Wie man Vermögensungleichheit schmackhaft machen kann

Nach einer psychologischen Studie führt in den USA der Glaube an die Entscheidungsfreiheit der Einzelnen dazu, die Kluft zwischen Arm und Reich zu akzeptieren

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Wenn die Ungleichheit in der Gesellschaft zu groß wird, wachsen die Kritik und der politische Druck nach Umverteilung des Reichtums. Das ist nicht schön für die Reichen, aber sie finden womöglich Strategien, wie sie die Menschen mit dem Ist-Zustand versöhnen können.

Die Psychologen Krishna Savani von der Columbia Business School und Aneeta Rattan von Stanford University glauben, herausgefunden zu haben, warum die Vermögensungleichheit in den USA weitgehend akzeptiert wird, was natürlich im Umkehrschluss auch hieße, eine Strategie entwickeln zu können, Kritik an den ungleichen Verhältnissen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zu wissen, was hinter der Akzeptanz der Kluft zwischen Arm und Reich stehe, sei wichtig, weil in der US-Gesellschaft Reichtum doch so eine wichtige Rolle spiele und viele Aspekte des Lebens betreffe: "Was öffentliche Dienste zur Verfügung stellen, wie Menschen besteuert und wie Gewinne verteilt werden sollen." Aber auch, wie glücklich man sich fühlt, wonach man begehrt, welche Chancen die Kinder haben etc. In Umfragen würde zwar eine Mehrheit für eine gerechtere Umverteilung des Reichtums plädieren, bei einzelnen Fragen wird dann oft gegen Maßnahmen gestimmt, die Kluft zwischen Arm und Reich verringern.

Wie man teils verwundert beobachten konnte, spielt in der Diskussion über die nun vom Obersten Gerichtshof gebilligte Gesundheitsreform von US-Präsident Obama die Frage der Zwangsverpflichtung zur Krankenversicherung die entscheidende Rolle. Für viele Amerikaner, meist von der konservativen oder rechten Seite, verstößt das gegen die traditionellen Werte der USA, bei denen Kapitalismus und Religion miteinander verschmolzen sind. Damit konnten Republikaner und die rechte Tea-Party-Bewegung große Entrüstung selbst bei manchen derjenigen hervorrufen, die von der allgemeinen Einführung der Krankenversicherung profitieren. Die freie Wahl steht über allem, was auch heißt, wer es nicht schafft, ist selbst schuld. Dahinter stecken ein stark ausgeprägter Individualismus und eine eher ablehnende Haltung gegenüber dem Staat, der dem Einzelnen Regeln vorschreibt. Gegenüber der individuellen Leistung/Verantwortung werden gesellschaftliche Bedingungen vernachlässigt oder übersehen.

Die Psychologen haben für ihre Studie, die in der Zeitschrift Psychological Science erschienen ist, in verschiedenen Experimenten untersucht, ob die Wahlfreiheit eine Rolle bei der ambivalenten Haltung gegenüber der einseitigen Reichtumsverteilung steht. Die Hypothese war, dass die Menschen dann, wenn sie sich frei entscheiden können oder dies glauben bzw. davon ausgehen, Ungleichheit eher akzeptieren. Schließlich wäre die Ungleichheit dann ja ein Ergebnis der Entscheidungsfreiheit nach dem Motto, dass jeder seines Glückes Schmied ist, wobei implizit damit unterstellt würde, dass Chancengleichheit besteht, jeder also sozusagen vom Tellerwäscher zum Millionär oder heute Milliardär werden kann.

In insgesamt sechs Experimenten wurde die Hypothese bestätigt. Wenn bei den Versuchsteilnehmern der Eindruck erweckt wird, sie hätten eine freie Wahl, dann sind sie weniger beunruhigt von der existierenden Ungleichheit der Reichtumsverteilung in den USA als die Versuchspersonen der Kontrollgruppe. Das zeigte sich auch in der Beurteilung von einzelnen politischen Zielen. So waren die auf Entscheidungsfreiheit gepolten Versuchspersonen auch weniger geneigt, Reiche stärker zu besteuern, um in der Ausbildung eine größere Gleichheit der Ressourcenverteilung zu bewirken. In einem anderen Experiment stellten sie fest, dass der Glaube an die Entscheidungsfreiheit vor allem Auswirkungen auf die Umverteilungspolitik hat, während die allgemeinen staatlichen Ausgaben für öffentliche Güter davon nicht betroffen sind. Und auch wenn es um eine Lösung der Staatsverschuldung durch Erhöhung der Steuern für Reiche geht, sind zwar diejenigen, die nicht auf Entscheidungsfreiheit getrimmt werden, mehrheitlich dafür, wird diese aber suggeriert, dann sinkt die Bereitschaft selbst dann, wenn ihnen die Konsequenzen einer weiteren Verschuldung vor Augen gestellt werden.

Savani und Rattan ziehen daraus den Schluss, dass dann, wenn man gegenüber den Amerikanern das Konzept der Entscheidungsfreiheit heraushebt, diese "weniger von den Fakten über die Vermögensungleichheit in den USA beunruhigt sind, eher die Rolle gesellschaftlicher Faktoren für die Erfolge der Einzelnen unterschätzen, weniger die Umverteilung von Bildungsressourcen und Steuererhöhungen für Reiche unterstützen". Das kulturell hochgeschätzte Konzept der Entscheidungsfreiheit trage daher zur Aufrechterhaltung der Vermögensungleichheit bei.

Das wird man bei den Konservativen gerne hören, da dies zum Kern ihrer politischen Ideologie gehört und auch mit dem Puritanismus oder überhaupt mit der Religion verbunden ist. Die Psychologen dienen sich der politischen Instrumentalisierung auch direkt an, wenn sie schreiben: "Ein tieferes Verständnis der Ursachen für die Haltung der Menschen gegenüber der Vermögensungleichheit hat das Potenzial für die Politik, Vermögensungleichheit schmackhafter zu machen. Unsere Studie legt nahe, dass man dann, wenn man die Politik in die Begrifflichkeit der Entscheidungsfreiheit einbettet oder direkt das Konzept in Diskussionen hervorhebt, die Menschen dazu bringen kann, gegen eine Politik zu sein, die eigentlich mit ihrem höchsten Ideal übereinstimmt." Allerdings bieten sie auch der Gegenseite Argumente an, wenn sie schreiben, dass die Vermögensungleichheit zahlreiche negative gesellschaftliche Konsequenzen habe. Der "Diskurs der Entscheidungsfreiheit" könne "ein Hemmnis für die Verminderung der Vermögensungleichheit und für die Erreichung der positiven Folgen, wenn diese reduziert würde".