Killt die GEMA die Berliner Clubszene?

Dr. Motte und andere Musiker und Veranstalter aus der Hauptstadt wollen morgen gegen die Tarifreform 2013 demonstrieren

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DJ und Clubbesitzer Dr. Motte, selbst GEMA-Mitglied, kritisiert vehement die als "Vereinfachung" gepriesene Änderung des bisherigen Tarifsystems der GEMA, die zum Jahreswechsel in Kraft treten soll. Diskotheken, Clubs und Musikkneipen seien von Gebührenerhöhungen von 400 bis über 2.000 % bedroht. Clubbetreiber, Party-Veranstalter, DJs, Musiker und Beschäftigte der Berliner Club- und Kulturszene treffen sich seit dem 21. Mai jeden Mittwoch im KitkatClub, um Aktionen gegen die beschlossenen Tarifänderungen zu diskutieren. Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) macht mobil. Während sich die GEMA wie ein lächelnder Eisberg gibt, befürchtet Love Parade-Erfinder Dr. Motte verheerende Folgen für die Berliner Club-Kultur.

Die GEMA will zum Jahreswechsel ihre Tarife erhöhen. Was genau hat die GEMA im Clubbereich vor?

Dr. Motte: In einer noch nie da gewesenen Vorgehensweise und Arroganz spielt die GEMA ihre übermächtige Stellung gegenüber den Musiknutzern in Deutschland aus, schreibt die DEHOGA in ihrer Pressemeldung vom 2. April 2012. Die GEMA möchte gerne, wie die zwei Vertreter der GEMA auf dem DJMeeting am 23. Mai 2012 in Dortmund sagten, den Tarifdschungel vereinfachen und macht deshalb aus 11 Tarifen 2 neue Tarife und sie will ja nur 10% des Eintritts für Veranstaltungen mit Tonträgern. Die GEMA beklagt Kommunikationsprobleme mit den Verbänden wegen deren schlechten Strukturen an. Sie verschweigt aber die vielen neuen kommenden und vom GEMA-Vorstand beschlossenen Aufschläge.

Neu soll jetzt eingeführt werden: der Zeitzuschlag, Veranstaltungen die länger als 5 Stunden dauern, bekommen 50% Aufschlag, für jede weitere 3 Stunden jeweils wieder 50% Aufschlag. Neu der Laptop-Zuschlag; der Kopierzuschlag für selbstgebrannte CDs; die neu Berechnung des gesamten Raumes, in dem die Veranstaltung stattfindet, also von Wand zu Wand mit allem, was dazugehört, wie Tresen und Bestuhlung; Neu: die Berechnung der Gebühr, gestaffelt nach der Höhe des Eintritts. Die GEMA nimmt immer nur den höchsten Preis der Abendkasse an und rechnet nicht den verbilligten Vorverkauf mit ein. Interessant ist, kein GEMA-Mitglied wurde über die neuen Tarife intern informiert!

Wie begründet die GEMA ihre Tariferhöhung?

Dr. Motte: Die GEMA begründet die Tariferhöhung mit teils nur einem Argument: "Die Veranstalter haben in den letzten Jahren zu wenig gezahlt!" und "Im Ausland ist alles viel teurer". Darüber hinaus gab es einen bestehenden Zwei-Jahresvertrag mit der DEHOGA, und dort kam man direkt nach Ablauf des ersten Jahres wieder an und wollte über die Tarifreform 2013 diskutieren und führt außerdem das Argument an, das Ausland wie Österreich oder Schweiz würde bereits noch höhere Gebühren bezahlen.

Das sind alles Killerphrasen, weil nicht mit Zahlen belegt. Die GEMA führt außerdem Verluste an, die sie gemacht hat. Knappe 850 Millionen Gewinne für 2011! Zu beanstanden ist auch der Verteilerschlüssel, der ebenfalls intransparent ist! Zu beanstanden ist auch das Diskotheken-Monitoring, das ebenfalls ungerecht hochgerechnet wird. Die GEMA schreibt auf ihrer Webseite:

(Stand April 2012) Die GEMA lizenziert mechanische Musikwiedergaben in Veranstaltungsräumen mit regelmäßigem Tanz nach dem Tarif M-U III 1c. Zu den insgesamt in Deutschland erfassten ca. 5.000 Tanzflächen zählen überwiegend Diskotheken, aber auch andere Tanzbetriebe mit unterschiedlichen Musikangeboten. Aus dieser Menge werden ca. 120 Tanzflächen durch eine sogenannte "geschichtete Zufallsstichprobe" statistisch so ermittelt, dass durch einstündiges Programm-Monitoring pro Woche und Tanzfläche (immer zu zufällig ausgewählten Tagen und Stunden) das gesamte Spektrum der in einem Jahr wiedergegebenen Musiktitel repräsentativ abgebildet wird. Eine Gewichtung der Tanzflächen nach Größe oder Lizenz-Höhe erfolgt nicht.(...)

