"Ist es nicht eine echte Sauerei, dass in einer Demokratie Interessen verfolgt werden?"

Jürgen Trittin zur Bilderberg-Konferenz

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Mit reichlich Ironie und wenig Inhalt antwortet der Grünen-Politiker auf Fragen zu seiner Teilnahme am Elite-Treffen in den USA. Jürgen Trittin nahm am vergangenen Wochenende am diskreten Treffen internationaler Machteliten Bilderberg in den USA nicht als Privatmann und nicht als Bundestagsabgeordneter teil, sondern als: Grüner. Das sagt der Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen gegenüber Telepolis.

Die Teilnahme des "Grünen" an der Bilderberg-Konferenz sorgte für reichlich Diskussion im Internet, und auch Spiegel-Online thematisierte den Ausflug Trittins zum Stelldichein der Weltenlenker.

In einer schriftlichen Anfrage vom Montag wollte Telepolis mehr über Trittins Auftritt im exklusiven Bilderberg-Zirkel wissen. Die Antworten des Politikers ließen auf sich warten, aber sie kamen und verdeutlichten: Die Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz führt bei den Verantwortungsträgern trotz Euro-Krise, bevorstehende demokratischen Verwerfungen und weltwirtschaftlichen Erschütterungen nicht zu einem Humorverlust.

Im Gegenteil: Der transatlantische Machtzirkel scheint die Bilderberger geradezu in echte Spaßvögel zu verwandeln. Bei Twitter amüsiert sich Trittin, dass "Florian Garthmann von SpOn [erst] 5 Tag[e] nach meinem ersten Tweet aus Virginia gemerkt [hat], dass ich bei Bilderberg war, wow!" und bei Telepolis bezeichnet der Politiker es als "Skandal, der rückhaltlos aufgeklärt werden müsse, dass er "zu spät geboren wurde, um an der ersten Bilderberg-Konferenz teilnehmen zu können."

Nur wenn es dann um die Frage einer weiteren öffentlichen Diskussion um seine Teilnahme in der handverlesenen Runde geht, dann scheint der Spaß ein Ende zu haben. Auf die Frage, ob Trittin grundsätzlich bereit wäre, in einem öffentlichen Rahmen über seine Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz und über die Konferenzen im Allgemeinen zu sprechen, heißt es dann leider nur noch: "Das tu ich doch hiermit schon, und mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen." Das klingt irgendwie humorlos.

"Dass auf Bilderberg bekanntlich nichts Geringeres als die große Weltverschwörung ausgeheckt wird?"

Herr Trittin, Sie haben an der diesjährigen Bilderberg-Konferenz teilgenommen. Wer hat Sie eingeladen (bitte möglichst konkret Antworten, also Namen der Person, die Sie eingeladen hat und Zeitpunkt)?

Jürgen Trittin: Eingeladen wurde ich durch den Internationalen Korrespondenten der Wochenzeitung "Die Zeit", Matthias Nass. Ich führe etwa einmal im Jahr bei den Vereinten Nationen und in den USA im Rahmen einer Abgeordnetenreise politische Gespräche. In diesem Jahr war ich vom 29.05. bis zum 31.05.2012 zu Treffen in New York und Washington, unter anderem mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und mit Vertretern der US-Administration, der Notenbank und des IWF. Deshalb konnte ich im Anschluss an die offiziellen Termine diese Einladung wahrnehmen.

Was war der Grund für ihre Einladung? Mit anderen Worten: Warum wurden Sie eingeladen?

Jürgen Trittin: Könnte es sein, dass einige fürchterlich gespannt waren auf das, was ich sagen würde?

Gab es Vorgaben, worüber Sie sprechen sollten? Wenn ja: Wie lauteten die Vorgaben? Von wem kamen die Vorgaben? Warum sollten Sie über das entsprechende Thema reden?

Jürgen Trittin: Es gab keine Vorgaben.

Worüber haben Sie gesprochen?

