Facebook als digitale Schuldnerkartei - Schufa-Forschungsprojekt im Zeitraffer gescheitert

Was sich die Finanzindustrie von der Schuldnerbewertung in sozialen Netzwerken verspricht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein von der Kreditauskunftei Schufa und dem Hasso-Plattner-Institut (HPI) Potsdam gemeinsam initiiertes Forschungsprojekt zum "Facebook Creditscore" genoss in der ersten Juniwoche in den Medien eine kurze, aber intensive Karriere. Nach nur zwei Tagen musste das "Forschungsprojekt" umgehend von den Initiatoren wieder gestoppt werden. Derartige Vorhaben sind jedoch nur der Auftakt, finanziellen Mehrwert aus sozialen Netzwerken zu ziehen.

Hinter dem Trend, persönliche Daten aus den sozialen Netzwerken zur direkten Bonitätsbewertung von Schuldnern bei der Kreditvergabe von Banken heran zu ziehen, steckt mehr als eine Eintagsfliege. Massive Verwertungsinteressen reduzieren die Nutzermasse zur Melkkuh, die es möglichst ohne entsprechende finanzielle und ideelle Gegenleistung für deren unfreiwilliges Mitwirken am Informationssammeln zu monetarisieren gilt.

Zunächst einmal darf man feststellen, dass es Datamining in sozialen Netzwerken im großen Stile längst gibt, bei Versicherern ebenso wie bei Banken. Dazu bräuchten wir also keine weiteren so genannten Forschungsprojekte, wie jenes zwischen Schufa und HPI. Dass das Thema aber aus gutem Grund an der Benutzerschnittstelle äußerst sensibel aufgenommen wird, diese Grenzerfahrung dürfte den Initiatoren quasi im Zeitraffer aufgegangen sein.

Hier der Wortlaut der Ankündigung in der Presse:

Das Hasso-Plattner-Institut (HPI) und die SCHUFA Holding AG haben ihre Zusammenarbeit im Bereich der technischen Datenverarbeitung mit dem Forschungsprojekt "SCHUFALab@HPI" gestartet. Ziel des Projektes ist die Analyse und Erforschung von Daten aus dem Web. Forschungsschwerpunkte sind einerseits die Validierung von Daten und anderseits Technologien zur Gewinnung von Daten. Bereits heute werden über das Web erfolgreich Daten gewonnen, beispielsweise bei Insolvenzverfahren oder Informationen aus dem Handelsregister.

HPI Potsdam

Kaum war das gemeinsame Forschungsvorhaben in den Medien platziert, bei dem sich alles um die Gewinnung von Daten aus dem Internet und sozialen Netzwerken drehte, hatte sich das ambitionierte Vorhaben quasi durch oberste Direktive des IT-Verbandes BITKOM schon wieder erledigt. Es galt, einen drohenden Imageschaden von der ganzen Branche abzuwenden. Denn BITKOM-Präsident Prof. Dieter Kempf befand dazu kurz und bündig: "Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte in die Praxis umgesetzt werden." Diese Aussage klingt zunächst eingängig, weist aber viele Tücken im Kleingedruckten auf.

Trotzdem zeigten die vielen Schläge sofort Wirkung. Bereits einen Tag später gab das HPI in Potsdam bekannt, dass es sich von dem Schufa-Projekt wieder zurückziehen will: Angesichts mancher Missverständnisse in der Öffentlichkeit über den vereinbarten Forschungsansatz und darauf aufbauender Reaktionen könne ein solches wissenschaftliches Projekt nicht unbelastet und mit der nötigen Ruhe durchgeführt werden, so BITKOM in seiner Stellungnahme.

