Griechenland: Mit Tempo in Richtung Weimarer Verhältnisse

Prügel vor laufender Kamera. Der Sprecher der Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) wird gewalttätig

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Wie sehr die Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) der eigenen Behauptung, sie sei eine friedliche Partei entspricht und würde lediglich von den bösen Medien und den politischen Gegnern verleumdet, zeigte sich spätestens gestern Morgen während einer politischen Vormittagstalkshow.

Zuerst hat Liana Kanelli mich angegriffen, ich habe mich nur verteidigt und werde Frau Kanelli anzeigen. Sollte ANT1 nicht das gesamte Video wiederholen, dann werde ich auch den Sender verklagen.

Mit diesen Worten erklärte der Pressesprecher der Chryssi Avgi, Ilias Kasidiaris, seinen skandalösen Ausfall vor laufender Kamera fünf Minuten vor dem Ende der Sendung "Kalimera Ellada" (Guten Morgen Griechenland), die über den Sender ANT1 ausgestrahlt wird.

Chronik einer angekündigten Explosion

Anwesend waren unter anderem die Parlamentskandidaten Liana Kanelli von den Kommunisten, Rena Dourou vom zur Partei gewordenen ehemaligen Linksbündnis SYRIZA, Prokopis Pavlopoulos von der Nea Dimokratia.

Der Sprecher der Chryssi Avgi, Kasidiaris, lieferte sich besonders mit den linken Politikerinnen einen verbalen Schlagabtausch. Kanelli konnte nicht hinnehmen, dass Kasidiaris die Militärdiktatur von 1967-74 lobte, sie widersprach ihm vehement. Zu vehement für den keinen Widerspruch duldenden Kasidiaris, der Kanelli in übelster Weise beschimpfte. Kasidiaris sprach in seiner Rage sogar zum ersten Mal das aus, was er bisher vehement bestritten hatte. "Wir sind die einzigen, die sich tätlich mit der Polizei anlegen und diese angreifen", entfuhr es ihm. In den Wochen zuvor hatte seine Partei solche Berichte ebenso wie die Anschuldigung, dass Schlägertrupps der Partei regelmäßig Pogrome veranstalten, als üble Propaganda der Gegner bezeichnet.

Daraufhin fragte ihn Rena Douro, was den mit seinem anhängenden Gerichtsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und bewaffneten Raubüberfall geworden sei. Die Anspielung auf den Prozess, der am Mittwoch auf Montag den 11. Juni vertagt wurde, brachte Kasidiaris endgültig außer Rand und Band. Er warf Dourou vor, dass "Spitzel deiner Partei mich mit Schmutz bewerfen." Dourou antwortete, "wir wollen keine Partei, die das Land fünfhundert Jahre zurück wirft." Das war zu viel für Kasidiaris, er sprang von seinem Stuhl auf und warf Wasser auf die SYRIZA-Politikerin.

Als daraufhin Liana Kanelli mit dem kommunistischen Parteiorgan, der Zeitung Rizospastis, nach ihm warf und "hau ab!" rief, betrachtete Kasidiaris dies - das zeigt seine Bereitschaft zur Anzeige gegen Kanelli - als tätlichen Angriff. Er verpasste Kanelli Ohrfeigen und Faustschläge vor laufender Kamera. Der aufgesprungene Moderator, Giorgos Papadakis, konnte dies nicht verhindern. Eine kurze Werbeunterbrechung unterbrach dieses Schauspiel.

Nach der Pause wurde sichtbar, dass der ebenfalls bei der Sendung anwesende Journalist Antonis Delatollas per Mobiltelefon Staatsanwältin Eleni Raikou informierte. Diese gab sofort einen Haftbefehl wegen "gefährlicher Körperverletzung" heraus. Außerhalb des Studios ging ohne Kamera die Show weiter. Der wütende Pressesprecher fotografierte bei parallelen Ausstoßungen von Drohungen mit seinem Mobiltelefon jeden, der ihn zurückhalten wollte. Er drohte, dass er seine Getreuen zu Hilfe rufen würde und schrie Zeugenaussagen zufolge in sein Telefon: "Anführer, schick mir 100 Leute zum ANT1. Ich habe da ein Problem."

Securitymitarbeiter des Senders sperrten ihn in einen Raum. Kasidiaris brach die Tür auf und flüchtete. Sollte Kasidiaris bis zum Samstagvormittag festgenommen werden, dann droht ihm laut Gesetz ein Schnellgericht, welches eine sofort vollstreckbare Haftstrafe verhängen kann. Schafft es Kasidiaris, der keinerlei Anstalten macht, sich zu stellen, sich so lange zu verstecken, dann kann er auf einige Monate Zeit bis zur Gerichtsverhandlung hoffen. Ebenso verhält es sich mit einer Anzeige, die Rena Dourou wegen tätlicher Beleidigung gegen ihn stellte

Seine Partei, die Chryssi Avgi steht loyal hinter ihm. Parteigeneralsekretär Nikos Michaloliakos kündigte Presseberichten zufolge an, dass er die Ordner des Senders sowie alle, die Kasidiaris am Verlassen der Studiogebäude hindern wollten, wegen unerlaubter Freiheitsberaubung verklagen werde.

