aufeinanderfolgenden Krisen bietet; im anderen um die Fragen, wie man den Euro retten könnte und ob sich das überhaupt lohnt.

Zu Teil 1 des Interviews

Zurück zum Euro: Soll man den Euro überhaupt retten? Sie sind sich in Ihrem Buch ja nicht ganz sicher.

Christian Felber: Grundsätzlich sympathisiere ich mit dem Euro, auch wenn ich nichts gegen kleinere Währungsräume habe, weil kulturelle Vielfalt ein Wert ist, der nicht zwingend zu Nationalismus führt (diesen lehne ich ebenso strikt ab wie Eurozentrismus, also Nationalismus auf suprastaatlicher Ebene). Ein langfristig überlebensfähiger Euro bedarf allerdings so umfangreicher Voraussetzungen, die derzeit alle nicht gegeben sind (gemeinsame Beaufsichtigung der Finanzmärkte inklusive Zerteilung systemrelevanter Banken und Beschränkung des Kapitalverkehrs, Kooperation bei allen wettbewerbsrelevanten Steuern, Lohnkoordination zur Wahrung ausgeglichener Handelsbilanzen, Bereitschaft zu öffentlichen Investitionen), dass ich das Ende des Euro befürchte und Alternativen durchdekliniere.

Dabei ist eine einzige wirklich attraktiv: Eine weltweite Währungskooperation nach dem Vorschlag von John Maynard Keynes, der diesen Vorschlag 1944 auf der Konferenz von Bretton Woods einbrachte, der aber leider nicht angenommen und umgesetzt wurde. Im Kern handelt es sich um eine globale Komplementärwährung (nur Buchgeld) zur Verrechnung der internationalen Wirtschaftsaustauschs: Handel, Tourismus, Investitionen. Die nationalen Währungen blieben erhalten, die Wechselkurse zum "Globo" würden jedoch fixiert.

Wenn sich Länder unterschiedlich entwickeln (Produktivität, Inflation), könnten sie periodisch anpassen, um Kaufkraftparität zu wahren. Keynes sah sogar Sanktionen gegen Länder vor, die nicht ab- oder aufwerten wollten, um die Bildung struktureller Handelsbilanzüberschüsse oder -defizite zu vermeiden. Deutschland müsste für die Exportweltmeisterschaft Strafe zahlen, was nur gerecht ist. Denn: Jeder langfristige Exportüberhang eines Staates führt mathematisch zwingend zur Insolvenz eines anderen. Griechenland lässt grüßen. Das Keynes-Modell hätte den Vorteil zum Euro, dass es Stabilität und Flexibilität kombiniert, während der Euro nur stabil und damit starr ist: Er wird brechen.

Wie sehen Sie denn die Chancen, dass ein zweites Bretton Woods stattfindet? Für das erste brauchte es ja immerhin einen Weltkrieg.

Christian Felber: Die Chancen stehen gar nicht so schlecht: Zum einen schwächeln Dollar und Euro um die Wette, zum anderen fordern die BRIC-Staaten immer lauter eine neue Weltwährungsordnung. Drittens könnten am Ende die USA die Geburtshelfer zu einem Bretton Woods II mit (im Unterschied zum fehlkonstruierten Bretton Woods I) einer globalen Komplementärwährung werden: Nämlich dann, wenn der Yuan oder der Euro ernsthaft die Öl- und Ressourcenwährung werden würde. Das wäre der sofortige Staatsbankrott für die USA, weil die Nachfrage nach dem Dollar stark zurückgehen, der Dollarkurs abstürzen würde. Die USA könnten sich dann Rohstoffe nicht mehr leisten. Deshalb wäre es für die USA das geringere Übel, einer fairen Weltwährungsordnung zuzustimmen, in der es keinen neuen Leithammel gibt. Als ich 2006 ein Bretton Woods II forderte, krähte kaum ein Hahn danach. Seit 2009 fordern dies 1. der Gouverneur der chinesischen Zentralbank, 2. die von der UNO beauftragte Stiglitz-Kommission und 3. die UNCTAD. Die Stimmen werden prominenter und mehr

Zurück nach Europa: Was halten Sie vom "Geuro", der derzeit im Zusammenhang mit Griechenland debattiert wird?

