Spaltung Europas rückt auf die Tagesordnung

Im Geheimen wird an neuen Plänen gearbeitet und der Griechenland-Ausstieg konkret vorbereitet

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Seit langem wird berichtet, dass zwischen Berlin und Paris schon an konkreten Plänen für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten gebastelt wird. Ausdrücklich wird in den Planungen auch das Risiko einer Aufspaltung Europas in Kauf genommen. Nun wurde von einem geheimen Masterplan berichtet, über den schon beim kommenden EU-Gipfel debattiert werden soll. Offen schließt der neue französische Finanzminister den Austritt Griechenlands aus der Eurozone nicht mehr aus. Berlin drängt Spanien derweil unter den Rettungsschirm, doch das Land wehrt sich mit französischer Unterstützung.

In den Regierungen der europäischen Gemeinschaft wird längst über die aktuelle Krisenbewältigung hinausgedacht, wurde nun berichtet. Hinter den Kulissen werde an Plänen für ein neues und stabileres Europa geschmiedet.

Als Preis dafür werde das Risiko einer Spaltung in Kauf genommen, berichtet "Die Welt". Angeführt wird dazu auch eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in der sie sich gegen "Denkverbote" in der Frage ausgesprochen hat, "wie wir uns in den nächsten fünf bis zehn Jahren weiterentwickeln".

In Hinterzimmern der EU-Institutionen wird angeblich an einem ganz neuen Europa gearbeitet

Nach den Recherchen der Zeitung soll schon beim EU-Gipfel Ende des Monats über einen Masterplan beraten werden. Ein "Weiter so" dürfe es bei der Euro-Rettung nicht geben, weshalb die Spitzen der europäischen Institutionen im Auftrag der Regierungschefs längst an einer neuen Vision arbeiteten. Während des informellen EU-Gipfels am 23. Mai in Brüssel hätten die Staats- und Regierungschefs EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, Kommissionschef José Manuel Barroso, an den Euro-Gruppen-Vorsitzenden Jean-Claude Juncker und den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi einen entsprechenden Auftrag erteilt, um "die EU auf eine neue Ebene" zu heben.

Van Rompuy solle Eckpunkte des Plans Ende Juni darlegen und bis zum Jahresende sollen die Staats- und Regierungschefs diese "roadmap" offiziell und schwarz auf weiß beschließen. "Es könnte ein revolutionäres Schriftstück werden", berichtet die Zeitung. Sie weist auf vier zentrale Bereiche hin: Strukturreformen, Banken-Union, Fiskalunion und politische Union. Demnach werde in Hinterzimmern der EU-Institutionen an einem ganz neuen Europa gearbeitet.

Bewusst werde eine Spaltung der Eurozone und Europa als Risiko eingeplant, wenn einzelne Staaten nicht bereit sind, den Weg der Vertiefung mitzugehen. Glaubhaft wird das zum Beispiel auch dadurch, dass ohnehin nicht mehr alle Länder die geplanten Schritte mitgehen. Schließlich wurde auch Merkels Fiskalpakt ohne die Zustimmung aller durchgedrückt (EU-Vertragsänderung scheitert an Briten und Ungarn). "Wir müssen die Euro-Zone vertiefen, um sie zu stabilisieren", zitiert die Zeitung eine ungenannte Quelle. Die Euro-Zone müsse dabei eine "Vorreiterrolle" spielen, wird ein zweiter Vordenker zitiert.

Dementi aus Barrosos Büro

Zwar wurden aus Brüssel die angeblichen Planungen inzwischen dementiert, doch etwas anderes ist in diesem Fall auch nicht zu erwarten. "Es gibt keinen Geheimplan für die Umstrukturierung der Union, die Rettung des Euros oder für andere Dinge" sagte eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Die nach dem Bericht mit der Ausarbeitung der Planungen beauftragten Personen würden beim EU-Gipfel lediglich eine Arbeitsmethode und einen Zeitplan für die Arbeit an der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion vorlegen.

