Urheberrecht versus Pressefreiheit

Unerwünschte Veröffentlichungen können besonders im Fall von Erstveröffentlichungen durch das Urheberrecht verhindert werden - zu Lasten der Meinungs-und Pressefreiheit. Ein Interview mit Thomas Hoeren

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Das Urheberrecht dient primär den Verwertungsinteressen der Urheber. Umso erstaunlicher ist es, wenn versucht wird, es auch für andere Zwecke, etwa zur Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit zu verwenden. Im Falle von Erstveröffentlichungen hat dies sogar große Aussicht auf Erfolg.

Erst kürzlich sperrte der Cloud-Speicher-Anbieter Dropbox die Sharing-Funktion des Journalisten Mario Sixtus, weil dieser einen Link zu einem Dokument über Google Plus und Twitter veröffentlicht hatte, worin ein deutscher Bürger eine Urheberrechtsverletzung sah. Das monierte Dokument wurde jedoch auf einem Server der Wikimedia-Stiftung veröffentlicht und gibt keine Autoren an. Vielmehr geht es der Frage nach, ob Wikipedia-Dokumente über Pharma-Themen von bestimmten Nutzern manipuliert wurden. Sixtus legte bei Dropbox umgehend Widerspruch ein, doch auch Wochen später blieb seine Sharing-Funktion gesperrt.

Im Fall von Dropbox geht es um eine Auseinandersetzung von zwei Deutschen um einen deutschsprachigen Text, auf den das US-amerikanische Copyright angewandt wird. Zwar müssen für eine Sperrung bestimmte Anforderungen erfüllt werden. Doch ob dies in diesem Fall so war, ist unklar. Fragwürdig findet es jedenfalls Urheberrechtsexperte Till Kreutzer, dass der Anbieter die komplette Sharing-Funktion und nicht nur den Zugriff auf die monierte Datei sperrt.

In jüngster Zeit wurde "das Recht auf geistiges Eigentum" wiederholt als Begründung angeführt, um die Veröffentlichung von Dokumenten zu verhindern, dabei ging es jedoch um "geleakte" Dokumente. So führte etwa Amazon das Copyright an, um den Betreibern der Whistleblowing-Plattform Wikileaks den Vertrag über externen Speicherplatz zu kündigen. Eine gerichtliche Entscheidung dazu gab es allerdings nicht.

Die Stadt Duisburg versuchte zunächst mit dem Verweis auf das Urheberrecht die Veröffentlichung eines Gutachtens über die Sicherheitsvorkehrungen zur LoveParade im Internet zu verhindern. Auch hier gab es keine rechtliche Klärung. Die Stadtverwaltung sah vom Rechtsweg ab, da sie nicht glaubte, damit eine weitere Verbreitung im Internet tatsächlich verhindern zu können.

Weil das Urheberrecht primär darauf ausgerichtet ist, dem Urheber eine Verwertung zu ermöglichen, wird es nach Ansicht des Münsteraner Juraprofessors Thomas Hoeren "zweckentfremdet, wenn es gezielt eingesetzt wird, um gegen unerwünschte Veröffentlichungen vorzugehen".

Thomas Hoeren, Professor am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster, ist unter anderem Mitglied des Fachausschusses für Urheber- und Verlagsrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Telepolis sprach mit ihm über mögliche Abwägungsmöglichkeiten.

Im Gesetz fehlt jeglicher Hinweis darauf, was mit solchen Veröffentlichungen geschehen soll

Unter Juristen wird noch heute die Meinung vertreten, dass man das Urheberrecht nicht gegen die Meinungs- und Pressefreiheit abwägen kann, weil der Gesetzgeber eine solche Abwägung im Urheberrecht selbst ja mit der Einführung verschiedener Schranken, die den Geltungsbereich des Urheberrechts beschränken, vorgenommen hat. Ist das noch zeitgemäß?

Thomas Hoeren: Nein, dies war früher der Fall, bevor noch das Grundgesetz in Kraft getreten ist. Doch das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil zu Heiner Müllers Theaterstück "Germania 3" eine wichtige Entscheidung gefällt, in der es eine Abwägung vorgenommen hat. Müller hatte Auszüge aus dem Werk von Bert Brecht in einem Umfang übernommen, die bei weitem das überstiegen, was das Zitatrecht erlaubte. Das Gericht wog allerdings den "geringfügigen Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile" zugunsten der künstlerischen Entfaltungsfreiheit ab. Seither gab es mehrfach Urteile, die eine Güterabwägung vorgenommen haben.

Gleichwohl gibt es doch Probleme mit den Texten, die geleakt wurden: So wollte beispielsweise die Stadt Duisburg im Falle eines im Netz veröffentlichten Gutachtens zu den Sicherheitsvorbereitungen zur Loveparade eine Veröffentlichung zunächst aus datenschutzrechtlichen Gründen, dann mit dem Verweis auf das Urheberrecht verhindern.