Christian Felber: Klingt nach der versteckten Einführung der Drachme, ohne dies so zu benennen: ein fauler Trick. Wird der Geuro irgend eine der befürchteten Folgen der Rückkehr zur Drachme verhindern: Kapitalflucht, Kreditstopp, Bankenzusammenbruch in Griechenland? Ich fürchte nein. Vielleicht kommt es statt zu einem lauten Knall zuerst zu schweren Rumplern. Das könnte sein.

Und ein einziger lauter Knall wäre besser als viele schwere Rumpler?

Christian Felber: Die Rumpler kämen ja nicht statt dem Knall, sondern davor. So gesehen ist es immer noch ein wenig besser, macht aber mittelfristig keinen wirklichen Unterschied. Ich möchte aber nicht nur zwischen einem Totalschaden und Totalschaden auf Raten wählen dürfen, ich will Griechenland aus verschiedensten Gründen retten, indem die griechischen Staatsschulden solidarisch über EU-weiter Vermögenssteuern zurückgezahlt werden - das wäre meine Präferenz!

Gibt es EU-Länder, deren Regierungen diesem Vorschlag eher mit Sympathie gegenüberstehen? Und welche sind komplett dagegen?

Christian Felber: Regierungen sind mir keine bekannt, die schützen noch konsequent die Reichen. Aber die Boston Consulting Group macht in ihrer Studie Back to Mesopotamia vom Oktober 2011 einen ähnlichen, sogar noch viel radikaleren Vorschlag: eine Finanzvermögenssteuer in der Eurozone von 34%! Der Satz ist deshalb so hoch, weil es eine einmalige Entschuldung aller volkswirtschaftlichen Sektoren - Staat, Haushalte, Unternehmen - auf 60% des BIP geben soll, nach dem Vorbild Mesopotamiens, wo es zu regelmäßigen Schuldenstreichungen kam.

Auch der Sachverständigenrat der "Wirtschaftsweisen" hat einen Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen, der in eine ähnliche Richtung geht: nicht zusätzliche Schulden (Rettungsschirm, Eurobonds, Garantien, ...) sondern Rückzahlung der Schulden. Der gravierende Unterschied zu meinem Vorschlag: Die Schulden sollten mit Massensteuern (Mehrwert- und Einkommenssteuern) getilgt werden. Also wieder mit denen, die heute schon die ganze Last tragen - und nicht von den Vermögenden, die vor und in der Krise profitiert haben und immer noch profitieren. Aber immerhin: BCG, Wirtschaftsweise und Attac: Das kann noch was werden.

Wenn ich Sie recht verstehe, dann hoffen Sie, dass die BCG und die Wirtschaftsweisen große Wirtschaftsunternehmen beeinflussen, die dann wiederum Einfluss auf die Politik nehmen - oder?

Christian Felber: Das ist einer von vier möglichen Transmissionsriemen. Die anderen sind: via Medien, via Allianzbildung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und direkt. Dass die Botschaft landet, finde ich nicht unplausibel. Zum einen kommt am mathematischen Gesetz, dass die Summe aller Guthaben und Schulden immer null ist, niemand vorbei. Sollen die Schulden sinken, müssen es auch die Vermögen tun! Zum anderen erkennen immer mehr von einer Vermögenssteuer Betroffene, dass eine moderate Besteuerung (nach meinen Berechnungen würde eine im Schnitt ein- bis zweiprozentige Substanzsteuer pro Jahr ausreichen, zumal die Privatvermögen fünfmal so groß sind wie die öffentlichen Schulden) für sie der mit Abstand schmerzärmste Alternative ist. Die anderen Alternativen sind: Bankenzusammenbruch, Staatsinsolvenz-Serie, Währungsreform oder Bürgerkrieg. Ein sehr hässliches Menü, bei dem die Option Schuldentilgung über Steuern noch die verdaulichste ist - auch für die Reichen.

Wer sollte Ihrer Ansicht nach die Wahlen in Griechenland gewinnen?

