Syrien: Wie ein katholischer Geistlicher Öl ins Feuer gießt

Im "Dienste der Wahrheit und des Friedens" berichtet der Archimandrit Philippe Tournyol du Clos von der Christenverfolgung durch Oppositionelle

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Verlässliches aus Syrien zu erfahren, war schon zu Zeiten schwierig, als die "Arabellions" noch in weiter Ferne lagen und Baschar al Assads Vater Hafiz al-Assad als Löwe unangefochten über das Land herrschte. Die Geheimdienste, und Syrien pflegt hier seit vielen Jahrzehnten einen großen Artenreichtum, waren überall; sämtliche Informationen, auch wenn sie aus der damaligen Opposition stammten, waren an der Realität ausgerichtet, dass irgendein Dienst immer mit dabei ist. Die Metaebene zum Gesagten - welche Verbindungen der Gesprächspartner zu welcher Abteilung haben könnte, wovor er sich vielleicht fürchten musste, wen er versorgt, in welchem Interesse er sprach - war immer präsent. Aus dieser Atmosphäre heraus wurden dann Besuchern die ungeheuerlichsten Dinge erzählt, untermalt von der geflüsterten Beschwörung: "Das ist die Wahrheit."

Neu ist das Verbreiten verzerrter Informationen und das Geraune darüber, wer eigentlich die Fäden in der Hand hält, also nicht. Neu ist, dass Syrien keine weniger bedeutende Provinz für die Weltnachrichten mehr ist. Mit bizarren Begleiterscheinungen nicht nur auf der großen geopolitischen Makroebene: Der bislang eher harmlose Nachbarsjunge erringt, weil ihn ein amerikanischer Sender vors Mikrophon bekommt, für ein paar Minuten internationale Aufmerksamkeit als exemplarischer Widerstandskämpfer - mit dem Risiko, dass sein Leben einen tragischen Verlauf nimmt, dass er mit Haft, Folter oder Schlimmeren für den kurzen Ruhm büßen muss.

Syrien ist zu einem Hauptschauplatz geworden, wo der Clash "Sunniten gegen Schiiten", konfessionelle Konflikte zwischen Gruppierungen, der große Dschihad, eifernde Salafisten gegen Ungläubige, Iran gegen die USA und Israel und die ölreiche Golfstaaten, das Imperium gegen den Block der anderen, der bis nach Südamerika reicht, aufgeführt wird. Das Interesse an Nachrichten ist groß, die Nachrichtenlage unübersichtlich. Umso größer der Verdacht, dass nichts stimmt, was aus Syrien berichtet wird.

Laut einem Beitrag in Le Monde ist es völlig gleichgültig, was über Syrien geschrieben wird, unweigerlich folgt in den Kommentaren mit größter Empörung der Vorwurf der Propaganda. Das zeigte sich auch, als die Zeitung den Schriftsteller Jonathan Littell ("Die Wohlgesinnten") als Reporter nach Homs schickte, um sich ein eigenes, unabhängiges Bild zu machen.

Die vielen Antworten auf unsere Artikel bestätigen mit Nachdruck, dass, was auch immer wir zum Thema sagen, wir völlig Unrecht haben.

Das Nachrichtentheater aus Syrien ist monströs, das Gewirr schwer zu durchdringen, aber manche Fäden lassen sich verfolgen. So etwa bei der eigenartigen Geschichte, die den Geistlichen Philippe Tournyol du Clos zum "Helden" hat. Du Clos besuchte im Mai Syrien, mit den Stationen Damaskus, Aleppo - und Homs. Was er dort gewissermaßen als Augenzeuge beobachtete, dürfte viele Christen erschreckt haben.

138.000 flüchtende Christen

Selbstverständlich erzählt der Geistliche im Namen der Wahrheit. Übermittelt wurde sein Bericht Anfang Juni von der Agentur Fides, dem "Presseorgan der päpstlichen Missionswerke seit 1927", in französisch (das Original ist auch beim iranischen Irib zu finden) und deutsch. Die Botschaft war das Leiden der Christen, was in entsprechenden Medien auch bereitwillig aufgenommen wurde. Du Clos berichtete:

Der Frieden in Syrien wäre möglich, wenn alle die Wahrheit sagen würden. Ein Jahr nach Beginn des Konflikts ist die tatsächliche Lage im Land weit von dem entfernt, was die westlichen Medien darzustellen versuchen. (…) Alle Christen (138.000) (in Homs und näherer Umgebung, Anm. d. Verf.) haben Zuflucht in Damaskus und im Libanon gesucht und andere halten sich in den umliegenden Regionen versteckt. Ein Priester wurde ermordet und ein anderer schwer verletzt. Nur noch wenige Christen leben dort und alle fünf Bischöfe mussten sich in Damaskus und im Libanon in Schutz bringen. (…) "Das Entsetzen ist weit verbreitetet und der Schmerz unbeschreiblich. (…). Die Feinde Syriens haben Muslimbrüder rekrutiert, die die bisher friedlichen Beziehungen zwischen Muslimen und Christen im Land untergraben sollen.

