In der Strebergartenkolonie

Jungakademiker in der Karrierefalle

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„Bitte erwähnen Sie weder meinen Namen, noch meine Uni/Firma“ - ich fühle mich wie Günter Wallraff in seinen Reportagen aus der Realität des beruflichen Lebens. Die Sorge ist nur allzu berechtigt: In einem Telepolis-Artikel mit echtem Namen als Opfer von Ausbeutung und Willkür zu erscheinen, könnte künftige Vorgesetzte abschrecken. Jungakademiker hoffen aber noch, Vorgesetzte zu finden, deren Nachfolge sie dank Wohlverhalten und Anpassung antreten können.

Die Crème de la Crème

Allenfalls im dynastischen Bereich, wo einige Arztpraxen und Betriebe an den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs übergeben werden, könnten Jungakademiker auf ihre Profs und die Personalcaster, auf falsche Versprechungen und blumige Karriereverheißungen pfeifen. Der Rest muss da durch. Während die von Wallraff aufgespürten, suburbanen Niedriglöhner bei Löhnen von 3-5 Euro nichts mehr zu verlieren haben, ist es bei den Insassen der Strebergartenkolonie – so wollen wir hier den Raum bezeichnen, in dem gebildete junge Menschen aus guten Familien als „Führungsnachwuchs“ herangezogen werden – umgekehrt: Sie hoffen, für die Schäden belohnt zu werden, die sie an ihrer Seele, ihrem Körper und ihrem Geldbeutel erleiden. Zumindest bis zum dreißigsten Lebensjahr.

Die scheinbare Freiwilligkeit – „Musst Du denn ein gutes Abitur machen? Studieren gar?“ - macht es für den Reporter wie für den Leser schwer, Emotionen wie Mitleid und Empörung aufkommen zu lassen. Täglich hören wir, dass in Griechenland und Spanien ganze Generationen junger Akademiker dauerhaft arbeitslos sind. Heimlich denken wir: Na ja, was können die auch schon. Unsere Cracks von Exzellenzuniversitäten und Werkstudenten in DAX-Unternehmen dagegen werden von ihren Professoren und Arbeitgebern zur Crème de la Crème erhoben. Wir sind stolz auf ihr Einser-Abitur und ihr zügig abgeschlossenes Studium. Wir rühmen ihre Praktika bei ersten Adressen. Bitte keine Namen. Ich halte mich dran.

1000 Euro für Vollzeit-Wissenschaftler

Auch dem SPIEGEL ging es bei Recherchen zum gleichen Thema wie mir: „Die Doktoranden hoffen, dass drei Jahre des Zähne-Zusammenbeißens sich auszahlen. Beschwerden sind selten: Bloß nicht auffallen, aus Angst vor schlechter Benotung und davor, nach der Promotion keine Stelle zu bekommen. Darum wollen die sechs jungen Wissenschaftler, die sich hier äußern, ihre echten Namen lieber nicht nennen.“

Zahlen: 1000 Euro monatlich für eine Promotionsstelle in der Max Planck Gesellschaft. 400 Euro für eine Tutorenstelle an der Uni – pro Semester. Ebenfalls in der MPG erhält ein abgeschlossener Politologe 10 Euro pro Stunde als „wissenschaftliche Hilfskraft“. Bei zehn Stunden pro Woche sind das 100 Euro. Die Max Planck Gesellschaft, deren voll bezahlte Stellen so gut wie nie ausgeschrieben werden, ist stolz auf ihre Nachwuchsförderung. Deren Höhepunkt ist der mit 16.000 Euro dotierte Heinz Maier-Leibnitz-Preis. Er soll die Ausgezeichneten dabei unterstützen, ihre wissenschaftliche Laufbahn weiterzuverfolgen. Drei Talente pro Jahr erhalten diese Auszeichnung. 16.000 Euro – das wären 12 Monate lang 1333 Euro brutto pro Monat.

Werdet doch Krankenhauspfleger oder Bäckereiverkäufer!

Laut dem Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVöD) erhalten bereits Mitarbeiter im Pflegedienst eine Mindest-Grundvergütung von 2.264,63.- monatlich zuzüglich Familien-, Orts- und Schichtzuschläge. In der ersten Entwicklungsstufe sind es bereits 2.729 Euro.

Wissenschaftliche Mitarbeiter, also Mitarbeiter mit einem wissenschaftlichen Hochschulabschluss, sind laut dem TVöD zwischen den Gruppen 13 und 15 einzustufen. Das bedeutet, dass sie eigentlich eine Grundvergütung von mindestens 3.075 Euro monatlich zu erhalten haben.

Damit wäre der Preis der Max-Planck-Gesellschaft nicht mehr so sensationell, sondern er spricht mehr für die längst überall ausgeübte Praxis, selbst die besten Jungabsolventen überhaupt nicht oder viel zu gering zu vergüten.

Nur ein kleiner Teil der Hochschulabsolventen, etwa Lehrer, Ingenieure und Ärzte erhalten den tariflichen Grundlohn von 36.900 Euro im Jahr. Der größere Teil findet sich mit unbezahlten Praktika oder mit 1.000 Euro Lohn ab. Lohn? Das würden die Arbeitgeber sofort leugnen. Sie erhalten wahlweise eine Förderung oder Aufwandsentschädigung, während derer sie beweisen sollen, dass sie vielleicht einmal eines Lohnes würdig sind.

