Ex-Präsident Jimmy Carter verurteilt Drohnenkrieg von Obama

Carter will seinen demokratischen Parteikollegen und die Amerikaner daran erinnern, wieder für die Durchsetzung der Menschenrechte einzutreten, anstatt sie zu demontieren

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US-Präsident Obama setzt seit Beginn seiner Amtszeit und trotz seiner verunglückten Auszeichnung als Friedensnobelpreisträger auf den technischen, möglichst unsichtbaren Krieg mit verdeckten Einsätzen von Spezialkräften und bewaffneten Drohnen, die einzelne Menschen töten. Zur Selbstverteidigung im erklärten Krieg wäre dies wohl in Übereinstimmung mit dem Kriegs- und Völkerrecht, wenn bewaffnete Gegner zum Ziel werden. Wenn aber die US-Regierung hinter verschlossenen Türen, demokratisch und rechtlich unkontrolliert, nach welchen Kriterien auch immer festlegt, wer im Ausland zum Tode verurteilt wird, dann ist diese Praxis höchst bedenklich, zumal wenn andere Staaten sie sich zum Vorbild nehmen.

In den USA ist die Diskussion über diesen "sauberen" Krieg, von dessen Folgen es meist keine Bilder gibt und der daher in den westlichen Staaten (noch) im Dunklen bleibt, verhalten. Es gibt nur einzelne Stimmen, die Bedenken erheben, vor allem dann, wenn im Ausland auch US-Staatsbürger derart exekutiert werden. Gezielte Tötungen sind faktisch mit Anschlägen vergleichbar und finden in einem rechtsfreien Raum statt. Sie setzen praktisch die unter Bush eingeführte Willkürjustiz im Ausnahmezustand fort, durch den sich die US-Regierung das Recht gab, Verdächtige zu verschleppen, unbegrenzt zu inhaftieren und mit "strengen Verhörtechniken" zu befragen. Alles natürlich garniert durch scheinjuristische Argumente von Rechtsberatern.

In einem Gastkommentar für die New York Times kritisiert nun Ex-Präsident Jimmy Carter (1977-1981), ebenso wie Obama Friedensnobelpreisträger, die Praxis der gezielten Tötungen. Sie würden zeigen, dass die USA "ihre Rolle als globale Verteidigerin der Menschenrechte" verlasse. Jimmy Carter hatte in der Nachfolge von Gerald Ford eine Executive Order bestätigt. Durch diese wurden die im Kalten Krieg überbordenden Anschläge der CIA auf missliebige Politiker wie Castro oder Lumumba verurteilt. US-Militär, US-Geheimdienste oder andere für US-Behörden arbeitende Personen war es verboten, einzelne Menschen gezielt zu töten. Erlaubt war es hingegen weiterhin, durch Bombardierung oder mit Raketen Ziele anzugreifen, weil damit größere Zerstörungen angerichtet werden. Ronald Reagan bestätigte ebenfalls diese Executive Order, die kurz nach den Anschlägen vom 11. September von George Bush aufgehoben wurde (Lizenz zum Töten).

Allerdings wurde zuvor die Strategie der Präzisionsschläge mit entsprechenden Raketen entwickelt. Sie sollte nicht nur einen "sauberen" Krieg ermöglichen, indem Kollateralschaden minimiert wird, sondern diente wie schon während der Präsidentschaft von Bill Clinton zum Versuchen, eine Person, in diesem Fall Bin Laden, durch Präzisionsraketen über eine Entfernung von Tausenden von Kilometern in Afghanistan zu töten. 1998 verstrich noch zu viel Zeit zwischen der Ortung des Satellitentelefons von Bin Laden und dem Abschuss der Raketen. Drohnen haben eben den Vorteil, den zeitlichen Abstand zwischen Erkennen und Schießen zu minimieren (Ferngesteuerte Waffensysteme senken die Angriffsschwelle). . Nun wird man zwar kaum sagen können, dass die USA die Menschenrechte, an deren Ausarbeitung und Durchsetzung sie maßgeblich auf UN-Ebene beteiligt waren, überall und gleichermaßen verteidigt hätten, auch wenn dies das Selbstbild vieler Amerikaner sein mag. Carter, der nach seiner Präsidentschaft tatsächlich stets versucht hat, die Menschenrechte zu befördern, beklagt aber zu Recht, dass die USA aufgrund der "gezielten Tötungen", die rechtlich und durch beide Parteien im Kongress legitimiert wurden, "nicht mehr mit moralischer Autorität" über Menschenrechte sprechen könne. Die Kritik ist im Wahlkampf keine große Hilfe für den Parteikollegen, sondern ein längst fälliger Mahnruf.

Von höchster Regierungsstelle würden die Drohnenangriffe erlaubt, denen eine unbekannte Zahl von Zivilisten zum Opfer gefallen sei. Der Drohnenkrieg werden auch in Ländern wie Pakistan, Jemen oder Somalia betrieben, in denen offizielle kein Krieg herrscht. Das sei "in früheren Zeiten undenkbar gewesen", meint Carter und warnt vor außenpolitischen Folgen. Schließlich würden sich wegen des Drohnenkriegs Menschen gegen die USA wenden und könnten repressive Regime darauf hinweisen, um ihr eigenes Verhalten zu rechtfertigen.

Carter wirft der US-Regierung vor, dass sie nicht mehr die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte postulierten Prinzipien durchsetzt, sondern mit der Antiterrorpolitik mindestens 10 der 30 Artikel verletze, darunter auch das Verbot der "grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung". Auch das vermeintliche Recht, eine Person unter dem Verdacht, einer Terrororganisation oder mit ihr verbundenen Kräften anzugehören, unbegrenzt festzuhalten, verstoße ebenso gegen fundamentale Menschenrechte wie die Möglichkeit, ohne Richterbeschluss Kommunikation abzuhören. Gerade wenn Revolutionen überall auf der Welt geschehen, sollten die USA die Rechtsprinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte stärken und nicht schwächen, so Carter. Dass die Verletzung der internationalen Menschenrechte die USA von ihren Freunden entfremde, wie Carter warnt, trifft allerdings nicht wirklich zu. Die befreundeten Staaten, auch Deutschland, schauen bestenfalls zu oder leisten Beihilfe und kopieren.

Vor wenigen Tagen erst hatte Christof Heyns, der UN-Beauftragte für extralegale Tötungen, auf einer von der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU organisierten Tagung in Genf erklärt, dass der Drohnenkrieg der USA andere Staaten bestärke, lange Zeit aufrechterhaltende Maßstäbe der Menschenrechte zu unterminieren. Einige Angriffe könnten auch "Kriegsverbrechen" sein. In bewaffneten Konflikten könnten gezielte Tötungen legal sein, aber viele Drohnenangriffe fänden weit entfernt von Kriegszonen statt (s.a.: Gezielte Tötungen mit Kampfdrohnen verletzen zunehmend internationales Recht). Die US-Regierung reagierte auf einen Bericht von Heyns an den UN-Menschenrechtsrat mit der Erklärung, man führe solche Operationen "mit außerordentlicher Sorgfalt und in Übereinstimmung mit jedem anwendbaren Recht, auch dem Kriegsrecht" durch. Versprochen wird größere Transparenz.