Altes Bein in neuen Strümpfen

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Abschied vom Nerd: "The Amazing Spider-Man", Marc Webbs Remake der Anfänge des Spiderman-Epos wirkt wie "Twilight" in Strumpfhosen

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Jeder heutige Teenager ist eigentlich ein Vampir. Oder ein Werwolf. Er hadert nicht mit dem Erwachsenwerden, sondern weiß um das Biest, das in ihm steckt. Er ist nie verunsichert, sondern nimmt ganz selbstverständlich die Verwandlung an, die in ihm geschieht. Er macht sich fit für Arbeit, Sport und Spiel, für das, was die Welt von ihm verlangt. Soweit die Ideologie. "Spiderman" war einst in diesem Sinn anti-ideologisch, zeigte einen Teenager, der mit sich hadert und für den das Leben und die Arbeit anstrengend sind. Weil heutige Teenager das nicht mehr verstehen (können), gibt es einen neuen Amazing Spiderman, ein Reboot.

Man fragt sich ja wirklich, was eigentlich in sie gefahren ist, in die grauen Herren von Hollywood: Nur zehn Jahre nach einem Film schon das Remake zu drehen! Klar, das hat es gegeben, beim Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm. Aber nicht in heutigen Zeiten, als seit dem ersten "Spiderman" von 2002 noch zwei weitere Sequels ins Kino kamen und alles auf DVD vorliegt, und, und... Die Halbwertszeit der Superhelden scheint jedenfalls ständig abzunehmen. Und man kann Tobias Kniebe nur Recht geben, wenn er in der "Süddeutschen" andeutet, das Hollywood-Kino gehe allmählich "von der Kreation zur Interpretation über".

"Spider-Man", also der dem Film zugrundeliegende, in den 60er Jahren entstandene Marvel-Comic handelt von der Pubertät. Vielleicht ist es dies, was den besonderen Charme der von Stan Lee und Steve Ditko erfundenen Geschichten ausmacht: Das romantische Grundmotiv eines in seinem Körper unheimisch gewordenen letztlich schwachen und von der Umwelt gering geschätzten Normalmenschen, der eine Doppelgängerexistenz als Superheld führt, ähnelt zwar dem von "Superman", "Batman" "Blade", "Wonder-Woman" und vielen anderen Comic-Helden; doch im Gegensatz zu diesen ist der zum Spinnenmensch mutierende Peter Parker eben noch Gymnasiast. Dadurch werden Identitätskonflikt, Liebeskummer, Allmachtsphantasie und anderes sofort verständlicher und glaubwürdiger, als wenn es sich um Erwachsene handelte.

Nur zehn Jahre nach Sam Raimis erstem "Spiderman"-Film drehte Marc Webb jetzt bereits ein Remake dieses Teils. Darin geht es vor allem darum, wie Spiderman das wird, was er ist: Ein Spinnenmensch im Dienst der Menschheit und der pubertierende Junge unter den Superhelden. Kein melancholischer Millionär wie Batman, kein Wesen vom anderen Stern wie Superman, sondern einer mit Pickeln, Hornbrille und Angst vor Mädchen. Wenn das Marketing nun trompetet, der neue Film konzentriere "sich auf eine bislang noch nicht erzählte Geschichte, die eine völlig neue Seite von Peter Parker" zeige, dann sollte man das nicht allzu wörtlich nehmen. Ist halt Marketing wie überhaupt alles an diesem Film.

Eher die Vista-Version eines Superhelden

In regelmäßigen Abständen führen Konzerne neue Computerbetriebssysteme ein: Aus XP wird Vista, wird Windows 7, wird Windows 8. Vista war einfach schlecht, und manche arbeiten immer noch auf XP oder jetzt auf Linux, weil ihnen die Applehaftigkeit von Win7 auf den Zeiger geht. Vor allem aber ist das viel Lärm um nichts. "The Amazing Spiderman" ist, um im Bild zu bleiben, eher die Vista-Version eines Superhelden: Sieht anders aus, ist schlechter als der Vorgänger, aber geht gerade noch.

Auch hier wieder ist Parker ein einsamer Waisenknabe, der von einer mutierten Spinne gebissen wird und selbst zum Spinnenmensch mutiert, der plötzlich die Fähigkeit hat, über Hochhäuser zu springen und mit technischer Hilfe riesige Netze, Seile und anderes Garn zu spinnen, mit dem man das Böse in der Welt bekämpfen kann.

Intelligente Unterhaltung, nicht nur Jungskino, sondern auch etwas für Mädchen - das machte den bisherigen phänomenalen Erfolg der Spider-Man Filme aus. Bei der Premiere von Raimis "Spiderman" im Jahr 2002 war Spiderman als Superheld allein auf weiter Flur, nachdem die Batman-Serie Mitte der 1990er versandet war. Inzwischen gibt es jedes Jahr mehr als einen Superheldenfilm, und in dem Gewimmel geht die Einzigartigkeit der Figuren schon mal verloren.