Jürgen Trittin: Ich habe für eine Abkehr vom einseitigen Sparkurs in Europa plädiert und mich für nachhaltige Investitionen in Bildung, Energie und Infrastruktur sowie einen europäischen Schuldentilgungsfond ausgesprochen - so wie ich es anderswo auch tue.

Selbstverständlich warb ich für eine Steuer auf Finanzgeschäfte und für eine Vermögensabgabe, um Krisenverursacher und Vermögende an den Kosten der Krise zu beteiligen. Ich habe dabei keineswegs nur Ablehnung registriert.

Im Gegenteil: Viele Anwesende hielten das derzeitige europäische Krisenmanagement ("too little - too late") für eine dramatische Unterschätzung der Krise und waren sich einig, dass eine Kurskorrektur dringend notwendig sei.

Was haben Sie gesagt? (Bitte um eine Abschrift ihrer Rede).

Jürgen Trittin: Mit einer Abschrift kann ich nicht dienen. Den Inhalt meines Beitrages habe ich eben skizziert.

Wie hat das Treffen auf Sie gewirkt, wie beurteilen Sie es?

Jürgen Trittin: Ich habe das erste Mal an einer Bilderberg-Konferenz teilgenommen. Nach meinem Eindruck unterscheidet sie sich wenig von vielen anderen Konferenzen, bei denen Manager, Wissenschaftler und Politiker zusammentreffen.

Worüber wurde bei der Konferenz gesprochen?

Jürgen Trittin: Über aktuelle Themen wie die transatlantischen Beziehungen, die aktuelle EU-Schuldenkrise, Fragen zur internationalen Energiepolitik und Cyber-Security. Ich habe dabei als Panelist über die Krise des Euro und der Europäischen Union diskutiert.

Zu den Konferenzen gibt es ein Protokoll (bzw. eine schriftliche Zusammenfassung), das jeder Teilnehmer erhält. Haben Sie das Protokoll bereits erhalten? Stellen Sie uns das Protokoll zur Verfügung?

Jürgen Trittin: Ich habe kein Protokoll erhalten.

In welcher Funktion haben Sie an der Konferenz teilgenommen? Als Privatmann, als Bundestagsabgeordneter…?

Jürgen Trittin: Als Grüner. Grüne Überzeugungen müssen gerade auch dort platziert werden, wo sie noch nicht aktiv vertreten werden. Bestimmte Personengruppen aus diesem notwendigen Meinungsaustausch auszuschließen, konterkariert dieses Anliegen. Dies ist und bleibt Prämisse meines politischen Handelns. Es geht nicht darum, wen ich treffe, sondern was ich ihnen zu sagen habe.

So wie ich in der Woche zuvor mit dem Vorsitzenden der griechischen linken Partei Syriza, Alexis Tsipras, gesprochen habe, spreche ich auch mit Vorständen bedeutender Wirtschaftskonzerne, Mitgliedern und Abgeordneten anderer Parteien, Medienvertretern und Wissenschaftlern. Wenn man andere von den eigenen Positionen überzeugen möchte, ist der direkte Dialog und Austausch notwendig.

Wie hoch waren die Ihnen entstandenen Kosten für die Konferenz?

Jürgen Trittin: Dem deutschen Steuerzahler sind durch meine Teilnahme keine zusätzlichen Kosten entstanden. Ich habe die Kosten privat getragen.

Wie hoch waren die Kosten insgesamt für die Konferenz?

Jürgen Trittin: Wenn Sie Journalist sind, wissen Sie bestimmt, wo Sie mit solchen Fragen an der richtigen Stelle sind.

"Was mich betrifft, gibt es da keine Geheimniskrämerei"

An der diesjährigen Konferenz haben gut 150 Personen teilgenommen. Viele der Teilnehmer sind mit dem Flugzeug angereist. Über die Umweltbelastung durch Flugzeuge sind Sie bestens informiert. War die Konferenz die Belastung der Umwelt wert?

Jürgen Trittin: Gemessen woran? Daran, dass auf Bilderberg bekanntlich nichts Geringeres als die große Weltverschwörung ausgeheckt wird? Oder in Relation zu einem G20-Treffen, einer UN-Klimakonferenz, dem Weltgipfel Rio +20, einer WTO-Konferenz oder dem Weltsozialforum?