Glauben muss man derlei Dementis nicht, das hat die Finanzkrise in den vergangenen Jahren gelehrt. So wurde stets auch in Brüssel dementiert, als die Rettung von Ländern wie Griechenland, Irland und Portugal vorbereitet wurde. Kaum würde man in der Planungsphase einräumen, dass man einen massiven Umbau der EU vorbereitet. In der derzeit stark zugespitzten Situation, in der mit Spanien nun sogar das viergrößte Euroland dabei ist, in den Rettungsschirm abzustürzen, wäre es sogar schlicht unverantwortlich, wenn man sich in Brüssel keine Gedanken machen würde.

"Auf alle denkbaren Fallkonstellationen vorbereiten"

Über verschiedene Planungen, in der ebenfalls von einer Spaltung und vom Gedanken eines Europas der zwei Geschwindigkeiten gesprochen wird, wird zudem schon länger berichtet. Erinnert sei aber auch an die Worte von Finanzminister Wolfgang Schäuble, als er vor drei Wochen vielsagend erklärte:

Wir wären eine komische Regierung, wenn wir uns nicht auf alle denkbaren Fallkonstellationen vorbereiten würden, um sie dann auch meistern zu können - auch Situationen, die für Europa nicht einfach wären.

Das war zwar eine Antwort auf die Frage zum möglichen Griechenland-Austritt, doch geht die Antwort von Schäuble darüber hinaus. Der erwartete Austritt Griechenlands, den Schäuble für verkraftbar hält, würde natürlich eine Neugestaltung der EU und des Euro-Raums auf die Tagesordnung heben.

Die Wahlen in Griechenland

Da kommt es nur gelegen, dass der EU-Gipfel, auf dem über die Planungen gesprochen werden soll, nach den Neuwahlen in Griechenland liegt. Schon wegen der bisherigen Wahlergebnisse wird in Europa über ganz neue Szenarien nachgedacht. Schäubles neuer französischer Kollege hat dem Land offen mit dem Rauswurf gedroht. In Brüssel sagte der Finanzminister Pierre Moscovici, man könne den Griechen keine Empfehlung für die Parlamentswahl geben. Wenn aber das Land in der Eurozone bleiben wolle, müsse die Wahl Ergebnisse bringen, die dies auch erlaubten. Damit warb er für die beiden Parteien, die sich bisher stets an der Regierung abgewechselt haben.

Doch sie wurden am 6. Mai dafür von der Bevölkerung abgestraft. Noch 2009 konnten die konservative Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok gemeinsam 78% der Stimmen hinter sich vereinigen. Die bisherige große Sparkoalition kam gemeinsam im Mai aber nur noch auf 32%, weshalb sie keine Regierung bilden konnten. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ausgerechnet ein französischer Sozialist droht, schließlich hat seine Partei die Wahlen in Frankreich gewonnen, weil sie sich gegen den rigiden Sparkurs Merkels wendet (Eurozone auf Crashkurs). Doch Moscovici erklärte am Sonntag im französischen Fernsehen in Richtung Athen, die Frage nach einem Austritt werde sich "zweifellos stellen", wenn Griechenland die vereinbarte Sparpolitik nicht fortsetzen werde.

Dabei stellt sich die Frage doch wohl längst ganz anders. Egal wie in Griechenland gewählt wird, dürfte der Ausstieg nur noch eine Zeitfrage sein. Allseits bereitet man sich an den internationalen Finanzmärkten längst darauf vor, wie nun auch das große China.

Es machen schon Gerüchte die Runde, dass längst Drachmen gedruckt würden. Diskret würden die Banknoten nicht in Griechenland sondern in Großbritannien beim weltweit größten privaten Gelddrucker De La Rue gedruckt. Griechenland gehörte schon früher zu den Kunden. Firmenchef Tim Cobbold hatte kürzlich davon gesprochen, dass die Krise in Euro "Geschäftschancen" biete.

Hektische und widersprüchliche Aktivitäten und Debatten in Europa sind zudem stets ein deutliches Zeichen dafür, dass einschneidende Schritte bevorstehen. Die Furcht vor der Ausbreitung der Eurokrise zum Flächenbrand, der über Spanien möglicherweise auch das drittgrößte Euroland Italien in Brand setzen könnte, bildet dafür den Hintergrund. Erst letzte Woche hatte Wirtschaftskommissar Olli Rehn klar den Vorschlag von Barroso abgewiesen, die abstürzenden spanischen Banken direkt aus dem EU-Rettungsschirm zu finanzieren.