Warum werden nicht alle Tanzflächen und alle tatsächlichen Stunden im Monitoring mit einbezogen und an die wirklich gespielten Stücke ausgeschüttet? Stattdessen wird eine unbekannte Formel für eine Hochrechnung benutzt, die nur die Interessen einiger weniger in der GEMA nützt. Es herrscht eben keine faire Teilhabe an den Einnahmen für alle Autoren innerhalb der GEMA. Wir fordern deshalb Transparenz und faire Tarife.

Steuernachzahlung für Eintrittsgelder für 5 Jahre rückwirkend, weil ein Beamter nicht verstanden hat, wie DJ-Konzerte in Berliner Clubs funktionieren

Welche Effekte für die Clubszene erwartest du von der Tarifreform 2013 und wer ist alles betroffen?

Dr. Motte: Alle sind betroffen. Alle. Clubs, Diskotheken, Bars, Kneipen, Karnevalssitzungen, Bälle, Schützenfeste, Straßenfeste, Musikparaden, und Kindergärten. In der nächsten Ebene sind Personal und direkte Zulieferer betroffen. Dass heißt DJ´s, Ausstatter, Veranstalter, Lieferanten, Druckereien etc. Darüber hinaus wird der Wegfall der Berliner und bundesweiten Club-Kultur, sich ebenso in der Tourismusbranche und in deren Kennzahlen niederschlagen. Deutschland ohne Musik? Der Veranstalter der Berliner Biermeile sagte mir, er wird keine Musik mehr spielen lassen.

Nur eines am Rande: Berlin lebt vom Tourismus und der Tourismus vom Berliner Nachtleben! 40% aller Berlinbesucher kommen schließlich wegen der Vielfalt des Nachtlebens nach Berlin. Es bricht also auch ein Jobmotor weg und damit die davon benötigten Steuereinnahmen, die die Stadt so nötig für den Rückkauf von RWE und Veolia (1,3 Milliarden) Anteilen und das BER-Desaster (1,0 Milliarden) usw. benötigt. Und als ob das noch nicht genug währe, will die GVL auch noch einen 100-prozentigen Aufschlag auf den GEMA-Tarif, Frau von der Leyen einen Rentenversicherungspflicht für alle Selbständigen und die ZPÜ (ein Unternehmen der GEMA) 1850 Prozent mehr für alle Speichermedien, das Berliner Finanzamt eine Steuernachzahlung für Eintrittsgelder für 5 Jahre rückwirkend, weil ein Beamter nicht verstanden hat, wie DJ-Konzerte in Berliner Clubs funktionieren! Und das Ordnungsamt, das allen das Leben schwer macht, Neu-Berliner Lärmanzeigen machen usw. usw. Ich könnte hier noch 1000 Beispiele bringen, aber zurück zu den Fragen ...

Welche Auswirkungen erwartest Du insbesondere für Musiker, die GEMA-Mitglieder sind?

Dr. Motte: Ich denke, es wird keinerlei Auswirkung für GEMA-Mitglieder haben. Es ist jetzt schon mies genug. Die GEMA wird seit vielen Jahren von den Verlagen BMG, SONY, UNIVERSAL usw. im eigenen Interesse umstrukturiert. Es gibt in der GEMA eine 3-Klassen-Gesellschaft.

1. Die angeschlossenen Mitglieder ohne Stimmrecht, mit denen die GEMA nur Verträge hat.

2. Die außerordentlichen Mitglieder, ebenfalls ohne Stimmrecht, das sind die Autoren und Komponisten mit kleinen Umsätzen.

3. Die ordentlichen Mitglieder, mit Stimmrecht. Das sind Autoren mit Umsätzen mit mindestens 30.000 Euro und mehr im Jahr und ungefähr 3400 an der Zahl.

Schon jetzt erhalten die außerordentlichen Mitglieder von der GEMA ganz schlechte Abrechnungen. Bei mir ist es so, dass die Gebühren genauso hoch sind wie das Geld, das ich ausgeschüttet bekommen sollte! Also 0,00 EURO! Wenn es noch schlechter wird, zahle ich drauf?

Bundesländer gegen GEMA

Ein Clubsterben wäre gerade für das Image Berlins wohl ein kultureller Verlust und könnte insbesondere dem Berlin-Tourismus schaden. Gibt es bereits Reaktionen der politischen Parteien?