Wie bewerten Sie, dass die Finanzierung der ersten Bilderberg-Konferenz aus Geldern US-amerikanischer und britischer Geheimdienste erfolgt ist?

Jürgen Trittin: Dass ich zu spät geboren wurde, um an der ersten Bilderberg-Konferenz teilnehmen zu können, ist ein unerhörter Skandal, der rückhaltlos aufgeklärt werden muss.

Am aktuellen Treffen hat auch der Direktor der National Security Agency (NSA) teilgenommen. Wie bewerten Sie diese Teilnahme?

Jürgen Trittin: Er musste sich meine Meinung anhören - das ist doch schon was.

Noch bis vor zwei Jahren hatte die Bilderberg-Gruppe weder eine Webseite noch war in irgendeinem öffentlichen Verzeichnis, beispielsweise als Verein o.ä. aufgelistet, auch gab es keinen Eintrag in ein Telefonverzeichnis. Wie bewerten Sie als demokratischer Politiker die Geheimniskrämerei der Gruppe?

Jürgen Trittin: Was mich betrifft, gibt es da keine Geheimniskrämerei.

Am Rande der Konferenz ist die Polizei gegen Protestierende vorgegangen, die sich an der Einfahrt zum Mariott Hotel aufgehalten haben und hat diese verhaftet. Darüber hinaus wurden Fotografen und Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes gehindert; Sicherheitskräfte haben ihnen teilweise verboten, von öffentlichem Gelände aus zu fotografieren (ein Kollege der Washington Post wurde am Fotografieren gehindert) .

Auch bei den Bilderberg-Konferenzen der vergangenen Jahre kam es zu ähnlichen Vorfällen. Wie bewerten Sie es als demokratischer Politiker, dass Vertreter der Presse durch private und staatliche Sicherheitskräfte an der Ausübung ihres Berufes gehindert werden, nur um die Teilnehmer der Konferenz von einem Pressekontakt abzuschirmen?

Jürgen Trittin: Ich bin gegen die Behinderung und gegen das Verbot friedlicher Demonstrationen - überall. Genauso absurd finde ich übrigens, dass Bilderberg-Kritiker in den USA allen Ernstes fordern, dass US-Bürger, die an der Bilderberg-Konferenz teilgenommen haben, wegen Verstoßes gegen den sogenannten "Logan Act" aus dem Jahr 1799 vor Gericht gestellt werden.

Wie sind die Rahmenbedingungen der Gruppe, z.B. Stillschweigen, Abschottung nach außen durch diverse Maßnahmen mit demokratischen Prinzipien zu vereinbaren?

Jürgen Trittin: Über meine Teilnahme gibt es kein Stillschweigen. Auf diesen Konferenzen geht es um einen offenen Austausch zu aktuellen Themen. Damit solche Diskussionen nicht nur in den üblichen Textbausteinen enden, finden sie häufig vertraulich statt. Dies unterscheidet Bilderberg-Konferenzen nicht von vielen anderen Formaten, wo sich Think-Tanks, Politiker und Unternehmen treffen.

"War es doch nicht ganz verkehrt, dass ich als eine 'weniger dem Kapital nahestehende Person' hingefahren bin?"

Seit vielen Jahren kritisieren Bürger die Zusammenkunft, die als elitär und abgehoben bezeichnet wird. Ist es nicht legitim, dass Bürger und Wähler nach mehr Transparenz verlangen, was die Zusammenkunft der Bilderberg-Gruppe angeht?

Jürgen Trittin: Ja, das ist genauso legitim wie das Recht jedes Menschen, sich auch ohne Öffentlichkeit treffen zu können.

Liegt es nicht nahe davon auszugehen, dass ein Treffen, das zu gut zwei Drittel von Persönlichkeiten aus der Wirtschaft dominiert wird, Interessen verfolgt? Mit anderen Worten: Lässt die klare Dominanz von Vertretern aus der Wirtschaft nicht darauf schließen, dass bei der Konferenz direkt oder indirekt auch wirtschaftspolitische Interessen versucht werden an den Mann bzw. die versammelten Politiker zu bringen?