Anlass zum Spott liefern die Bemühungen der Polizei, des flüchtigen Pressesprechers habhaft zu werden. Nach eigenen Angaben rennen Polizisten von Haus zu Haus, um die Verhaftung durchzuführen. Journalisten wunderten sich derweil, dass Pressevertreter leicht herausfinden konnten, dass sich Kasidiaris zumindest zeitweise in den Parteibüros der Chryssi Avgi versteckt hielt. Bis zum späten Donnerstagabend war er für die Polizei unauffindbar. Auf die Frage, warum man ihn nicht über das nachweislich eingeschaltete Mobiltelefon lokalisieren würde, antworteten Polizeisprecher, dass dies für solch eine kleine Straftat nicht vorgesehen sei.

Kanelli und Dourou waren nicht die einzigen Opfer des Tages. In Nordgriechenland wurde der aktuelle PASOK-Parlamentskandidat und ehemalige Abgeordnete, Stathis Koutmeridis, von einem Stoßtrupp der eklatfreudigen Partei unter der Führung des örtlichen Parlamentskandidaten tätlich angegriffen. Koutmeridis erstattete Anzeige.

Die Vorgeschichte

Direkt nach den Wahlen vom 7.Mai triumphierten die Anhänger der Chryssi Avgi. Seit dem Sprung von der 0,28 Prozentpartei bei den Wahlen 2009 zur Sieben-Prozent-Partei wurden die Nationalsozialisten nicht nur selbstbewusster, sie wurden auch zum Medienthema. Die sich überrascht gebende politische Welt des Landes meinte, dass das Ansteigen der Prozentzahlen für die Extremisten schlicht ein Protestvotum gewesen sei. Wenn man die Machenschaften der Partei aufdecken würde, so die Theorie, dann würden sich die knapp 440.000 Wähler mit Entsetzen von der Partei abwenden. Zuerst wurden die am 7. Mai gewählten Parlamentarier der Partei öffentlich vorgestellt. Die Wähler konnten endlich sehen, wen sie auf den Wahlzetteln angekreuzt hatten.

Danach wurden der Partei ganze Sendungen gewidmet. Zunächst gaben sich die Vertreter der rechtsextremen Partei überaus friedfertig. Kasidiaris wurde nicht müde, alle Anschuldigungen, die gegen seine Partei wegen Pogromen, Säuberungsaktionen und Bedrohungen politischer Gegner vorgebracht wurden, ins Reich der Fabeln zu verweisen. "Wer Beweise hat, der soll zum Staatsanwalt gehen", meinte er, "ansonsten zeigen wir ihn wegen Verleumdung an". Dem israelischen Journalisten Gil Shefler von der Jerusalem Post wurde vor wenigen Tagen jedoch genau diese Suche nach Beweisen fast zum Verhängnis. Shelter hatte versucht, Fotos von einer Pogromaktion zu machen, wurde entdeckt und zusammengeschlagen.

Schnell jedoch wandelte sich auch im Fernsehen nach der Ausrufung der erneuten Neuwahlen für den 17. Juni das Bild. Parteisekretär Nikos Michaloliakos referierte über seine Sicht zu Auschwitz und erklärte, dass es keine Massenvernichtungen dort gegeben habe (siehe Video - mit deutschen Untertiteln). Michaloliakos sah sich bei einer Demonstration bemüßigt, einen Polizisten übel zu beschimpfen, weil dieser nicht stramm stand, als die Truppe Chryssi Avgi die Nationalhymne intonierte.

Vor knapp einer Woche sah Kasidiaris sich aufgrund "seiner sieben Prozent Wahlstimmen" legitimiert, den Journalisten Manolis Kapsis übel zu beschimpfen. Kapsis forderte vor laufender Kamera eine Rücknahme der Beleidigung und erhielt stattdessen noch härtere Vorwürfe. Kapsis zog den Stecker und warf den Pressesprecher aus dem Studio. Zunehmend offenbarte Kasidiaris seine Empfindlichkeit gegenüber jeder Art Kritik. Dies zeigte sich vor wenigen Tagen besonders, als er bei einer Fernsehdiskussion auf den selbst erklärten Nationalsozialisten Kostas Plevris (Freispruch für Holocaustbefürworter und Antisemiten) traf.

