Erniedrigungsanstalt Arbeitsagentur

Torsten Montag über Praktiken beim Hartz-IV-Vollzug

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Der ehemalige Gründungsberater Torsten Montag, der jetzt eine Webseite für Hartz IV-Bezieher betreibt, hat unlängst das Buch Gehirnwäsche Arbeitsamt herausgegeben. In ihm klagen Arbeitslose über "77 Schikanen der Arbeitsagentur".

Herr Montag, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über die Schikanen der Arbeitsagentur und die kafkaesken Situationen dort herauszugeben?

Torsten Montag: Nun, ich habe einige Jahre Gründer auf ihrem Weg in die Selbständigkeit gecoached. In dieser Zeit sind mir sehr viele Menschen begegnet, die von der ARGE zu mir geschickt wurden. Ich habe den Umfang und die Art der Probleme der Leute kennengelernt, wie viele Steine ihnen in den Weg gerollt wurden und wie inkompetent teilweise sogar die Sachbearbeiter in Sachen Betriebswirtschaft und Existenzgründung waren, obwohl sie den Arbeitslosen helfen sollten. Außerdem habe ich einige Zeit Arbeitslose in Kursen der Erwachsenenbildung unterrichtet und auch bei dieser Tätigkeit Erfahrungen weniger mit den sozialen Ansätzen als mit den kommerziellen Absichten der Jobcenter und Bildungsträger gemacht.

Ich habe viel Bürokratie und Schikanen erleben müssen, die nicht nur mir zu denken gegeben haben. Den Job als Gründungsberater habe ich mittlerweile gegen den des Webseitenbetreibers eingetauscht. Seit dem biete ich den Betroffenen an, sich Luft zu machen und Gehör zu verschaffen.

"Man macht selbst vor Kindern oder schwer Kranken nicht halt"

Sie haben Langzeitsarbeitslose erzählen lassen, was sie in den Gemäuern der Arbeitsagentur erlebt haben. Was waren für Sie die schlimmsten Geschichten?

Torsten Montag: Besonders an die Substanz (zumindest an meine) geht es, wenn Kinder ins Spiel kommen oder gar auf deren Rücken der Kampf in Sachen Arbeitsagentur ausgetragen wird. Insbesondere behinderte Kinder waren des öfteren der Fokus im Streit um Gelder und Bedürftigkeit. Da stellt sich dem außenstehenden Betrachter schon die Frage, was das soll. Wie weit will die Politik noch gehen, wenn man selbst vor Kindern oder schwer Kranken nicht halt macht?

Mich hat zum Beispiel berührt als einer Langzeitarbeitslosen, die aufgrund der Schwerbehinderung ihres Kindes schwer vermittelbar ist, angeraten wurde, ihr Kind ins Heim zu stecken. Oder dass ein Epileptiker sich keine Medikamente leisten kann. Oder wenn ich höre dass bei einer Schwangeren nachgefragt wird, ob sie schon bei Profamilia wegen einer Abtreibung war.

Ich persönlich halte das für rücksichtslos und verantwortungslos im höchsten Grade, aber das sind wir ja von der Bundesregierung mit ihren Politikern in vielen Fällen schon gewohnt. Worüber ich mich aktuell sehr gewundert habe: Eine Arbeitslose wollte eine Umschulung zur Erzieherin machen. Da dieses Thema aktuell in der Presse aufgrund der Kita-Problematik der Politik sehr wichtig ist, könnte man ja meinen, die Frau hat die Umschulung bekommen, um so den Erzieherinnenmangel zu beheben. Jedoch weit gefehlt.

Über was haben sich ihre Autoren am meisten beklagt?

Torsten Montag: Die Ungleichbehandlung sowie die massive Bürokratie in den Jobcentern sind die häufigsten Kritikpunkte an den ARGEn. Aber auch die teilweise menschenunwürdige Kommunikation, von oben herab, nach dem Motto: "Das schaffen Sie doch sowieso nicht." stört die Arbeitslosen sehr häufig.

Was schätzen Sie: Wie viele Arbeitslose werden von der Arbeitsagentur bedrängt und schikaniert? Ist dieses entwürdigende Verhalten rechtlich sanktioniert? Warum ist in der Öffentlichkeit darüber nichts bekannt?

Torsten Montag: Eine Schätzung vermag ich nicht aufzustellen, dazu sind mir die Strukturen dieses Amtes zu undurchsichtig. Rechtlich ist es ebenso schwer dagegen vorzugehen, wie es fast unmöglich ist, seinen Nachbarn rechtlich zu belangen, wenn man mit ihm allein am Zaun sich ein Wortgefecht liefert. Dies scheitert häufig an der Nachweisverpflichtung, denn wenn ich jemanden beschuldige, muss ich Beweise vorbringen können. Da das die meisten Arbeitslosen dazu außerstande sind und in der Regel allein vor dem Sachbearbeiter sitzen, nutzt auch der kostenlose Rechtsanwalt nichts, den der Hartz IV-Empfänger beauftragen könnte.

Welches Ziel verfolgt man mit diesen Gemeinheiten? Ist das politisch gewollt?

Torsten Montag: Die Ziele sind mir ehrlich gesagt ebenso schleierhaft, wie den Betroffenen selber. Ob nun politisch oder nicht, es ist einfach keine Form des Umgang. Das scheinen viele Sachbearbeiter beim Amt zu vergessen. Ob nun aufgrund der täglichen Routine oder eigener persönlicher Erfahrungen kann ich auch nicht sagen. Der Dienstherr sollte dahingehend den Sachbearbeitern öfter auf die Finger schauen oder durch geeignete Maßnahmen das Einschleifen solcher Routinen verhindern. Und genau das ist Sache der Politik.

Sie haben Ihrem Büchlein drei rote Karten für Sachbearbeiter in der Arbeitsagentur beigelegt. Hat schon jemand eine dieser Karten gezückt?

Torsten Montag: Dahingehend bekomme ich leider kein Feedback. Wünschenswert ist es aber.

Sie selbst betreiben die Internetplatform arbeitslosengeld-2.de. Welches Feedback haben Sie damit bislang bekommen?

Torsten Montag: Sehr viel Dank und positives Feedback und ich habe viel über andere Schikanen der Betroffenen erfahren. Aber auch negative Kritik wurde mir zugetragen, in der mir zum Beispiel vorgeworfen wird, ich würde mich über das Buch und die Geschichten an den Arbeitslosen bereichern oder ich würde sie zusätzlich ausnutzen. Selbst bin ich der Überzeugung, das jeder selbst entscheiden kann, wofür er sein Geld ausgibt, auch Arbeitslose. Zumal das Buch und die gesamte Aktion eher die Politiker und Verantwortlichen in er Wirtschaft als Zielgruppe ansprechen soll, denn nur die sollen und können etwas an der Situation verändern. Insgesamt bin ich aber vorwiegend auf positive Resonanz gestoßen

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