Gentrifizierung: "Es geht nur um Profit"

"Istanbul - Beyoglu amb el Bòsfor al fons" Foto: Josep Renalias. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Gespräch mit Erdogan Altindis, Gründer von Manzara Istanbul, über Gentrifizierung am Bosporus

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Erdogan Altindis, 49, wuchs in Kayseri (Anatolien) und München auf. Vor sechzehn Jahren ließ sich der Architekt in Istanbul nieder und gründete Manzara Istanbul - heute vermietet er Wohnungen mit Aussicht ("manzara") an Touristen und Reisende aus aller Welt. Seine Häuser stehen hauptsächlich im In-Viertel Beyoglu, aber auch auf den Prinzeninseln kann man sich einmieten.

Altindis will die Kunst- und Kulturszene fördern, er hat gerade ein eigenes Künstlerstipendium vergeben, sowie den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und der Türkei unterstützen. Istanbul und vor allem Beyoglu befinden sich in einem rasanten Wandel, eine unkontrollierte Gentrifizierung droht, gewachsene Strukturen zu zerstören. Altindis steht offen dazu, dass er selbst ein Teil dieses Prozesses ist, mahnt aber die Gefahren an, die entstehen, wenn das soziale Gleichgewicht missachtet wird…

Wenn ich gut ausgebildet, geschäftstüchtig und auch risikobereit bin, dann kann ich hier in Istanbul mehr bewegen und erreichen als in Deutschland.

Sie sind in München aufgewachsen und vor 16 Jahren nach Istanbul zurückgekommen. Was hat Sie dazu animiert?

Erdogan Altindis: Ich bin mit zehn Jahren nach Deutschland gekommen, war dann aber immer wieder in Istanbul, habe hier auch ein Praktikum während meines Architekturstudiums gemacht. Der kosmopolitische Flair und die Möglichkeit, in beiden Kulturen zu Hause zu sein, hat mich sehr angezogen. Vor sechzehn Jahren habe ich hier eine Wohnung gekauft, habe dann mein Büro gegründet.

Was waren Ihre ersten Erfahrungen hier? Haben Sie sich fremd gefühlt? Wie wurden Sie als "Deutschtürke" aufgenommen?

Erdogan Altindis: Es gab Dinge, die schwierig waren, andererseits habe ich mich auch sehr frei gefühlt. Aber ich hatte mir von Anfang an vorgenommen, für mich das Beste aus der Situation zu machen. Ich hatte ursprünglich nicht geplant, hier dauerhaft zu leben, meine berufliche Existenz wollte ich eigentlich in Deutschland aufbauen. Was damals begann, war ein Entwicklungsprozess, dessen Ausgang ich nicht kannte. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass ich nach Deutschland zurückkehren konnte, das gab auch Sicherheit.

Eine Weile bin ich hin- und hergewechselt, war mal in München, mal hier in Istanbul, je nachdem wo ich Aufträge hatte für mein Architekturbüro. So eine Freiheit hat nicht jeder, das habe ich schon sehr genossen.

Immer mehr gut ausgebildete junge Türken kehren heute Deutschland den Rücken, weil sie dort weniger Chancen haben als hier in Istanbul…

Erdogan Altindis: Das ist ein Trend, aber ein - finde ich - sehr verständlicher. Wenn ich gut ausgebildet, geschäftstüchtig und auch risikobereit bin, dann kann ich hier in Istanbul mehr bewegen und erreichen als in Deutschland. Viele werden aber auch enttäuscht, denn viele Bereiche sind inzwischen abgegrast. Als Architekt zum Beispiel ist es heute kaum noch möglich, hier einen Job zu bekommen. Auch hier regiert längst das Geld, und als Angestellter ohne hervorgehobene Position verdient man hier nicht viel. Man muss vor allem kreativ sein und schauen, was es noch nicht gibt.

So habe ich es damals gemacht und quasi einen neuen Wirtschaftszweig entwickelt. Heute machen das viele, aber damals war es neu. Als Pionier hat man hier noch Möglichkeiten. Aber man braucht einen langen Atem.

Beyoglu ist heute ein weltoffenes Multikultiviertel, in dem zahlreiche Gesellschaftsschichten und Kulturen zumeist friedlich miteinander leben - noch vor kaum 15 Jahren war die Gegend eine No-Go-Area. Wie kam dieser Wandel zustande?

Erdogan Altindis: Der Wandel kam mit mir (lacht). Nein, im Ernst, das wäre übertrieben, aber wir haben viel beigetragen. Beyoglu war ja schon zu Anfang des letzten Jahrhunderts, bis 1923, ein ganz wichtiges Stadtviertel. Das änderte sich, als Ankara zur Hauptstadt wurde. Scheinbar kam ich zu einer Zeit, als langsam eine neue Entwicklung einsetzte. Mich hat vor allem die Atmosphäre hier angezogen. Und die Häuser fand ich als Architekt interessant, auch die maroden, verfallenen Bauten.