Bankenkrise und direkter Zugriff auf den Rettungsfond

Doch nun, so berichten spanische Zeitungen, hat sich Rehn gemeinsam mit dem Franzosen Moscovici plötzlich doch dafür ausgesprochen. Deutschland lehnt das ab, weil damit nicht einmal mehr der Staat in die Haftung genommen werden kann. Angesichts von Verwerfungen, die offenbar auch Rehn bei einem baldigen Austritt Griechenlands erwartet, müsse man den direkten Zugriff der Banken auf den dauerhaften Rettungsfonds (ESM) als Alternative erwägen, sagte er nun. Bisher hatte er das abgelehnt, weil es nicht Teil des ESM-Vertrages sei, der dafür aufwendig geändert werden müsste.

Der französische Finanzminister hat allerdings bei seinem Antrittsbesuch am Montag in Brüssel erklärt, die direkte Rekapitalisierung der Banken sei ein grundlegendes Thema, dass beim EU-Gipfel behandelt werden müsse. Auch Rehn sprach nun "kurz-, mittel- und langfristig" von einer "zentralen Frage".

Dass hinter verschlossenen Türen derzeit so einiges geplant wird, hat auch der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) bestätigt. Längst wird nach Formeln gesucht wird, wie bestehende Verträge schnell umgangen werden können, um abstürzende Banken in Spanien schnell auffangen zu können. Spanien will verhindern, dass das Land dafür einen Rettungsantrag stellen muss, wie es Irland für die Rettung seiner Banken tun musste. "Leute arbeiten an Wegen, wie der ESM genutzt werden kann, um Banken zu rekapitalisieren", hatte Mario Draghi im Europaparlament erklärt. Auch Ignazio Visco, Chef der italienischen Notenbank forderte:

Es muss die Möglichkeit geben, schnell auf den Anleihemärkten und direkt zugunsten von Banken zu intervenieren.

Offenbar bereitet man sich darauf vor, dass der stolze Spanier Mariano Rajoy eine Kraftprobe versuchen könnte. Denn der spanische Ministerpräsident will keinen Nothilfe-Antrag stellen, der ihm allseits längst nahegelegt wird. Der Druck auf das Land wurde angesichts steigender Zinsen in der letzten Woche enorm. "Der Spiegel" berichtet, dass auch deshalb die Bundesregierung das Land unter den Rettungsschirm dränge. Merkel und Schäuble hätten sich auf diese Linie geeinigt. Sie seien zur Einschätzung gelangt, dass Spanien nicht allein in der Lage sei, die Schieflage seiner Banken zu beheben.

Mit dem Gang unter den EFSF solle die Gefahr eingedämmt werden, "dass sich die Euro-Krise nach einem möglichen Ausscheiden Griechenlands in den angeschlagenen südlichen Ländern der Währungsunion verschärft", berichtet das Nachrichtenmagazin ohne Angabe von Quellen. Bei einem Treffen in Berlin habe Schäuble am vergangenen Mittwoch entsprechend auf den spanischen Wirtschaftsminister Luis de Guindos eingewirkt. Der habe Schäuble aber abblitzen lassen. Auch hierüber wird klar, dass man sich in Berlin darauf und wohl auf noch größere Veränderungen vorbereitet.

Der nächste heiße und hektische Euro-Sommer

Die Lage in Spanien wird sich ebenfalls vor dem EU-Gipfel etwas erhellen. Denn am 11. Juni werden die Ergebnisse vorgelegt, wie viel Geld das spanische Bankensystem benötigt. Allgemein wird erwartet, dass neue Milliardenlöcher auftauchen, die ebenfalls der Staat decken muss. Bekannt ist, dass allein die kürzlich verstaatlichte Bankia-Bank 23,5 Milliarden Euro benötigt. Gerechnet wird damit, dass Spanien für die Bankenrettung etwa bis zu 100 Milliarden Euro benötigen dürfte. Die müssen, auch wegen des Bank Runs, der längst eingesetzt hat sehr bald fließen.

Es zeichnet sich erneut ein heißer und hektischer Euro-Sommer ab. Das Ergebnis war im vergangenen Jahr der Schuldenschnitt für Griechenland, der ebenfalls stets ausgeschlossen und dementiert wurde und die Pleite nur verschoben hat