Der Unterschied zum von Tobey Maguire gespielten Vorläufer, ist aber zumindest früh klar: Dieser Spider-Man ist kein schüchterner, pickeliger Outsider, kein Nerd, sondern ein cooler hochbegabter Einzelgänger, der Skateboard fährt und sich für Fotografie begeistert. Ein ganz normaler Jugendlicher, mit etwas mehr Gefühl als andere. Ein überaus zeitgemäßer Held also. Das gilt auch für die Zielgruppe: Dies ist mehr als frühere Comic-Verfilmungen ein Teenie-Film. Weniger Comic, mehr Melodrama - ein bisschen wie "Twilight" in Strumpfhosen.

Viel deutlicher als in den Raimi-Filmen begegnet man hier auch aufdringlichem Produkt-Placement vom Mobiltelephon bis zu den Schuhen. Die Emotionen sind verkitscht, doch Regisseur Marc Webb findet eine gelungene Synthese zwischen Gefühl und Action. Webb ist zwar seit der romantischen Independent-Komödie "(500) Days of Summer" kein unbeschriebenes Blatt, aber doch eine Überraschung für dieses Projekt.

Sein Film ist routiniert und gut, aber gewiss kein Meilenstein des Superheldenkinos. Zum einen nimmt die Action weniger Platz ein, als es bei so einem Film sein muss, vor allem aber fehlen dem Film die emblematischen Bilder - Motive, die sich einprägen, die man womöglich noch nie gesehen hat. Dem Film hilft daneben ein netter Auftritt von Andrew Garfield, den man bisher in vielen Nebenrollen - zum Beispiel in "The Social Network" - gesehen hatte. Er versucht ernsthaft zu wirken und ist doch hier uninteressanter denn je.

Hollywood fällt überhaupt nichts mehr ein

Auch hier findet sich das bekannte Motiv des Superhelden mit Identitätskrise. Die hat dann freilich schnell ein Ende, als ein böser Schurke auf den Plan tritt. Der bedroht zwar die Welt, doch wirklich wichtig ist das auch für die Macher nicht: "Das Herz und der Kern eines Spider-Man-Films sind die persönlichen Konflikte, in denen die Hauptfigur Peter Parker steckt. Dass er die Stadt retten muss, ist im Grunde nur eines von vielen Problemen, die er hat", sagt Produzent Matthew Tolmach im Interview. Rhys Ifans verkörpert "Lizard-Man", einen bösartigen Reptilienmensch. Der sieht ein wenig aus wie eine Wiederauferstehung von Godzilla. Ansonsten ist er grün wie der Koboldschurke im dritten Teil (oder war's der erste?).

Man kann schon mal durcheinander kommen. Hieß Gwen nicht Mary Jane? Hat sie sich die Haare gefärbt. Oder was sagt es uns, dass Hollywood statt Spiderman einer rothaarigen nun eine blonde Freundin beigibt? Dass Spiderman kein Journalist mehr ist? Sind rothaarige Journalisten im Kurs gefallen?

Das Ergebnis ist klar: Hollywood fällt überhaupt nichts mehr ein außer den egozentrischen selbstbezogenen Phantasien einiger (Möchtegern-)Genies wie Christopher Nolan oder Comic-Verfilmungen, die immer simpler und blöder werden, so simpel und blöde, dass sie den Geist jedes Normalsterblichen beleidigen.

Ein Krisensymptom, sonst gar nichts. Und nicht mal interessant.

Zitieren wir nochmal die Süddeutsche Zeitung:

Die immergleichen, haarsträubend simplen Grundgeschichten. Das immergleiche Personal. Nicht mehr nur Fortsetzungen, sondern Remakes, Wiederholungen, Reboots - in immer kürzeren Abständen. Egal, wie man die Sache am Ende nennt: Es geht hier um Produktzyklen, wie sie für alle Industrien inzwischen normal sind, deren Regeln der Markt diktiert und die ihrerseits allen Beteiligten ihre eigene Logik aufzwingen. Am Ende gilt das sogar für die Kritiker, die gezwungen sind, Produktversionen zu vergleichen, Alt-und-Neu-Listen abzuarbeiten und sich in Details der Spinnendrüsen-Biologie zu verheddern, als wären sie Schurken in Spider-Mans Netz.

Man kann's und will's nicht besser sagen. Sorry - wir sind gelangweilt. Geht rein, Leute, tut ihr ja sowieso. Schmeißt Euer Geld in den Rachen der Macher, kauft Popcorn, das ist immerhin für die Kinos gut. Ein flinker hübscher Spinnenmann werdet ihr nicht werden. Vielleicht sorgt ja das Länderspiel Italien-Deutschland und das EM-Finale gegen Spanien am Sonntag für ein paar Umsatzeinbrüche. Hoffen darf man ja noch.

Ach ja 3D - auch so eine Sau, die durchs Marketing-Dorf gejagt wird, bis sie tot zusammenbricht. Ihr 3D-Gläubigen, glaubt halt weiter... Für den Rest die Info, dass das alles zusammen in 3D auch nicht besser ist und auch nicht besser aussieht, als auf normalen Leinwänden, auch dieser Film leidet unter den bekannten 3D-Problemen: Dunkelheit, Flächigkeit, Schlieren der Bilder. Im Gesamtergebnis erscheint der Reboot von "Spiderman" namens "The Amazing Spider-Man" einfach dümmer als das Original, als eine Neuauflage, die zwar nicht unangenehm anzugucken, ist aber völlig überflüssig ist. Ein 08/15-Blockbuster. Also ein Widerspruch in sich selbst.