Merkel fällt bei EU-Gipfel auf ganzer Linie um

Künftig sollen abstürzende Banken direkt Geld auf Rettungsfonds erhalten und die Kontrolle wird weiter aufgeweicht

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Erneut hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel hoch gepokert (Abstufung nach Rettungsantrag, Merkel bleibt hart) und mit einem schlechten Blatt hat sie ihr Spiel genauso verloren wie Deutschland bei der EM gegen Italien. In zentralen Fragen ist die Bundeskanzlerin bei den Verhandlungen auf dem EU-Gipfel gegenüber den Finalisten Italien und Spanien eingeknickt. Hatte sie bisher stets betont, "Haftung und Kontrolle gehören zusammen", haben es die angeschlagenen großen Euroländer Italien und Spanien schlicht mit ihrer Größe durchgesetzt, die einst vorgesehene Kontrolle doch weitgehend auszuhebeln. Daran ändert nichts, dass Merkel die Beschlüsse nun als Sieg zu verkaufen versucht. Sie tut so, als sei die Bundesregierung ihrer bisherigen Linie treu geblieben. Sogar die konservative Presse, die der Kanzlerin nahe steht, spricht von "Niederlage" und einem "Wendepunkt", weil "rote Linien" gleich mehrfach verschoben worden sind.

Merkel hatte definitiv ausgeschlossen, dass marode Banken direkt die Milliarden aus den Rettungsfonds erhalten. Doch sie räumte nun ein, dass künftig auch eine direkte Bankenhilfe aus den Euro-Rettungsfonds möglich sein werde. Vorgesehen ist, dass der temporäre Rettungsfonds (EFSF) und der dauerhafte Fonds (ESM), der im Juli starten soll, abstürzende Banken direkt rekapitalisieren können. Dass die Möglichkeit einer geordneten Abwicklung von Banken nicht einmal erwähnt wird, lässt tief blicken.

Bevor Banken direkten Zugriff auf Rettungsgelder bekommen, soll zunächst eine gemeinsame Bankenaufsicht unter Federführung der Europäischen Zentralbank (EZB) geschaffen werden. Der "einheitliche Aufsichtsmechanismus" soll bis zum Jahresende im Schnellverfahren aufgebaut werden. Erst danach sollen sich die Aufgaben des ESM verändern. Er kann dann, ohne die bisherige staatliche Haftung für die Steuergelder aus den übrigen EU-Ländern, abstürzende Banken wie in Spanien direkt rekapitalisieren. Damit erhält der ESM praktisch eine Banklizenz. Dass damit praktisch keine Auflagen verbunden , wird aus schwammigen Formulierungen deutlich.

Sogar die einzelnen Mitgliedsstaaten, wird eine neue Sonderregelung geschaffen, können bei guter Haushaltsführung ohne zusätzliche Auflagen und Kontrolle, Milliarden vom EFSF oder ESM erhalten, ohne unter den Rettungsschirm gehen zu müssen. Die Fonds sollen "in flexibler und effizienter Weise" wirken. Die gute Haushaltsführung ist aber bloße Verzierung, um vor allem die deutsche Öffentlichkeit angesichts des massiven Umfallers von Merkel etwas zu beruhigen. Diese Bedingung wird wohl nie angewendet. Eine strikte Haushaltsführung und die Einhaltung von EU-Defizitvorgaben war eigentlich auch die Bedingung dafür, um eine schon bestehende Sonderregelung nutzen zu können, wonach ein Land allein Geld zur Bankenrettung bekommen kann und dafür nicht, wie zuvor Irland, komplett unter den Rettungsschirm gehen muss.

Diese Sonderregelung wird erstmals auf Spanien angewandt, obwohl das Land seit Jahren massiv gegen alle Defizitvorgaben verstößt. Statt bei 6% lag das Haushaltsdefizit Ende 2011 bei 9% Prozent. Für Spanien werden ständig Extrawürste gebraten. Es hat schon ein Jahr mehr Zeit für den Abbau des Defizits bekommen und es wurde der rechten Regierung sogar erlaubt, das Defizit 2012 statt auf 4,4% nur auf 5,3% abzubauen. Doch die konservativen Freunde von Merkel schaffen auch das nicht, trotz allem wird die Sonderregelung zur Bankenrettung angewendet.

Griechenland, Irland und Portugal haben sich in den Verhandlungen auch noch eine nachträgliche Anwendung der neuen Regeln gesichert, die ihnen in Aussicht gestellt wird. Irland hat besonders gute Aussichten, da vor allem die Bankenrettung in Irland zu dem extremen Haushaltsdefizit geführt hat. Über eine Übernahme der Verpflichtungen durch den ESM wird nachgedacht.

Schon jetzt gibt es eine weitgehende Vergemeinschaftung der Schulden

Für die spanische Bankenrettung kommt die direkte Finanzierung aus einem Rettungsfonds wohl nicht mehr in Betracht. Nun weiß man aber, warum Spanien bisher keine Rettungssumme genannt hat. Man muss kein Hellseher sein, um sagen zu können, dass Spanien eine möglichst geringe Summe beantragen und deutlich unter den 100 Milliarden Euro bleiben wird. Das Land wird auf Zeit spielen und dann wohl eine direkte Refinanzierung durch den ESM zur Bankenrettung als Nachschlag fordern, um die Staatsverschuldung nicht zu sehr ansteigen zu lassen. Durchgesetzt hat das Land aber, dass die Gelder für die Bankenrettung keinen bevorzugten Status erhalten, auch wenn sie aus dem ESM kommen, der das eigentlich vorsieht. Im Fall einer Staatspleite sind die Steuergelder, die das Land erhält, den Forderungen privater Gläubiger gleichgestellt.

Man kann die Ergebnisse so lesen, dass man sich angesichts der hohen Zinsen für Spanien und Italien darauf vorbereitet, die Länder mit dem Geld aus den Rettungsfonds freizukaufen, denn vorgesehen ist nun auch, dass die Rettungsfonds am Primär- und Sekundärmarkt Staatsanleihen von Absturzländern kaufen können, ohne dass das zu weiteren Auflagen und Kontrollen führt. So riecht es auch immer stärker nach der Einführung von Eurobonds, dabei bedeuten diese Beschlüsse schon jetzt die weitgehende Vergemeinschaftung von Schulden. So liegt der italienische Ministerpräsident Mario Monti richtig, wenn er behauptet, dass der Weg für die gemeinschaftliche Anleihen bereitet sei. Eigentlich ist seit langem klar, dass Merkel auch in dieser Frage umfallen wird.

Man kann diese Beschlüsse aber auch noch aus einem anderen Sichtwinkel analysieren. Weiter wird davon gesprochen, dass für Hilfen bestehende Reform- und Kontrollvorgaben der EU-Kommission eingehalten werden müssen. Doch ganz offensichtlich wird das nicht mehr, wie Spanien zeigt, zwingend mit dem Defizit verknüpft. Das ist ein Eingeständnis, dass sich mit harten Sparkursen große Haushaltsdefizits nur begrenzt abbauen lassen. Die Verschuldung wächst dabei im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung aber stark an, wie es in Portugal und Griechenland zu beobachten ist, weil die Wirtschaftsleistung in der tiefen Rezession immer geringer wird, aber die Schulden weiter wachsen. Das zeigt auch, dass die Schuldenfrage wohl nur vorgeschoben wird. Wirtschaftswissenschaftler warnen ("Banken abstürzen lassen"), es gehe darum, die "sozialen, ökonomischen und sogar politischen Errungenschaften in der EU und besonders in der Euro-Zone langfristig zu zerstören".