Christian Felber: Eine Gruppierung, die heute die gleiche Solidarität von Europa fordert, welche 1953 Deutschland seitens der Siegermächte zuteil wurde. Im Londoner Schuldenabkommen wurden Deutschland 50% seiner Schulden erlassen. Das stünde jetzt auch Griechenland zu. Danach sollen Kredite bis zu einer Grenze von z. B. 50 - 60% als zinsfreie Kredite von der EZB vergeben werden - eine gigantische Verringerung der Last des Schuldendienstes. Darüber müsste eine einnahmenseitige Schuldenbremse dafür sorgen, dass der Staat sich nicht höher verschuldet. Einnahmenseitige Schuldenbremse heißt: automatisches Anziehen der Vermögenssteuern, falls die Staatsschuldengrenze die Obergrenze übersteigt (mit Pufferzone in Zeiten der Rezession). Schließlich sollte man Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen wie Deutschland zur internen Aufwertung - also zu Lohnerhöhungen - verpflichten, damit der Handelskrieg innerhalb der EU ein Ende findet. Diese Gruppe kann ich allerdings nicht erkennen.

Eigentlich sind (wie Sie in Ihrem Buch detailliert darlegen) alle derzeit durchgeführten Euro-Rettungsmaßnahmen nach EU-Recht verboten - zum Beispiel nach 125 VAEU. Könnte nicht ein Teil des Vertrauensverlusts in die Euro-Zone auch darauf zurückzuführen sein, dass Regeln so bedenkenlos ignoriert werden?

Christian Felber: Ich finde es zwar einen Skandal, dass der Lissabon-Vertrag bereits in acht grundlegenden Punkten von den Regierungen gebrochen wird - das ist nüchtern betrachtet der Bankrott des Rechtsstaats. Dennoch glaube ich nicht, dass der Vertrauensverlust gegenüber dem Euro damit an erster Stelle zusammenhängt. Dieser hängt vielmehr damit zusammen, dass die EU-Eliten es nicht schaffen, die Rahmenbedingungen für einen stabilen Euro zu errichten: gemeinsame Steuerpolitik (bei den wettbewerbsrelevanten Steuern), gemeinsame Finanzpolitik (Eurobonds oder noch besser EZB-Kredite), Regulierung der Finanzmärkte inklusive Zerteilung systemrelevanter Banken und Ende des internen Handelskrieges. Würde die EU ihre Hausaufgaben machen, würde das Vertrauen vollständig wiederhergestellt. Mit Vorbehalt: Das "Vertrauen" der "Märkte" bräuchte es dann gar nicht mehr, weil ja die verbleibende Staatsschuld zinsfrei bei der EZB gehalten würde. Es bliebe dann noch das Vertrauen der "Realinvestoren". Aquch das würde stark steigen, wenn das Finanzsystem stabilisiert würde.

Zum Schluss noch eine Ausblicksfrage: Was ist Ihrer Ansicht nach kurz- und langfristig nicht die wünschenswerte, sondern die wahrscheinlichste Zukunft der Eurozone? Gibt es da eine Reihenfolge?

Christian Felber: Ich sehe zwei "realistische Szenarien" mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit:

  1. Nicht nur Griechenland verlässt (un)freiwillig die Eurozone, es folgen vier, fünf weitere Staaten nach (von Portugal bis Italien), was dann auch zur Insolvenz des "harten Kerns" der Länder der so genannten Nord-Euro-Zone führen wird - sie werden sich an ihren systemrelevanten Banken aufhängen. Das ist dann entweder das vollständige Ende des Euro-Experiments oder es schafft Raum für neue, solidarische Lösungen.
  2. Die Rettungsschirme reißen, Eurobonds bringen auch nicht die Lösung, die EZB wird zum "lender of last ressort". Sie kauft unbegrenzt Schuldtiteln von (systemrelevanten) Banken und Staaten auf, um das Ende des Euro zu verhindern. Das führt zur Verstaatlichung der Großbanken und zur Abwicklung ihrer faulen Bilanzteile. Damit ist der Weg frei für einen gründlichen und tiefen Schuldenschnitt bei Staaten - er würde nicht mehr zu einer Insolvenzwelle bei Banken führen. Mesopotamien lässt grüßen.

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