Merkel steht zu Vattenfall

Der voraussichtliche Verlauf der globalen Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts auf der Grundlage verschiedener Emissionsszenarien, wie er von verschiedenen Wissenschaftlergruppen aus aller Welt für den 2007 veröffentlichten IPCC-Bericht berechnet wurde. Im Augenblick bewegen sich die Emissionen am oberen Rand des Worst-case-Szenarios, das in diese Grafik nicht aufgenommen wurde. Bild: IPCC

Die Energie- und Klimawochenschau: Ökostrom für die Bundeskanzlerin und nasse Füße für die Bangladeshis

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Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt die deutsche Öffentlichkeit wissen, dass das Kanzleramt künftig mit Ökostrom versorgt wird. Das soll vermutlich eine Art PR-Gag sein.

Was immer sich die Kanzlerin bei ihrer Ankündigung gedacht haben mag, eine Vorbildfunktion wird sie damit nicht einnehmen. Eher schon könnte man sagen, sie versucht krampfhaft der Stimmung in der Bevölkerung hinterher zu hecheln. Bereits vor einem Jahr bezogen nämlich in einigen deutschen Großstädten über 50 Prozent der Privathaushalte Strom, der ausschließlich oder fast ausschließlich von erneuerbaren Energieträgern geliefert wird.

Besonders peinlich ist allerdings, dass das Kanzleramt den Strom weiter von Vattenfall bezieht, dort also nur das Label gewechselt hat. Letzteres hat das Anti-Atombündnis "Atomausstieg selber machen" in Erfahrung gebracht und publik. Damit unterstützt die Kanzlerin nicht nur einen Konzern, der in der Vergangenheit die Öffentlichkeit wiederholt im Zusammenhang mit der Sicherheit seiner Atomkraftwerke belogen hatte (siehe Pannenserie in Vattenfall-AKWs).

Sie belohnt das Unternehmen zudem auch noch dafür, dass dieses derzeit die Bundesregierung auf der Grundlage eines Investitionsschutz-Vertrages auf Schadenersatz verklagt. Vattenfall möchte gerne Gewinne erstattet bekommen, die ihm aufgrund der im letzten Jahr verfügten Abschaltung seiner ohnehin seit Jahren stillstehenden Anlagen in Brunsbüttel und Krümmel angeblich entgingen. Nach Ansicht einiger Beobachter geht es um rund 700 Millionen Euro. Das Verfahren findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Berufungsinstanz statt.

Nasse Füße

Vattenfall ist zudem nach RWE der zweitgrößte Braunkohleverbraucher Deutschlands, und das soll was heißen. In keinem anderen Land wird bisher soviel dieser minderwertigen Kohle verbraucht wie zwischen Rhein und Oder. Wegen ihres geringen Brennwertes entstehen bei ihrer Verbrennung pro erzeugter Kilowattstunde rund 200 bis 300 Gramm mehr CO2 als bei der Verbrennung von Steinkohle. Der meist miserable Wirkungsgrad der alten Kraftwerke von knapp über 30 Prozent trägt ein übriges zur Belastung des Klimas bei.

Und um dieses steht es bekanntlich nicht besonders gut. Die weltweiten Emissionen befinden sich auf Rekordniveau (Klima: Emissionen auf Rekordniveau). Wissenschaftler der niederländischen Universität Wageningen sowie des deutschen Potsdaminstituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben kürzlich nachgerechnet, was das für den Meeresspiegel bedeutet. Ihr Ergebnis: Wenn in den nächsten Jahrzehnten nicht die Treibhausgasemissionen reduziert werden, bekommen künftige Generationen reichlich nasse Füße.

Bei dem Tempo, mit dem die Emissionen im Augenblick steigen, wird die Erde in 80 Jahren bei einer um etwa vier Grad höheren Temperatur landen. Aber das wissen wir schon seit einigen Jahren, spätestens aus dem letzten Bericht des sogenannten UN-Klimarates, des IPCC, aus dem auch die obige Grafik ist.

Michiel Schaeffer und seine Kollegen haben ähnliche Szenarien für das globale Klima zur Grundlage genommen, auf der sie die Entwicklung des Meeresspiegels berechnet haben. Ermittelt wurde der Anstieg mithilfe eines sogenannten semi-empirischen Modells, dass auf der Hypothese basiert, dass Meeresspiegel und Temperatur auch in den künftigen Jahrhunderten noch in gleicher Weise korrelieren, wie sie es im letzten Jahrtausend getan haben.

Das Besonderheit an der Studie von Schaeffer et al. ist außerdem, dass sie Projektionen bis zum Jahre 2300 entwirft. Bisher wurde von de meisten Wissenschaftlern nur abgeschätzt, wie sich der Meeresspiegel bis zum Ende des 21. Jahrhunderts entwickelt. Dieser weitsichtigere Ansatz der im Fachblatt Nature Climate Change veröffentlichten Arbeit ist insofern wichtig, als Ozeane und Eisschilde mit großer Trägheit auf die Erwärmung reagieren. Selbst wenn die Treibhausgas-Emissionen ab 2016 komplett eingestellt würden, so die Autoren, würde sich der Anstieg des Meeresspiegels noch bis zur Mitte des Jahrhunderts weiter verdoppeln - derzeit beträgt er rund drei Zentimeter pro Jahrzehnt - und erst danach wieder verlangsamen. Im Vergleich zum Jahr 2000 würde der Meeresspiegel bis 2100 selbst in diesem Fall noch um 40 bis 80 Zentimeter steigen. In den darauf folgenden beiden Jahrhunderten käme noch einmal etwas mehr als das Doppelte hinzu.