Der wortgewandte, stets in ruhigen und zivilisierten Ton redende Jurist Plevris brachte den hitzköpfigen Kasidiaris ein ums andere Mal in Rage. Mal warf er ihm vor, dass es unmannhaft sei in Fünfergruppen auf einen wehrlosen Pakistani einzuschlagen. Dies sei mit dem Ehrgefühl eines Nationalisten nicht verträglich, meinte Plevris. Kasidiaris antwortete daraufhin mit seinem üblichen "es gibt keine Beweise Dementi" und Plevris legte noch einen drauf und warf der Chryssi Avgi gezielte Attacken gegen Politiker vor. Schließlich brachte er Kasidiaris mit der Feststellung zur Weißglut, dass es noch unehrenhafter als die Taten sei, für diese nicht einzustehen. Nur mit Mühe hatten es die Moderatoren geschafft, eine handgreifliche Auseinandersetzung zu vermeiden.

Das Echo

Mit scharfen Worten reagierte Staatspräsident Karolos Papoulias: "Die Gewaltaktion des Sprechers der Chryssi Avgi gegen Frau Liana Kanelli und Frau Rena Dourou beleidigt das demokratische Empfinden des griechischen Volkes", meinte er, "der Staat hat keine Toleranz für Phänomene, welche die demokratische Grundordnung brechen und unsere fundamentalen Werte treffen."

Der amtierende, kommissarische Premierminister Panagiotis Pikramenos rief die Vorsitzenden der politischen Parteien noch am Donnerstagmittag an. Er wollte den Gewaltausbruch allseitig verurteilen lassen und zeigte sich überaus besorgt. Die Regierung verlangte offen von der Chryssi Avgi, dass diese die Aktion des außer Kontrolle geratenen Pressesprechers verurteilen solle.

Nikos Michaloliakos nahm jedoch demonstrativ seinen Sprecher in Schutz. Dieser sei durch die Journalisten und Kommunisten, insbesondere aber durch Liana Kanelli, provoziert worden. Michaloliakos warf der Justiz vor, dass sie auf dem linken Auge blind sei.

Alle übrigen politischen Parteien verurteilten die Aktion Kasidiaris aufs Schärfste. Besonnene Gemüter erinnerten daran, dass auch ein gewählter Parlamentarier des SYRIZA, Petros Tatsopoulos, vor laufender Kamera die Nerven verloren hatte. Die Ökologen-Grüne verwiesen darauf, dass Kasidiaris bevorzugt Frauen angreifen würde. Fofi Gennimata, die Sprecherin der PASOK, meinte, "die sind nicht nur rechtsextrem, sondern auch unmännlich und Radaubrüder". Fotis Kouvelis von der Demokratischen Linken forderte ein Parteiverbot sowie die Untersuchung der übrigen "kriminellen Aktivitäten der Partei".

Der Vorsitzende der größten Journalistengewerkschaft des Landes, der ESYEA, Dimitris Trimis meinte:

Wir hatten letztendlich Recht mit der Meinung, dass die Nazis der Chryssi Avgi nicht lächerlich sondern gefährlich sind. Es hat keinen Sinn, den Gegnern der Freiheit, Freiheiten zu gewähren.

Er fügte hinzu, dass die Partei in Zukunft nur für Polizeiberichte ein Thema sei.

Die oberste Rundfunkkontrollbehörde, das Greek National Council for Radio and Television (NCRTV), entschied allerdings in einer Sondersitzung, dass ein Ausschluss der Partei seitens der Medien schlicht verfassungsfeindlich sei und deshalb verboten sei.

Gleichzeitig muss der Moderator Giorgos Papadakis mit einer saftigen Geldstrafe seitens der Kontrollbehörde rechnen. Denn als Hausherr ist er für seine Sendung und eventuelle Entgleisungen der eingeladenen Gäste haftbar. Er hat sich bereits entschlossen, nie wieder Vertreter der Chryssi Avgi in seine Sendung einzuladen.

Der Fall Kasidiaris beschäftigt auch Psychologen und Psychiater. Sie zeichnen das Bild einer Person, der jegliche Gewaltkontrolle und Selbstachtung fehlt. Journalistenverbände verkündeten, dass sie ihren Mitgliedern den öffentlichen Dialog mit Neonazis untersagen.

Nachtrag

Für den kommenden Montag werden anlässlich des bereits von Rena Dourou angesprochenen Prozesses gegen Kasidiaris, dem im Extremfall acht Jahre Zuchthaus erwarten, Randale befürchtet. Kasidiaris selbst wird nicht erscheinen, er lässt sich wie bereits bekannt wurde, von seinem Anwalt vertreten.

Verschwunden ist nicht nur Kasidiaris, auch seine persönliche Facebookseite ist nicht mehr erreichbar. Zahlreiche Anhänger hatten dort ihrem Idol für den schlagkräftigen Einsatz Respekt gezollt.

Prokopis Pavlopoulos musste sich zudem für seine Passivität bei Kasidiaris Gewaltausbruch rechtfertigen. "Es ging alles viel zu schnell", rechtfertigte er sich.

Schnell, wirklich schnell steuert Griechenland unter der Last des Kaputtsparens und der nie verwirklichten sinnvollen Reformen in Weimarer Verhältnisse.