Eine Bäckereifachverkäuferin – was auch immer das sei – fängt mit knapp 400 Euro monatlich ihre dreijährige Lehre an, um als Lebensperspektive dann für eine volle Stelle einen Tariflohn von 1.497 Euro brutto zu erhalten.

Die Botschaft an die talentierten Jungakademiker lautet: Macht doch eine Lehre als Bäckereifachverkäufer, wenn euch die Bezahlung zu schlecht ist. Bisher hat diese Botschaft erfolgreich gewirkt. Das Gefühl, nicht Bäckereifachverkäufer sein zu müssen, prägt das Lebensgefühl der Generation Praktikum. Man ist zu Höherem berufen und harrt der Erlösung von den Entbehrungen in Gestalt eines unbefristeten Arbeitsvertrages.

Er hat es geschafft

Hermann S., 35, hat einen solchen erhalten. Er ist Abteilungsleiter in einem deutschen Großkonzern und wohnt etwa in München (wahlweise Hamburg, Stuttgart, Köln). Von ihm werden nicht die tariflichen 39 Stunden, sondern 47-50 erwartet. In seinem Team hat er mehrerer Werkstudenten, die für 1.200 brutto monatlich Profiarbeiten leisten, die auf dem Markt nicht unter 50 Euro die Stunde zu bekommen sind. Datenbankkonfiguration. Ausgabe von Files. Makros. Bildbearbeitung. Pflichtenhefte.

Sein Jahresgehalt: 58.000 Euro jährlich brutto. Er hat es geschafft. 32.517 Euro bekommt er nun netto. In München etwa, wo die von der rotgrünen Stadtregierung verschwiegene Durchschnittskaltmiete bei Neuvermietung inzwischen 12 Euro je Quadratmeter beträgt, kann er davon gerade überleben. Eine Familie gründen oder Eigentum erwerben könnte er nicht.

Fragt doch Eure Eltern!

In den meisten Betrieben und Behörden sind die Vergütungen für Jüngere derart gesenkt worden, dass sie unter dem Altersruhegeld der Ausgeschiedenen liegen. Niemand, insbesondere auch nicht die Gewerkschaften, möchten das publik machen. Schließlich war diese Altersversorgung doch ein Erfolg von gewerkschaftlichem Lobbyismus. Bei Verdi etwa zahlen die Senioren auch im Ruhestand noch 0,5% ihrer Bezüge als Gewerkschaftsbeitrag. In deutschen Konzernen stehen hunderttausende Mitarbeiter unter „Personalkosten“, die aufgrund ihrer Altverträge Monatsrenten von 7.000 Euro und mehr beziehen. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und vielen Verwaltungen machen die Pensionen oft 40 Prozent und mehr der gesamten Personalausgaben aus.

Das Ergebnis: Da bereits jetzt 1,5 Millionen Pensionäre 1,9 Millionen Beamten gegenüberstehen, werden die Löhne der Jungen immer weiter gedrückt. Um überhaupt noch zu erfahren, zu welchen Bedingungen man 1985 in Rente oder Pension ging, gibt es einen einfachen Weg: Nicht bei Google gucken, sondern die eigenen Eltern fragen. Die sollten es wissen.

Ausblick: Zurück an den Herd

Das Ausbleiben der Erfüllung von Wohlstands- und Karriereplänen liegt nicht nur an der ungleichen Verteilung von Vermögen und Einkommen, sondern ist auch Ausdruck einer platzenden Blase: Es können einfach nicht 50 Prozent jeden Jahrgangs studieren und dann hochbezahlte, weitgehend symbolische Beratungsdienstleistungen erbringen.

Die soziale und finanzielle Abwertung vieler, gesellschaftlich enorm wichtiger Berufe wie etwa Landwirt, Gärtner, Kindergärtnerin, Putzfrau, Verkäufer, Altenpfleger, Schneider, Schuster, Kellner, Lokführer, Bäcker, Metzger und Koch (bitte keine Beschwerden über hier nicht aufgeführte Berufe) lässt sich nicht dauerhaft aufrecht erhalten.

Die künftige Gesellschaft der ökologisch notwendigen kurzen Wege mit der Notwendigkeit regionaler Wertschöpfung macht es nötig, dass viel mehr Berufstätige wieder in ihrer unmittelbaren Umgebung angeblich „einfache“ Tätigkeiten ausüben. Dass etwa Gärtner und Koch einfache Tätigkeiten seien, ist ein Mythos aus der Zeit, in der Nahrung noch in Kalorien gemessen wurde. Das Studium könnte daher künftig mehr der Selbstverwirklichung, als den beruflichen Aufstiegschancen dienen.

Die Ausübung einer „erfüllten“ beruflichen Tätigkeit wird dann nicht mehr durch das Einkommen, sondern durch die soziale Akzeptanz und die damit verbundene Lebensqualität bestimmt. Der Umzug vom Strebergarten in den Schrebergarten ist jedenfalls kein Drama, sondern ein sinnvoller Weg, den bevorstehenden Abstieg einer unilateralen Exportwirtschaft seelisch und wirtschaftlich zu verkraften.

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