HRW dokumentiert syrisches "Netz von Folterzentren"

HRW führt in Zeichnungen die gebräuchlichsten Foltermethoden vor Augen. Bild: HRW

Assad sucht den Konflikt mit der Türkei mit einem seltsamen Argument zu entschärfen, während die Türkei an der Grenze militärische Entschlossenheit demonstriert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Konflikt zwischen der Türkei und dem syrischen Regime hatte womöglich der syrische Informationsminister vor einigen Tagen einen guten Einfall, wie man den Abschuss der türkischen Militärmaschine entschuldigen könnte, um einen derzeit besonders ungelegenen militärischen Konflikt mit dem starken Nachbarn zu vermeiden. Er hatte erklärt, die Soldaten hätten bedauerlicherweise den Jet für ein israelisches Flugzeug gehalten, das man natürlich prompt abschoss. Israel war mit einigen Kampfflugzeugen 2007 in den syrischen Luftraum trotz der modernen russischen Radar- und Flugabwehrsysteme eingedrungen und hatte einen mutmaßlichen Atomreaktor zerstört. Und seit Israel 2010 ein Schiff der Gaza-Flotilla auf internationalem Gewässer gestürmt und dabei neun türkische Aktivisten getötet hatte, sind die einst guten Beziehungen zwischen der Türkei und Israel Vergangenheit.

Offenbar also hatte der Informationsminister mit der Geschichte einen Weg gefunden, die Spannung entschärfen zu können (Syrisches Regime will türkischen Jet mit einem israelischen verwechselt haben). Jetzt nämlich wiederholte auch Präsident Assad diese Sündenbockstrategie in einem Interview mit der türkischen Zeitung Cumhuriyet. Man habe erst nach dem Abschuss erfahren, dass es sich um ein türkisches Flugzeug gehandelt habe. Zu 100 Prozent würde er wünschen, "dass wir es nicht abgeschossen hätten". Wenn es im internationalen Luftraum abgeschossen wäre, würde man sich auch entschuldigen. Das Flugzeug habe sich in einem Korridor bewegt, den israelische Militärmaschinen bereits dreimal benutzt hätten. Weil es nicht angekündigt und nicht auf dem Radar zu sehen war, hätten es die Soldaten abgeschossen: "Natürlich würde ich sehr glücklich sein, wenn es ein israelisches Flugzeug gewesen wäre", so Assad sich um antiisraelische Versöhnung bemühend.

Tatsächlich könnte diese Geschichte auch der türkischen Regierung entgegenkommen. Unklar ist weiterhin, auf welcher Mission das Flugzeug wirklich war und ob es im syrischen Luftraum, wie Syrien behauptet, oder im internationalem Luftraum nach einem kurzen versehentlichen Eindringen in den syrischen abgeschossen wurde. Erst gestern verwahrte sich Regierungschef Erdogan gegen einen Bericht im Wall Street Journal, nach dem das Flugzeug im syrischen Luftraum abgeschossen worden sei. Die Zeitung berief sich auf einen Informanten aus dem Pentagon. Auch das türkische Militär bestritt diese Möglichkeit. Erdogan forderte das WSJ auf, Quellen zum Beleg der Behauptung vorzulegen, und sagte, die Zeitung habe auch schon früher gelogen. Rückendeckung erhielt die türkische Regierung auch von Nato-Generalsekretär Rasmussen, der gestern noch einmal den Abschuss auf das Schärfste verurteilte und sagte, man solle anonymen Quellen nicht trauen. Die Sprecherin des US-Außenministeriums verhielt sich jedoch gegenüber der Darstellung der Murdoch-Zeitung bedeckt. Man stehe hinter dem Alliierten und verurteile Leaks, erklärte sie, ohne etwas zu sagen.

Erdogan hat nicht gedroht, bei einem erneuten Zwischenfall militärisch zurückgeschlagen, sondern auch weitere Truppen an die syrische Grenze verlegt, woraufhin die syrische Armee nämliches machte. Mehrmals stiegen türkische F-16-Kampfjets inzwischen auf, weil sich syrische Hubschrauber der Grenze genähert hatten. Zudem ruft der türkische Regierungschef zum Sturz des Assad-Regimes auf.

Der türkische Außenminister Davutoğlu rief zusammen mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Elaraby, die syrische Opposition auf, sich zu vereinen, um die am Wochenende auf einer UN-Konferenz beschlossene Übergangsregierung bilden zu können. Mitglieder der syrischen Opposition hatten sich am Sonntag auf einer von der Arabischen Liga organisierten Konferenz in Kairo getroffen. Allerdings wurde die Konferenz von der Freien Syrischen Armee boykottiert, die auf Sieg setzt und eine Zusammenarbeit mit dem Regime ablehnt. Zudem wurde keine Einigung darüber erzielt, ob Assad zurücktreten soll. Am Montag sollen insgesamt 86 syrische Soldaten, darunter auch Offiziere und ein General, in die Türkei geflohen sein.

Ob die Türkei also trotz der Ausrede von Assad einlenken wird, scheint fraglich zu sein. Das Assad-Regime ist zunehmend geschwächt, zudem finden versteckt vom Konflikt mit Syrien ständig weiter Kämpfe zwischen der kurdischen PKK und der türkischen Armee statt. Truppen wurden nicht nur an der syrischen, sondern auch an der irakischen Grenze verstärkt. So sind nach dem Überfall der PKK, bei dem letzten Monaten 8 türkische Soldaten ums Leben kamen, zwischen dem 26. und 30 Juni wiederholt türkische Militärmaschinen in den irakischen Luftraum eingedrungen und haben im Irak mutmaßliche Stellungen der PKK bombardiert. Dabei seien Dutzende von PKK-Kämpfern getötet worden. Heikel ist die Situation, weil die Kurden auch in Syrien teilweise gegen das Regime kämpfen. So ist im Juni Abdulbaset Sida, ein syrischer Kurde, zum Vorsitzenden des Syrischen Nationalrats geworden

Die Menschenrechtsorganisation HRW hat heute einen Bericht über 27, vor allem von den Geheimdiensten betriebene syrische Gefängnisse, veröffentlicht, in denen systematisch gefoltert werden, auch Frauen und Kinder. Die Informationen über Foltermethoden, Haftbedingungen und Verantwortliche stammen von ehemaligen Gefangenen und Überläufern. Die "dokumentierten systematischen Muster von Misshandlung und Folter" seien, so heißt es in einer Pressemitteilung, "Teil der offiziellen Politik". Deswegen würden sie ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. HRW fordert den UN-Sicherheitsrat auf, den Internationalen Strafgerichtshof einzuschalten und Sanktionen auch gegen Beamte auszusprechen, die nachweislich für Folter verantwortlich sind.

Allerdings kann der ICC nicht in Syrien eingreifen, weil das Land das Rom-Statut zwar unterschrieben hat, aber dem Strafgerichtshof nicht beigetreten ist. Das verbindet Syrien mit Russland und den USA, China und die Türkei haben schon das Statut nicht unterschrieben.