Dr. Motte: Die ganze Tragweite muss erst noch richtig bei der Politik ankommen. Auf der 14. Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses fragte Herr Lauer von den Piraten die Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung, Frau von Obernitz, dass, wie die DEHOGA sagte, die GEMA ihre Monopolstellung missbraucht, es eine existenzbedrohende Lage gibt, auch für das Hotel und Gaststättengewerbe in Berlin, das Tausende Arbeitsplätze in Gefahr sind und Sie es in einem Interview mit dem Tagesspiegel nicht ernst nimmt und wie ernst es den werden muss, bis sie aktiviert wird.

Antwort von Frau Obernitz: Sie wartet die Entscheidung des Schiedsgerichts ab und denkt, dies sei der richtige Weg, sie hätte auch noch keinen einzigen Brief oder irgendein Signal bekommen, dass sie aktiv werden solle. Es gibt also eine Handlungsanweisung an uns, denn nur so ist das zu verstehen! Der Berliner Wassertisch arbeitet bei der FAIRplay mit und unterstützt uns zu dieser wichtigen Arbeit, wie sie sagen! Die Berliner Clubcommission ist mit Olaf Müller vertreten. Die Grüne MdA Katrin Schmidberger, Sprecherin für Clubkultur, unterstützt unsere Initiative ebenfalls. Es gab in Berlin eine Anhörung zur GEMA-Tarifreform mit allen Fraktionen in Berlin, und wer hatte kurz vorher den Termin wegen einer angeblichen Autopanne abgesagt? Die Vertreter der GEMA! Es gab jetzt eine Empfehlung aller Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhaus an den Berliner Senat, sich gegen die GEMA Tarifreform 2013 auszusprechen und ähnlich wie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Demonstration anlässlich der Jahreshauptversammlung der GEMA

Was wollt ihr gegen die diktierte Tarifreform unternehmen?

Dr. Motte: Wir unterstützen mit allen Mitteln die online openPetiton "Gegen die Tarifreform - GEMA verliert Augenmaß". Bis jetzt haben da schon mehr als 151.000 Personen unterschrieben, davon mehr als 146.000 aus Deutschland. Das ist sehr gut und beachtlich und zeigt das große und breite Interesse. Schade, dass die Petition keine ePetion am Bundestag ist. Dann hätte die Petition auch politisches Gewicht.

In Berlin haben wir von electrocult e.V. die Initiative "FAIRplay - Gemeinsam gegen GEMAinheiten" initiiert und werden am Montag, den 25. Juni 2012, vor der Kulturbrauerei in Berlin gegen die GEMA Tarifreform 2013 demonstrieren. Außerdem hat sich in Hessen der Verein "Clubs am Main" gegründet, um deren Interessen besser zu vertreten. Wir werden rechtliche Schritte prüfen und könnten uns auch eine einstweilige Verfügung vorstellen, die sich gegen die Aussage der GEMA richtet, sie wollen ja nur 10% von den Eintrittsgeldern (die GEMA meint immer die Bruttopreise). Denn das entspricht einfach nicht der Wahrheit.

Ich habe schon von der "GEMAPO", also der GEMA-Polizei geträumt

Wäre es eine Option, zum Massenaustritt aus der GEMA aufzurufen und als Clubbesitzer GEMA-Künstler zu boykottieren?

Dr. Motte: Darüber kann man nachdenken. Aber geht es um Musik bei einem Verwerter wie der GEMA oder um Überwachung, Kontrolle, Bestrafung für eigene Interessen? Am Ende muss aber jeder Club selber entscheiden. Aber eigentlich lässt die GEMA einem keine Wahl. Es gäbe genug GEMA-freie Musik aus dem Ausland. Allerdings will die GEMA dann eine genaue Liste der gespielten Titel und dies mit den bürgerlichen Namen und Adressen der Autoren. Das bedeutet einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Ich habe gehört, es soll bereits Internetlisten geben, die solche Informationen anbieten. Außerdem geht die GEMA damit auch von einer umgekehrten Beweislast aus, es könnte sich ja ein GEMA-Mitglied hinter einem Pseudonym verstecken! Ich habe schon von der "GEMAPO", also der GEMA-Polizei geträumt.

Für die Autoren sieht es allerdings ein bisschen schwierig aus! Jeder, der jetzt aus der GEMA-Vertrag aussteigen will, muss zwei Jahre warten, um seine Kompositionen GEMA-frei zu bekommen. Will heißen, wenn ich heute den Vertrag mit der GEMA als Autor kündige, und in einem Monat eine neue Komposition habe, verlängert sich die Wartezeit um einen weiteren Monat! Das würde einem Berufsverbot gleichkommen. Ich bin da mit meinem Rechtsanwalt dran und prüfe rechtlichen Mittel dagegen einzulegen.

Wir danken für das Gespräch!

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