Meldegesetz: Plötzlich sind fast alle dagegen

Die Liberalen wollen der CSU die Schuld in die Schuhe schieben, die will nun auch ebenso wie die Bundesregierung, also die Kanzlerin, den von CDU, CSU und FDP beschlossenen Ausverkauf der Meldedaten wieder einschränken

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Mit der Verabschiedung des Meldegesetzes haben sich Regierungs- und Oppositionsparteien einen Bärendienst erwiesen (Ertappte Opposition). Nun ist die Aufregung groß, dass die Regierungskoalition klammheimlich ohne weitere Beratung den Ausverkauf der Daten der Bürger an Werbefirmen und Adresshandel beschlossen haben. Die wenigen anwesenden Vertreter der Oppositionsparteien haben zwar dagegen gestimmt, aber sich nicht bemüßigt gefühlt, die zu Beginn des EM-Spiels Italien-Deutschland getroffene Entscheidung mit einer an sich beschlussunfähigen Anwesenheit von gerade einmal 30 Abgeordneten der Öffentlichkeit mitzuteilen.

Alle beeilen sich seitdem der irritierten und verärgerten Öffentlichkeit zu versichern, das Gesetz abzulehnen oder so nicht gewollt zu haben. Man gewinnt den Eindruck, als hätten irgendwelche geheimen Kräfte kurz vor der zweiten und dritten Lesung noch den Veränderungsantrag ein- und durchgebracht, der der Datenlobby Tür und Tor durch Umstellung von der Einwilligungs- zur faktisch wirkungslosen Widerspruchsregelung geöffnet hat, dem dann die - zugegeben wenigen - CDU/CSU/FDP-Abgeordneten im einsamen Bundestag am 28. Juni zugestimmt haben. Jetzt tönt sogar Regierungssprecher Seibert, die Bundesregierung sei erstaunt über die am Gesetzentwurf vorgenommenen Änderungen (die er schon am 29. Juni etwa auf heise.de hätte lesen). Merkel scheint schnell auf Distanzierung geschaltet zu haben. Jetzt hoffe die Bundesregierung, die eigentlich von ihr eingeführten Änderungen wieder rückzuändern.

Wer also waren die Bösewichte? Helmut Brandt (CDU) lobte in seinen zu Protokoll gegeben Bemerkungen noch die entscheidende Veränderung als Verbesserung des Datenschutzes, lässt aber klugerweise die Einschränkung des Widerspruchsrechts weg:

Im Zuge des parlamentarischen Verfahrens haben wir deshalb den Schutz des Einzelnen vor einem Missbrauch seiner Daten zu Werbezwecken dahingehend gestärkt, dass künftig der Abruf melderechtlicher Daten für Zwecke der Werbung und des Adresshandels gemäß § 44 Abs. 4 des Gesetzentwurfs nur erfolgen darf, wenn der Zweck im Zuge der Anfrage angegeben wurde und wenn der Betroffene nicht zuvor widersprochen hat.

Und da gibt es noch Stefanie Vogelsang, für die der Verkauf überhaupt nicht von Interesse war. Manuel Höferlin (FDP) fand alles Bestens: Man habe "viele gute Regelungen gefunden und mit den Änderungsanträgen der Koalition dem Gesetzentwurf den letzten Schliff gegeben". Er pries an, dass gerade der Datenschutz "im Meldegesetz ein elementares Thema" gewesen sei.

Ich möchte auch hier die Vorwürfe der Opposition zurückweisen, wir hätten die melderechtliche Lage der Bürgerinnen und Bürger verschlechtert. Durch die jährliche ortsübliche Bekanntmachung der Widerspruchsmöglichkeit kann der Betroffene auch realistischer Weise von diesem recht speziellen Gebiet Kenntnis erlangen und wird nicht dauernd mit lästigen Einwilligungsanfragen behelligt. Anstatt mit unbestimmten Rechtsbegriffen den Groll der Bürger und die Verunsicherung der Wirtschaft hervorzurufen, haben wir klare Tatbestände formuliert und bei Verstoß empfindliche Bußgelder vorgesehen.

Höferlin lügt entweder sich selbst etwas vor oder redet das Gesetz schön, wenn er sagt, dass "der Weitergabe von Adressdaten zum Zwecke der Werbung und des Adresshandels jederzeit widersprochen werden" könne. Natürlich erwähnt er nicht, dass das Widerspruchsrecht nicht gilt, "wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden".

Verbraucherschutzministerin Aigner und auch der bayerische Regierungschef Seehofer waren schnell dabei, sich von dem Gesetz zu distanzieren und die von der Regierungskoalition gekippte Einwilligungsregelung zu fordern. Ebenso wie die gesamte Bundesregierung hat die FDP auch nichts damit zu tun. Gisela Piltz, Mitglied im Innenausschuss, sieht die Schuld vor allem bei der CSU, die umstrittene Änderung sei "auf ausdrücklichen Wunsch der CSU zustande gekommen", wie die FDP wohl aus einem Artikel der Financial Times zitiert. In der Pressemitteilung wird aber dann doch recht herumgeeiert:

Im zuständigen Innenausschuss setzen allerdings CDU/CSU und FDP gegen die Oppositionsparteien die Änderung durch, dass persönliche Daten grundsätzlich weitergegeben werden dürfen - außer, der Bürger hat von sich aus Widerspruch eingelegt.

Da Piltz maßgeblich für die Änderung des Meldegesetzes verantwortlich ist, sie möglicherweise auch, wie abgeordnetenwatch.de behauptet, zusammen mit Uhl (CSU) den Änderungsantrag noch schnell eingebracht hatte, muss sie dann doch sagen, dass es mit dem - faktisch wirkungslosen - Widerspruchsrecht schon eine Verbesserung für den Datenschutz gegeben habe. Man sei aber offen für weitere Verbesserungen und kehrt die Widersprüchlichkeit der CSU hervor, die nun einen Sinneswandel vollzogen habe, anstatt ihn auch bei sich selbst zu suchen.

Scheinheilig ist man freilich nicht nur bei der CDU, sondern vor allem auch bei der CSU. Sollte tatsächlich der CSU-Mann Uhl mit Piltz die Änderungen eingebracht haben, dann dürfte dies nicht ganz an den Parteioberen vorbeigegangen sein. Das machte auch Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zunächst deutlich, der sich erst einmal heute Morgen noch hinter das Meldegesetz stellte und sagte, damit habe man doch den Datenschutz verbessert. Nach Beratungen des CSU-Vorstands in München wurde der Innenminister aber wohl unter Druck gesetzt. Nach Angaben des Bayerischen Rundfunks sagte er heute Mittag hingegen, er gehe nun auch davon aus, dass es Änderungen geben werde.