Branchenverband Bitkom zieht die Notbremse

In einem kann man dem Branchenverband nur zustimmen: Das Durchforsten von sozialen Netzwerken nach Informationen, die logisch nachvollziehbare oder gar beweissichere Rückschlüsse auf die finanzielle Leistungsfähigkeit bei der Kreditvergabe von Banken und anderen Finanzdienstleistern erlauben, dieser Schritt würde viele Internetnutzer zu Recht verunsichern. Oder um es mit den Worten von BITKOM-Chef Prof. Dieter Kempf auszudrücken:

Wir sollten alles unterlassen, was das Vertrauen in das Internet beschädigt. Es wäre klug, auf manche Gedankenspiele zu verzichten. Die Menschen wollen sich frei und ungezwungen im Web bewegen. Diese Freiheit müssen wir erhalten und gleichzeitig immer wieder darauf hinweisen, dass man mit persönlichen Informationen im Internet sehr bewusst umgehen sollte.

Dieter Kempf

In der Tat, man kann das Forschungsprojekt für eine mehr als naive Schnapsidee halten. Man sollte von vorneherein von derartigen Projekten ganz die Finger lassen. Trotzdem bleibt die Frage, woher derartige Ideen kommen. Wie so oft der Fall gibt es auch hier konkrete Vorbilder in den USA, mit der Absicht, neue Geschäftsmodelle für die Finanzindustrie in Verbindung mit sozialen Netzwerken zu kreieren. Genau darum geht es der Schufa, die ebenso blauäugig wie die SAP-Jungkaderschmiede von Hasso Plattner - das HPI - in das Thema hineingelaufen ist. Es geht um Geld, um viel Geld. Auch SAP hat hier klare Interessen. Es geht nicht um ein unverbindliches Forschungsprojekt, nach dem Motto, mal schauen, was dabei rum kommt. Schon mal was von SAP-HANA oder der In-Memory-Technologie gehört? Auf der Homepage von SAP, dem einzigen deutschen Big Player in der globalen IT-Industrie, findet sich dazu folgende Erläuterung:

SAP HANA stellt ein neues Paradigma im Bereich des Echtzeit-Computings dar, mit dessen Hilfe Unternehmen ganz neue Herausforderungen erfolgreich meistern können. Auch bestehenden Geschäftsanforderungen können sich Kunden dank fortschrittlicher Analysen, neuen Anwendungen und ergänzten Software-Lösungen in einer vollkommen neuen Art und Weise nähern. Ein Kunde setzt SAP HANA beispielsweise für Profitabilitäts- und Vertriebsanalysen ein.

SAP

IT-Dienstleister mit massiven Verwertungsinteressen

Mit Blick auf "Forschungsoptionen" in der Finanzindustrie gibt es hier jede Menge ungenutzter Möglichkeiten. Möglich wird der effiziente mobile Abruf von Business Intelligence, das strukturierte Auswerten und Aufbereiten von Daten zur strategischen, taktischen oder operativen Entscheidungsfindung, durch ortsunabhängigen Zugriff.

Als Treiber aus den Chefetagen fungiert dabei, im geschäftlichen Sprachjargon ausgedrückt, die Erwartungshaltung, möglichst punktgenau die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Machen wir den Trend etwas genauer fest. Als neues Spielelement zu einer um mobile Anwendungen erweiterten Spielintelligenz tritt der Aspekt Social Media auf den Plan.

Immer mehr Anwender nutzen soziale Netzwerke und Plattformen auch für berufliche Zwecke im Büro oder unterwegs auf mobilen Endgeräten. Der Trend hat die Mitte der Gesellschaft erreicht, auch die ältere und für Finanzdienstleister lukrative Kundenklientel. Daher ist mit neuen, unmittelbar an die betriebswirtschaftlichen Kernsysteme angedockten Anwendungen zu rechnen, wie beispielsweise die so genannten Complex-Event-Processing (CEP)-Funktionen, um Geschäftsprozesse und Business-Events in Echtzeit zu überwachen.

Finanzindustrie will Analyse- und Prognosekraft steigern

Drücken wir die Vorteile von Dataming in sozialen Netzwerken für Banken und Kreditinstitute im zugegebenermaßen etwas verklausulierten geschäftlichen Sprachjargon aus: Zu den vorstellbaren Gestaltungsoptionen gehört ein möglichst vollständig und funktional integriertes Profitabilitätsmanagement, etwa durch Kundenpotenzial- und Kreditportfolioanalysen in Echtzeit.