Thomas Hoeren: Es gibt bei Erstveröffentlichungen tatsächlich ein Problem: Wir haben keine Rechtsprechung zu Texten, die noch nicht veröffentlicht wurden. Hier ist die persönlichkeitsrechtliche Bindung an den Text so eng, dass dies die Meinungs- und Pressefreiheit übertritt. Hätte die Stadt Duisburg sich für eine rechtliche Auseinandersetzung entschieden, hätte sie sich wohl vor Gericht durchsetzen können. Ob die Stadt aber die tatsächliche Verbreitung im Netz hätte verhindern können, sei dahin gestellt, da das Dokument auch auf Servern, die unter anderen Jurisdiktionen stehen, hätte verbreitet werden können. Das wäre eine Rechtsdurchsetzung schwierig geworden.

Abwägung bei geleakten Dokumenten wohl nur in extremen Ausnahmefällen möglich

Es gibt - nicht in Deutschland, aber in den Niederlanden - einen höchstrichterlichen Spruch im Fall Karin Spaink versus Scientology, der eine Veröffentlichung der Scientology-internen Schulungsunterlagen im Internet mit Verweis auf die Pressefreiheit genehmigte. Scientology hatte das zuvor mit Verweis auf das Urheberrecht wirksam verhindert. Sogar Google hatte Links auf die veröffentlichten Dokumente gesperrt. Warum haben wir so einen ähnlichen Richterspruch noch nicht?

Thomas Hoeren: Ich weiß nicht, warum wir noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu so einem Fall haben. Google hatte damals sogar alle Links auf die von Spaink veröffentlichten Scientology-Papiere gesperrt. Wir haben uns am Institut im vergangenen Jahr in Bezug auf Wikileaks das Thema der Erstveröffentlichungsrechte genauer angesehen und sind zu dem Schluss gekommen: Das ist ein wirkliches Problem, für das der Gesetzgeber eine Lösung finden muss.

Eine Abwägung ist also nicht möglich?

Thomas Hoeren: Nein, im Gesetz fehlt jeglicher Hinweis darauf, was mit solchen Veröffentlichungen geschehen soll. Daher ist eine Abwägung bei geleakten Dokumenten wohl nur in extremen Ausnahmefällen möglich. Es kann aber nicht sein, dass das Urheberrecht bei Texten von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung eingesetzt werden kann, um eine politisch unerwünschte Veröffentlichung zu verhindern.

Wie entscheidend ist im Moment das Verständnis von Öffentlichkeit?

Thomas Hoeren: Im Falle der diplomatischen Depeschen, die Wikileaks veröffentlicht hat, ist es entscheidend. Denn diese Depeschen waren innerhalb der Streitkräfte so weit verbreitet, dass sie nach unserem rechtlichen Verständnis bereits öffentlich waren und man nicht mehr von einer Erstveröffentlichung durch Wikileaks sprechen kann.

Auch das Zitieren ausgesuchter Passagen ist nicht möglich

Ab wann kann ein als geheim eingestuftes Dokument nach dem Urheberrecht als öffentlich gelten?

Thomas Hoeren: Ein Dokument darf Personen gegeben werden, zu denen man in persönlicher Beziehung steht. Man darf es einem Freund, einem Lektor geben. Aber wenn ich diesen engen Personenkreis verlassen und das Dokument beispielsweise einer juristischen Person gebe, wäre das nicht mehr privat. Ein Behördenintranet ist danach kein privater Raum.

Es gibt hier ein Urteil des Bundesgerichtshofs, der Betriebsfeiern in Bezug auf GEMA-Gebühren als öffentlich einstufte, das hier angeführt werden könnte. Ein Dokument, das also im Intranet einer Organisation veröffentlicht wird, kann sich nicht mehr auf den Schutz des Erstveröffentlichungsrechts berufen.

Wie ist das aber, wenn man sich auf den Schutz des Erstveröffentlichungsrechts berufen kann?

Thomas Hoeren: Die Guantanamo-Papiere beispielsweise waren so brisant, dass mit Sicherheit nur wenige im Vorfeld davon wussten. Werden solche Dokumente ohne Zustimmung des Urhebers erstmals veröffentlicht, kann der Urheber einen Unterlassungsanspruch, einen Beseitigungsanspruch und im Falle von Verschulden auch einen Schadensersatzanspruch geltend machen.

Auch das Zitieren ausgesuchter Passagen ist nicht möglich. Das Zitatrecht setzt nämlich voraus, dass das zitierte Werk bereits veröffentlicht wurde. Auch eine nur ausschnittweise Veröffentlichung auf einer Leaking-Plattform greift damit in unzulässiger Weise in die Rechte der Urheber ein.

Gibt es ein klares Verständnis von Öffentlichkeit in der juristischen Literatur?

Thomas Hoeren: Das ist leider nicht der Fall. Der Begriff der Öffentlichkeit ist bislang nicht erforscht.

Literatur:

Hoeren, Thomas; Herring, Eva-Maria (2011): Urheberrechtsverletzung durch Wikileaks? Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit vs. Urheberinteressen. In: Multimedia und Recht Zeitschrift für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (3), S. 143-148. PDF

Hoeren, Thomas; Herring, Eva-Maria (2011): Wikileaks und das Erstveröffentlichungsrecht des Urhebers. Informationsfreiheit als externe Schranke des Urheberrechts? In: Multimedia und Recht Zeitschrift für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (8), S. 500-504. (PDF)