Verängstigte Grashüpfer sterben länger...

Der Rotbeinige Grashüpfer Melanoplus femurrubrum kommt in den USA sehr häufig vor, in Mitteleuropa gar nicht. Bild: Dror Hawlena

... oder warum es sinnvoll ist, Spinnen das Maul zuzukleben

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Die Beschreibung dieses Versuchs liest sich wie aus dem Tagebuch eines 10-jährigen, experimentierfreudigen Jungen abgeschrieben: Man sperre ein paar Grashüpfer in einen großen Käfig. Damit den Tieren nicht langweilig wird, lasse man nun eine Jagdspinne der Art Pisaurina mira auf die Tiere los - allerdings verschließe man dem Räuber zuvor mit etwas Klebstoff das Maul. Pisaurina mira soll den Grashüpfern nur Angst machen, sie aber nicht wirklich fressen.

Denn das würde den weiteren Verlauf des Experiments stören: Nun beobachtet man nämlich geduldig, wie die Leichen der vorhin noch lustig in der Gegend herumspringenden Grashüpfer mit der Zeit verrotten - und wie sich das auf die Umwelt auswirkt. Das einzige Detail, das nicht überliefert ist, besteht in der Schilderung, wie die Insekten vom Leben zum Tode gelangten.

Vermutlich starben sie keines natürlichen Todes. Aber da es sich hier doch nicht um einen Auszug aus einem Tagebuch handelt, sondern um ein Paper im renommierten Wissenschaftsmagazin Science, dürfen wir doch davon ausgehen, dass den Lebewesen dabei kein übermäßiges Leid zugefügt wurde.

Die Raubspinne Pisaurina mira (hier mit einem Eisack) diente dazu, den Grashüpfern Angst einzujagen. Bild: Dror Hawlena

Auch das hätte nämlich die Ergebnisse des Versuchs verfälscht. Die US-Biologen, die für die Arbeit verantwortlich sind, wollten damit nämlich zeigen, dass auch kleine Ökosysteme auf oft überraschende Weise funktionieren. Ein solches System ist der Erdboden: Hier wird dauernd in verschiedenen Verwesungsprozessen pflanzliche Materie in neue Nährstoffe umgewandelt. Dass auch tierische Materialien hier eine Rolle spielen könnten, war den Wissenschaftlern bisher nicht in den Sinn gekommen: Der Anteil des Pflanzenmaterials ist einfach viel höher.

Das Experiment mit Grashüpfern und Jagdspinnen zeigt nun aber, dass Sekundäreffekte durchaus eine Rolle spielen können: Wie die Forscher herausfanden, bremst die etwas andere chemische Zusammensetzung der durch ihr Zusammenleben mit Räubern gestressten Grashüpfer den Abbau nicht nur ihrer eigenen Körper, sondern auch den gleichzeitig abgelagerter Pflanzenteile.

Dabei bewiesen die Forscher außerordentliche Geduld: Nach 118 Tagen etwa maßen sie in einer Mischung aus Resten von Pflanzen und Leichen gestresster Grashüpfer eine um 62 Prozent geringere Mineralisierung als bei Anwesenheit stressfrei aufgezogener Tiere (genauer: deren Leichen). Das galt, obwohl die Tiere nur einen geringen Gewichtsprozentsatz ausmachten (140 mal weniger als die Pflanzenmasse) und sich die Zusammensetzung der gestressten und ungestressten Insekten auch nur um ganze vier Prozent unterschied.

Eine mehrere Wochen alte Grashüpferleiche. Bild: Dror Hawlena

Die Forscher erklären das damit, dass die Anwesenheit bestimmter Stresshormone die Arbeit der für die Zersetzung zuständigen Mikroorganismen besonders effizient hemmt. Die Arbeit zeigt auch, dass man eventuell herkömmliche Konzepte der Nahrungskette überdenken muss: Die Räuber an der Spitze beeinflussen das komplexe System eben nicht nur, indem sie die Menge der Pflanzenfresser regulieren, sondern auch über sekundäre Prozesse.