Entsprechend fallen die Ergebnisse dramatischer aus, wenn die Emissionen weitergehen oder gar noch weiter steigen. In einem Szenario, das die globale Erwärmung auf etwa 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt, wie es als bisher unverbindliches Ziel der Weltgemeinschaft gilt, verblieben noch etwa 700 Milliarden Tonnen CO2, die in den nächsten 48 Jahren emittiert werden können. 2050 müsste der Treibhausgas-Ausstoß dann auf Null zurückgefahren sein.

In einem solchen Szenario würde sich der Anstieg des Meeresspiegels bis zum Ende des Jahrhunderts etwas mehr als verdreifachen. Im Jahre 2300 wären die Pegelstände dann um 2,67 Meter höher, wobei der Unsicherheitsbereich wie bei allen hier zitierten Rechnungen natürlich um so größer wird, desto weiter der Blick in die Zukunft schweift. Günstigsten Falls liege der Anstieg bei Einhaltung des 2-Grad-Ziels bei 1,56 Meter und im ungünstigsten Fall bei 4,01 Meter. Würde die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt, wie es einige Entwicklungsländer und vor allem die Allianz der kleinen Inselstaaten fordern, könnte der Anstieg bis 2300 um etwa die Hälfte reduziert werden.

Was bedeuten die nackten Zahlen nun für den Alltag der Menschen? Am drastischsten werden die Auswirkungen dort sein, wo es an Ressourcen fehlt, rechtzeitig für den Küstenschutz zu sorgen. In Bangladesh würde ein Anstieg des Meeresspiegels um 1,5 Meter 16 Prozent der Landfläche kosten, auf der heute 17 Millionen Menschen leben. Für New York bedeuten einen Meter höhere Pegelstände, dass ein besonders schweres Flutereignis, das heute im Schnitt einmal in 100 Jahren auftritt, künftig alle drei Jahre zu erwarten wäre.

Bei all dem sollte man sich vergegenwärtigen, dass die Berechnungen keine Vorhersagen darstellen, sondern Projektionen. Schwachpunkt ist die Annahme des semi-empirischen Modells, dass sich das Verhältnis zwischen globaler Temperatur und Meeresspiegelanstieg nicht ändert. Im Klartext heißt das, dass bei der entsprechenden Erwärmung der Anstieg auch niedriger, aber durchaus auch höher ausfallen kann. Letzteres wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Eisschilde sich stark nichtlinear verhielten, wenn zum Beispiel der westantarktische Eisschild, dessen felsiger Untergrund weitgehend unterhalb des Meeresspiegels liegt, plötzlich destabilisiert werden sollte.

Erneuerbare weltweit auf dem Vormarsch

Keine allzu rosigen Aussichten also. Deshalb noch die gute Nachricht der Woche. "In den vergangenen zehn Jahren haben die Erneuerbaren Energien den Weltmarkt für neue Kraftwerke revolutioniert. Von einem Nischenmarkt haben sich Wind- und Sonnenkraftwerke einen Marktanteil von 40 Prozent gesichert", meint Sven Teske, Energieexperte von Greenpeace.

Die Organisation hat eine Analyse des Weltmarkts für Kraftwerke erstellen lassen. Wichtigstes Ergebnis: Die nächsten fünf Jahre werden entscheidend für den Klimaschutz sein. Bis 2017 könnten weltweit etwa 350 Kohlekraftwerke hinzu kommen. Die Folge wären zusätzliche jährliche 1,3 Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß und das für rund 40 Jahre, was der durchschnittlichen Lebensdauer eines Kraftwerks entspricht. Gleichzeitig sind aber auch Solar- und Windkraftanlagen in einem ähnlichen Umfang in Planung. Könnte deren Anteil weiter ausgedehnt und ein größerer Teil der geplanten Kohlekraftwerke noch verhindert werden, dann wäre viel für das globale Klima gewonnen.

Der Weltmarkt für diese Anlagen hat jedenfalls ein enormes Potenzial. Um die globale Energiewende zu schaffen, müssten nach Greenpeace-Angaben zum Beispiel die Erzeugungskapazitäten für Fotovoltaikanlagen von derzeit 60 GW auf 200 GW jährlich ausgedehnt werden. Genug Raum also für Hersteller nicht nur aus China, das inzwischen schon Weltmarktführer ist, sondern auch aus Europa und den USA. Pech bloß für manchen hiesigen Hersteller, dass ihnen kurz vor dem Einlaufen in die Zielgerade eine destruktive Politik der schwarz-gelben Regierungskoalition im Interesse der um ihren schwindenden Einfluss besorgten Energiekonzerne Knüppel zwischen die Beine wirft.

Anderswo geht es so oder so weiter voran. Für China wird in diesem Jahr mit der Installation von rund 5,5 GW neuer Solarleistung gerechnet, was gegenüber dem Vorjahr eine Verdoppelung wäre. Offizielles Planziel ist es, bis zum Jahr 2015 insgesamt 15 GW Solarleistung installiert zu haben. Allerdings werden davon Ende diesen Jahres vermutlich schon fast 9 GW erreicht sein, sodass wahrscheinlich der Plan mal wieder übererfüllt wird.

Die chinesischen Bürger wird es freuen, denn eine Umfrage hat kürzlich gezeigt, dass sich im Land der Mitte eine Mehrheit einen schnelleren Ausbau wünscht. Auch in Indien meinen die Bürger übrigens mehrheitlich, es sollte ein bisschen schneller gehen.