Profitieren sollen Vertrieb, Service und Marketing durch flankierende Analyse der Absatzkanäle, bis hin zur Kundensegmentierung und dem Ausnutzen von "Cross-Selling-Potenzialen" im Sinne von (auch via Social Media) durchgängig optimierten Informationssystemen. Zugespitzt ausgedrückt: Es dreht sich alles darum, aktuelle "Bilanzrelevante Informationen" auf Knopfdruck von jedem Zugangspunkt aus stetig verfügbar zu halten. Um Social Media kommt man dabei kaum herum, so das neue Mantra der Finanzindustrie. Warum also für derartige Aufgaben, wie bei der Kreditauskunftei Schufa der Fall, nicht auch soziale Netzwerke dafür nutzen, um Dienstleistungen an Dritte zu verkaufen? Denn die In-Memory-Technologie ist, wie in der Öffentlichkeit wenig bekannt, am HPI in Potsdam durchaus nicht unmaßgeblich mit entwickelt worden. Das Auswerten von Informationen, Datamining in sozialen Netzwerken, wird sich aber auch ohne dieses gescheiterte Projekt weiter massiv verstärken. Insofern kann man dem harmlos vorgetragenen Ansinnen des HPI wenig Beifall spenden, in einer ergänzenden Stellungnahme das Projekt zu verteidigen und die öffentliche Kritik als eine Art von verzerrender Medienkampagne erscheinen zu lassen. So greift das HPI in einem Diskussionspapier die relevanten Punkte auf:

Es geht hier überhaupt nicht um etwas Geheimnisvolles. Ohnehin ist wissenschaftliche Arbeit ja öffentlich, denn es werden auch in diesem Forschungsprojekt alle Ergebnisse publiziert. Es geht bei dem Drittmittelprojekt schlicht um Forschung, die eine fundierte und belastbare Grundlage für eine abgewogene Bewertung dessen liefern kann, welche Web-Daten überhaupt verwertbar und welche Informationen generierbar sein könnten im Netz - dies ausdrücklich und vor allem auch unter dem Aspekt von gesellschaftlichen Risiken.

HPI Potsdam

Die gesellschaftlichen Risiken hat man nun bei den Initiatoren am eigenen Leibe erfahren. Trotzdem werden Schufa & Co. den Banken wohl ein neues Gebührenmodell aufpropfen, indem man neue Dienstleistungen aus der Taufe hebt. Warum also nicht in Facebook und Co. nachschauen, was der potentielle Kreditnehmer so alles treibt oder in seinem Leben bereits getrieben hat. Relevante Daten kann man zumindest bei einem vor gelagerten Forschungsvorhaben selbstverständlich auch in anonymisierter Form erheben.

Geschäftsmodell der Schufa fraglich

Wird meine Kreditwürdigkeit besser oder schlechter, wenn ich schon mal eine exzessive Party gefeiert habe? Da gäbe es jede Menge spannende Fragen, aber wohl kaum plausible Antworten. Die Schufa hat den Touch einer wenig transparenten Geheimdienstorganisation. Weder sind die Verfahren der Informationsgewinnung transparent, noch scheinen die Maßstäbe zur Bonitätsbewertung auf sachlich fundierter Analyse zu beruhen. Im Klartext: Ein erfolgreicher Selbstständiger erhält kaum einen Kredit, während ein Geringverdiener (Hauptsache sicheres Einkommen) gerne mal einen solchen in Anspruch nehmen darf. Der Kreditscore scheint von der Realität teilweise weit entfernt zu sein, so wenig berücksichtigt er oftmals die wirklichen Lebensverhältnisse von Menschen. Darauf aber kommt es bei Schufa und Co. gar nicht an. Eine stattliche Vermögensbasis von manch einem potentiellen Schuldner wird in der Kreditvergabe kaum berücksichtigt. Man könnte es über Nacht im Spielcasino verspielen, während etwa in Spanien einem Geringverdiener mit 1.200 Euro monatlichem Einkommen der Erwerb von zwei Eigentumswohnungen bis vor kurzem großzügig gestattet war. Es geht also bei Krediten nicht darum, den mündigen Finanzkunden herauszufiltern, sondern denjenigen, der im Hamsterrad am besten läuft oder laufen muss. Daran wird auch die von Brett King, einem der Vordenker zur "Bank 2.0", ins Leben gerufene Movenbank nichts ändern, die bald an den Start gehen soll. Moven Bank moves Industry closer to Social Media Credit Score titelte dazu mit Blick auf "soziale Kreditdaten" via Facebook und Twitter die Plattform leadgenerationformular.com. Ein Auszug:

It has grown a scoring product called CRED that combines normal scoring elements and a consumer’s amicable media "street credibility." This includes such metrics as a customer’s timeliness in profitable bills and bent to have disastrous balances, as good as station in amicable networks, and a ability to pointer adult friends for a bank. "If we introduced 20 friends, we competence supplement 25 basement points to a saving account, or offer giveaway p-to-p transfers," Brett King, owner and authority of MovenBank, and a author of Bank 2.0, told American Banker.

leadgenerationformula.com

So könnte das neue Mitmach-Hamsterrad der Finanzindustrie 2.0 aussehen. Jeder Mausklick wird belohnt oder eben bestraft. Was lernen wir daraus? Die soziale Kreditwürdigkeit als neues Geschäftsfeld wird weiter Schule machen, in jeder Form. In diesem Fall darf man penibler Deutscher sein, also nicht zu hundert Prozent allein ein vom marktliberalen Modell versklavter Kapitalist.

Bonitäts-Melkkuh für Gamification

Man darf es sogar noch deutlicher aussprechen: Meine Kunden- und Nutzerdaten gehören weder der Schufa noch der Movenbank, die nur auf der Modewelle surfen, um damit finanzielle Einnahmequellen bei Dritten zu erschließen. Und der Kunde darf in einem Gewinnspiel mitmachen oder er erhält ein virtuelles Bonuskärtchen oder eine andere schräge Form der "sozialen" Anerkennung. Sieht so die schöne neue Welt der "Mitmach-Bank" aus? Manche Pessimisten sehen die Bank der Zukunft sogar direkt im "Gamification"-Ansatz verortet. Dort kollidieren erst recht massiv wirtschaftliche Interessen zwischen Nutzer, Dienstleister und Bank. Man muss es gar nicht einmal durch die Brille eines übertriebenen deutschen Sicherheitsbewusstseins oder gar psychotisch betriebenen Datenschutzes sehen. Wir werden bald erleben, wie die Finanzindustrie versucht, das kleine und große Geldspiel via Facebook & Co. nach ihren Spielregeln spielen zu lassen. Fazit: Die Spielmöglichkeiten der Finanzindustrie in sozialen Netzwerken sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. In der Herangehensweise unter Ausblendung wichtiger Zielkonflikte hat man sich nun beim HPI in Potsdam ein erstes blaues Auge geholt. Die legitimen Persönlichkeitsrechte der Nutzer sind nicht nur passiv zu schützen, sondern erfordern ein ausgeklügeltes Augenmerk. Demgegenüber standen im Falle der Schufa handfeste Verkaufsinteressen von Computerkonzernen wie SAP oder IBM im Vordergrund (HANA und In-Memory-Technologie). Wirtschaftliche Interessen sind zwar prinzipiell legitim und nicht per se verwerflich, aber die Lösung kann nicht darin bestehen, die Nutzer von Facebook zu einer willkürlichen "Bonitäts-Melkkuh" zu degradieren, deren Rolle sich in erster Linie darauf reduziert, sich für Dritte monetarisieren zu lassen. Deshalb: Dataming via Facebook gibt es längst und man kann industrielle Verwertungsinteressen auch so betreiben, und zwar ohne diese hinter einem Forschungsdeckmantel zu kaschieren.

Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Im Mai 2010 erschien sein Telepolis-Buch: Die Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Er betreibt das Weblog Social Banking 2.0.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.