Jürgen Trittin: Mit anderen Worten: Ist es nicht eine echte Sauerei, dass in einer Demokratie Interessen verfolgt werden? Hallo?

Die Meinungen über den Einflussbereich der Gruppe gehen weit auseinander. Ein Protokoll der Bilderberg-Konferenz aus dem Jahre 1955 in Garmisch-Partenkirchen verdeutlicht, dass Bilderberg ein Gremium ist in dem versucht wird, einen Konsens der versammelten Teilnehmer zu erreichen.

So muss erneut die Frage der Interessen des Zirkels aufgeworfen werden. Wie ist es mit ihrer Funktion als demokratisch gewählter Volksvertreter zu vereinbaren, an einer Konferenz teilzunehmen, bei der zwar keine Abstimmungen erfolgen, die aber zum Ziel hat, Konsens zu zentralen gesellschaftlichen, weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Fragen herzustellen (und das ohne Öffentlichkeit, also sozusagen im Hinterzimmer)?

Jürgen Trittin: Ein demokratisch gewählter Volksvertreter hat die Pflicht, überall das zu vertreten, wofür er gewählt worden ist. Und so war von Konsens wenig zu spüren.

Werden Sie sich als demokratisch gewählter Volksvertreter dafür einsetzen, dass die Konferenzen sich auch für weniger dem Kapital nahestehenden Gruppen und Personen öffnen? Beispielsweise könnte man zu der Konferenz auch Vertreter von NGOs etc. einladen. Wenn ja: Wären Sie dazu bereit, die Schritte, die Sie unternehmen, öffentlich zu machen? Wenn nein: Warum möchten Sie sich nicht für eine Öffnung der Gruppe einsetzen?

Jürgen Trittin: Also war es doch nicht ganz verkehrt, dass ich als eine "weniger dem Kapital nahestehende Person" hingefahren bin?

Der Forscher Ian Richardson hat zusammen mit Andrew Kakabadse und Nada Kakabadse Gespräche mit ehemaligen Teilnehmern (die Teilnehmer sprachen anonym) der Bilderberg-Konferenz geführt. Herausgekommen ist eine beeindruckende akademische Studie über die Konsensschmiede Bilderberg. Deutlich wird, dass es eine transnationale (Macht-) Elite gibt, die über diverse informelle Einrichtungen auf subtilem Wege Politik beeinflusst (PDF).

Darüber hinaus haben auch Forscher wie Kees van der Pijl, Leslie Sklair, G. William Domhof und H.J. Krysmanski dargelegt, dass Elitenetzwerke wie Bilderberg eben nicht nur den Charakter eines Debattierclubs haben. Wie ist ihre Meinung dazu?

Jürgen Trittin: Langweilig. Im Übrigen betrachte ich mich auch nach meiner Teilnahme an einer dieser Konferenzen nicht als Teil irgendeines "Elite-Netzwerks".

"Potz Tausend!"

Aus dem bereits zitierten Bilderberg-Protokoll von 1955 ergibt sich, dass bereits damals innerhalb der Bilderberg-Gruppe über eine gemeinsame europäische Währung gesprochen wurde. Etienne Davignon, lange Jahre Ehrenvorsitzender von Bilderberg, sagte gegenüber der Publikation EU Observer, dass der Euro ein Bilderberg-Projekt war. 1 Inwieweit hat ihres Wissens die Bilderberg-Gruppe zum "Projekt Euro" beigetragen.

Jürgen Trittin: Potz Tausend! Das war nicht Helmut Kohl mit der deutschen Einheit?

Wären Sie grundsätzlich bereit in einem öffentlichen Rahmen über ihre Teilnahme an der Bilderberg-Konferenz und über die Konferenzen im Allgemeinen zu sprechen?

Jürgen Trittin: Das tu ich doch hiermit schon, und mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen.