Rechtshilfefonds zur Verteidigung der Redefreiheit

Der Verein Speakers' Corner soll Bloggern eine Kriegskasse bereitstellen

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1965 schrieb Paul Sethe in einem Leserbrief an den Spiegel, die Pressefreiheit sei "die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten" und dieser Kreis werde laufend kleiner. Als das Internet in den 1990er Jahren Massenverbreitung fand, glaubten viele, dass Sethes Satz nicht mehr gelten würde, weil nun jeder mit relativ geringen Kosten einen sehr großen Kreis von Lesern erreichen konnte.

Allerdings stellte sich in Deutschland schnell heraus, dass man zur Wahrnehmung der Pressefreiheit zwar keine Druckmaschine mehr, wohl aber eine Rechtsabteilung brauchte. Denn findige Anwälte kamen bald auf die Idee, dass man mit einer Kombination aus einem Abmahnrecht, das erst einmal dem rechtlich Angegriffenen die Kosten aufbürdet, und einem "fliegenden Gerichtsstand", der ein Rechtsprechungs-Shopping erlaubt, Redefreiheit um so besser einschränken kann, je schlechter ausgestattet ein Gegner finanziell ist.

Sitzung am Landgericht Hamburg. Zeichnung: Copyleft by Lurusa Gross

Dieser Effekt greift nun schon seit weit mehr als einer Dekade, ohne dass die Politik Anstalten machen würde, daran etwas zu ändern. Und auch Versicherungen machen bislang keine Anstalten, Produkte anzubieten, die das unkalkulierbare Risiko einer nicht via Tor anonymisierten Meinungsäußerung im Internet eingrenzen. Aus diesem Grund rief der Rechtsanwalt und Telepolis-Autor Markus Kompa am Sonntag zusammen mit dem Lawblogger Udo Vetter, Dominik Böcker vom AK Zensur, Marina Weisband und vier weiteren Piratenpartei-Mitgliedern den Verein Speakers' Corner ins Leben, der bedrohten Bloggern in ausgewählten Fällen helfen soll um allgemeinschädliche Musterfälle zu verhindern.

Das Geld für die Kriegskasse des Vereins stammt aus einem Crowdfunding-Aufruf zur Revision eines Urteils des Landgerichts Hamburg, das Kompa für den Inhalt eines ZDF-Beitrages verantwortlich machen will, auf den er in seinem Blog zum Medienrecht verlinkte. Innerhalb von vier Tagen fanden sich so viele Menschen, die mit 20 oder mehr Euro zu einer Revision des Urteils beitragen wollten, dass nun mit gut 40.000 Euro doppelt so viel Geld zur Verfügung steht, wie im schlimmsten Fall benötigt wird. Markus Kompa hatte den Investoren und Spendern in seinem Aufruf angeboten, ihren Einsatz bei einem Sieg in der nächsten oder übernächsten Instanz zurückzuzahlen oder wahlweise in einen Rechtshilfefonds fließen zu lassen, mit dem später in vergleichbaren Fällen geholfen werden könnte - eine Möglichkeit, mit der sich ein sehr großer Teil der Beitragenden spontan durch Hinweise auf dem Überweisungsformular einverstanden zeigte.

Der Zweck des nun zum Einsatz dieser Mittel gegründeten Vereins Speaker's Corner ist "die Sicherstellung der Rechtsprechung in Sachen Meinungsfreiheit nach den Vorgaben von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht, die häufig von den Instanzgerichten missachtet wird". Zum Erreichen dieses Ziels will man Prozesse mitfinanzieren, in denen sich "asymmetrische Kriegskassen" gegenüberstehen und denen man besondere Bedeutung beimisst. Diese besondere Bedeutung könnte sich nicht nur in Fällen ergeben, in denen Firmenanwälte ein "Unternehmenspersönlichkeitsrecht" durchsetzen oder Kritik als "falsche Eindruckserweckung" verbieten lassen wollen, sondern auch im Immaterialgüterrechtsbereich, wo das von der Bundesregierung geplante und im Entwurf extrem unscharf und rechtsunsicher formulierte Leistungsschutzrecht für eine gigantische Abmahnwelle sorgen könnte.

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