Neo-Ludditen bedrohen Kernforscher und Nanotechnologen

Attentate in Italien, der Schweiz und Mexiko

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In Deutschland kennt man Neo-Ludditen bislang nur von Brandanschlägen auf Verkehrsmittel, mit denen sie eine "Entschleunigung" erreichen wollen. In anderen Ländern schrecken sie der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature zufolge nicht mehr davor zurück, auch Menschen anzugreifen.

Zum Beispiel Roberto Adinolfi, den Chef von Ansaldo Nucleare - einer Firma, die sich mit Kern- und Luftfahrtechnik beschäftigt und die zum Finmeccanica-Konzern gehört. Am 7. Mai wurde Adinolfi vor seinem Haus in Genua Opfer einer Schussattacke. Von drei abgegebenen Schüssen traf allerdings nur einer, der ihn an der Kniescheibe verletzte. Vier Tage später erhielt die italienische Tageszeitung Corriere della Sera eine vierseitige Bekennerbotschaft, die die italienischen Behörden als echt einstufen. Sie stammt von einer Gruppe, die sich selbst "Nucleo Olga Federazione Anarchica Informale Fronte Rivoluzionario Internazionale" nennt.

Angst vor dem "Atomhexer". Bekennerschreiben der Neo-Ludditen.

Der Bekennerbrief nennt als Motiv für das Attentat die Ablehnung von Wissenschaft und Technik. Adinolfi nennen die Ökoterroristen einen "Atomhexer" – und wer mit dem Atom "hext", der provoziert ihrer Ansicht nach zwangsläufig ein "europäisches Fukushima", das "den Kontinent tötet". Außerdem, so die "Olga-Zelle", führe Wissenschaft zu "totaler Sklaverei" und bringe Leiden in die Welt, das man mit dem Attentat "zu einem kleinen Teil zurückzahlen" wolle. Außerdem plane man weitere Anschläge – und zwar nicht nur gegen die Kernforschung, sondern auch gegen Bio- und Nanotechnologie.

Das "Olga" im Namen der Gruppe bezieht sich auf die im letzten Jahr inhaftierte griechische Terroristin Olga Ikonomidou. Ein mindestens ebenso aufschlussreicher Namensteil ist das "Federazione Anarchica Informale ". Die "FAI" hatte im März 2011 der Firma Swissnuclear in Olten eine Briefbombe geschickt. In einem dazugehörigen Brief forderte sie die Freilassung von drei Neo-Ludditen, die festgenommen wurden, weil sie ein Attentat auf das Nanotechnologielabor von IBM in Zürich planten.

Die italienischen Ermittler bringen die Olga-Zelle nicht nur mit diesen schweizerischen Neo-Ludditen, sondern auch mit Ökoterroristen aus Mexiko in Verbindung, die dort mindestens vier Bombenanschläge auf Nanotechnologieeinrichtungen verübten. Im August 2011 schickte eine Gruppe namens "Individuen, die zur Wildheit tendieren" eine Bombe an zwei Nanotechnologieforscher am Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey (ITESM). Einer erlitt schwere Verbrennungen, dem zweiten zerriss das Trommelfell und ein Splitter drang in seine Lunge ein.

Wäre die Bombe nicht so dilettantisch konstruiert gewesen, dann hätte der darin enthaltene Sprengstoff nach Einschätzung der Polizei wesentlich mehr Schaden angerichtet und einen Teil des Gebäudes zum Einsturz gebracht. Vorher hatten die "Wilden" bereits zwei Bomben an das Nanotechnologielabor der Universidad Politécnica del Valle de México geschickt. Eine wurde entdeckt, bevor sie Schaden anrichten konnte, die andere verletzte bei der Detonation einen Wachmann. Ob eine Briefbombe an die Universidad Politécnica de Pachuca in Hidalgo, die im Dezember explodierte, auf das Konto derselben Gruppe geht, ist noch nicht klar.

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