Der Bericht fügt sich gut in eine Reihe von Vorwürfen, die gegen die sogenannte Mainstreamberichterstattung erhoben wird, weswegen er vermutlich auch in einer Veröffentlichung erwähnt wird, die sich Einblicke in den Propagandakrieg gegen Syrien zur Aufgabe gemacht hat. Und der Bericht untermalt die von Baschar al-Assad und der syrischen Regierung propagierte Sicht, dass der Konflikt in Syrien hauptsächlich ein Versuch des Auslands ist, das Land zu destabilisieren.

Der Archimandrit und eine rechte Agenda

Nach wenigen Tagen wurde die Nachricht von Fiedes selbst korrigiert, der Bischofstitel, der Philippe Tournyol du Clos im Bericht beigefügt wurde, stimme nicht, der Mann trage vielmehr den Ehrentitel Archimandrit und gehöre dem Patriarchat von Antiochia und des Nahen Ostens, Jerusalem und Alexandria an - eine Ungenauigkeit, vielleicht nebensächlich. Weniger schon ist das aber der angefügte Beisatz, der darauf schließen lässt, dass Kirchenobere sich eher auf Distanz zum Bericht halten: "Weder der Heilige Stuhl noch der Dachverband der Ostkirchen-Hilfswerke ROACO äußerten sich bisher in einer offiziellen Stellungnahme zum Bericht des Archimandriten."

Im ROACCO gibt es durchaus andere Befunde zur Lage in Syrien, wie die Website der römisch-katholischen Zeitung Frankreichs La Crox im Zusammenhang mit der Medienkonfusion über den Augenzeugenbericht meldet. Bei einer kürzlichen ROACCO-Versammlung sei geäußert worden, dass es keine Diskriminierung und "noch weniger" eine Christenverfolgung in Syrien gebe. Ein Vertreter habe der Zeitung gegenüber sogar behauptet, dass Philippe Tournyol du Clos gar nicht in Syrien war.

Gerade die letztere Behauptung lässt nun aber auch darauf schließen, dass auch bei den Äußerungen aus dem ROACCO Politik im Spiel ist - dass Tournyol du Clos tatsächliche eine Reise unternommen hat, wurde mittlerweile bestätigt.

Ob sie die Wahrheit ohne parteiische Interessen berichten, lässt sich auch von Philippe Tournyol du Clos-kritischen Websiten nicht mit Gewissheit sagen, die sich im französischen Netz leicht und schnell finden lassen, zum Beispiel hier. Doch wirft der kritische Bericht auf der Site La Vie den Blick auf eine Mitgliedschaft des Verfassers mehrerer Bücher über den Exorzismus, Philippe Tournyol du Clos, zu Gruppierungen, die weit rechts im konservativen Katholizismus angesiedelt sind, was an anderer Stellen auch offiziell bestätigt wird: etwa die Gründungsmitgliedschaft der Priesterbruderschaft St. Petrus.

Die Verbindungen, die im Zusammenhang mit ihm hergestellt werden, reichen weit ins rechte politische Spektrum hinein, auch der Front National wird erwähnt. Den Fäden kann man folgen, sie sind plausibel. Manche führen bis zum Voltaire.net, wo sich rechts und links in der Gegnerschaft zum amerikanisch-jüdischen Imperium, den "wahren Strippenziehern", trifft und der Antisemitismus ein gemeinsamer Nenner ist (siehe auch Syrie : l'extrême droite française en campagne pour Assad).

Selbst wenn man skeptisch bleibt, ob Philippe Tournyol du Clos sich so einfach in solche Agenden einschreiben lässt, spricht alles für die Annahme, dass der Augenzeugenbericht von politischem Interessen bestimmt ist. Zumal sich die gigantischen Zahlen der flüchtenden Christen, von denen Philippe Tournyol du Clos berichtet, nirgendwo von irgendeiner Angabe bestätigt finden. Philippe Tournyol du Clos ist auf der Seite der herrschenden Macht in Syrien. "Im Dienst der Wahrheit" verbreitet er ein weiteres Gerücht.