Damals war die Künstlerszene hier recht klein. Mit einigen Leuten zusammen habe ich überlegt: Was kann man tun, damit mehr Menschen hierherkommen, diesen Ort kennenlernen? Vor sechs oder sieben Jahren ging das alles immer schneller und leider wird die Kunst- und Kulturszene nun zunehmend durch Spekulanten verdrängt.

Die Investoren haben keine Leidenschaft für die Stadt

… ebenso wie Einwohner, die teils seit Jahrzehnten hier leben. Alteingesessene Händler und Betriebe machen den üblichen Ketten Platz, die ihren Ramsch feilbieten - wird Istanbul in einigen Jahren ebenso austauschbar und langweilig sein wie die Innenstädte von Paris, London, Berlin?

Erdogan Altindis: Das ist zu befürchten, aber diese Stadt ist so riesig, dass es, glaube ich, die schönen und ursprünglichen Orte immer geben wird. Wenn nicht hier, dann in einem anderen Viertel. Schade ist, dass es keine bewusste Entwicklung gibt, keinen bewussten Drang, bestimmte Dinge zu erhalten. An sich müsste im Vordergrund stehen, die alteingesessenen Einwohner, die auch die Vielfalt ausmachen, hier zu halten, aber so wird nicht gedacht.

Die Stadtverwaltung unterstützt teilweise das Spekulantentum, erklärt ganze Straßen zum Touristengebiet. Dadurch werden dann Einheimische verdrängt und auch die Künstlerszene. Auch Kulturförderung wie in Deutschland gibt es hier nicht. Was passiert, passiert auf private Initiative hin.

Diese Gegend - Galata, Cihangir und nun auch das Armenviertel Tarlabasi - unterliegt einem rasanten Wandel, einer rasenden Gentrifizierung, der viele alteingesessene und auch ärmere Bewohner weichen müssen…

Erdogan Altindis: Es wird auch gar nicht gewünscht, dass die Armen bleiben, im Gegenteil. Man will dort teure Grundstücke für nochmal höhere Preise an Wohlhabende verkaufen. Das ist das einzige Ziel. Es geht auch nicht, wie oft behauptet wird, um die Stadterhaltung, dieser Grund wird bloß vorgeschoben. In den allermeisten Fällen geht es nur um Profit. Die Investoren haben keine Leidenschaft für die Stadt und ihre Kultur, sondern nur für Geld. Aber es gibt Teilerfolge. Erst letzte Woche hat ein Gerichtsurteil ein Gentrifizierungsprojekt gestoppt, weil eine Bürgerinitiative dagegen geklagt hat.

Die Gentrifizierung an sich sehe ich auch nicht als etwas Negatives

Im Zuge dieser Gentrifizierung hat sich vor allem in Kuledibi eine blühende internationale Kunstszene mit Galerien und Künstlern aus aller Welt etabliert. Die Künstler gehören, auch wenn es ihnen nicht gefällt, zu den treibenden Kräften hinter der Gentrifizierung und sind auch schon mit Einwohnern aneinandergeraten. Ist es überhaupt möglich, hier ein Gleichgewicht zu schaffen?

Erdogan Altindis: Es ist schwierig. Was ich mit Manzara Istanbul mache ist natürlich auch ein Katalysator für Gentrifizierung. Wenn ich nicht hier wäre, wäre ein anderer hier. Ich bin ganz klar ein Teil der Gentrifizierung. Die Gentrifizierung an sich sehe ich auch nicht als etwas Negatives. Es kommt immer auf das Gleichgewicht an. Der Mensch hat immer Veränderung gebracht, und Gentrifizierung ist eine Veränderung, die schneller abläuft.

In diesem Prozess ist Behutsamkeit gefordert. Und der Künstler ist oft ein Vorreiter, so auch hier. Künstler arbeiten oft sehr egozentrisch und unbeeinflusst von ihrer Umgebung, das macht sie zu einem Motor. Das braucht man, das ist wichtig. Die größte Gefahr bei der Gentrifizierung ist das Geld, das Kapital. Die Wertvorstellung des Menschen an sich und sein Egoismus ist das Grundproblem.

Nur gemeinschaftliches Handeln und Verantwortungsbewusstsein für unsere Umgebung und Umwelt kann daran etwas ändern. Der Weg zum Glück liegt nicht im Kapital, das muss der Mensch kapieren. Was nicht heißen soll, dass Reichtum und materieller Wohlstand verwerflich sind, aber das Streben danach darf nicht auf Kosten anderer geschehen.