"Nach Weihnachten 1999 hat mir Roewer Hausverbot erteilt, danach war ich bis 2005 bei vollem Gehalt zu Haus"

Blick in die trübe Parallelgesellschaft des Verfassungsschutzes

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Wir hatten erst die Bundestagsfarce mit der Verabschiedung des Meldegesetzes. Richtig schaurig wird es aber, wenn endlich mal das Treiben in den Verfassungsschutzämtern ans Licht kommt. Der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags zum NSU hat das geschafft. Und dank der Abgeordneten Katharina König von der Linkspartei können wir nun lernen, welche Leute da unsere Verfassung schützen sollen.

König, die auch eifrig twittert, hat Mitschriften der Aussagen von Karl Friedrich Schrader, dem ehemaligen Abteilungsleiter des Referats Rechtsextremismus, Norbert Wiesner, dem V-Mann-Führer von Tino Brandt, und vor allem von Helmut Roewer, dem ehemaligen Präsidenten des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, gemacht und auf ihrer Homepage ins Netz gestellt. Für die Aufklärung muss ihr gedankt werden, da das Protokoll der Sitzung nicht veröffentlicht wird.

Erschütternd ist die Parallelwelt, in dem die Verfassungsschützer offenbar weitgehend unkontrolliert arbeiten und ihren Tätigkeiten oder Vergnügen nachgehen. Roewer, der sich selbst als Schriftsteller bezeichnet, im rechtslastigen österreichischen Ares Verlag publiziert und besessen davon war, "Tarnfirmen" zu betreiben, wusste nicht einmal zu sagen, wie genau er 1994 zum Chef des Verfassungsschutzamtes wurde, die Stelle nahm er bis 2000 ein, wo er aufgrund einiger Skandale doch den Hut nehmen musste:

Wie ich Verfassungsschutz-Präsident wurde? Es war an einem Tag nachts um 23 Uhr, da brachte eine mir unbekannte Person eine Ernennungs-Urkunde vorbei, in einem gelben Umschlag. Es war dunkel, ich konnte sie nicht erkennen. Ich war außerdem betrunken. Am Morgen fand ich den Umschlag jedenfalls noch in meiner Jacke.

Roewer

So gibt es einige Topaussagen von Wiesner zu lesen:

  • "Es gab Kollegen, die haben V-Männer direkt nach Erfurt in die VS-Zentrale gebracht oder Treffen zu Hause gemacht."
  • "Der Thüringer Heimatschutz hat nur Flyer und Aufkleber gemacht, was der V-Mann mit dem Geld gemacht hat, kann ich ihnen doch nicht sagen."
  • "Skinheads anzuwerben war eine absolute Katastrophe, die besaufen sich und können sich dann an nichts mehr erinnern."
  • In München haben wir uns mit dem BND getroffen, der gab Tipps für die Gründung von Tarnfirmen, da das ja nicht so einfach ist, wegen Steuern und so. Der Roewer wollte unbedingt eine Tarnfirma."

Ähnlich Absurdes berichtete Schrader aus der trüben Welt des Verfassungsschutzes, offenkundig wird auch seine Ablehnung von Roewer:

  • "VS-Chef Roewer ist in der 6. Etage der Verfassungsschutzbehörde einmal Fahrrad gefahren. Auf die Frage warum er das macht, antwortete er, er müsse neue Observationsfahrräder testen für die Observationskräfte."
  • "Einmal kam ich in Roewers Dienstzimmer, da standen drei Tische aneinander, mit Kerzen, Käse, Wein und 6-7 Damen drumherum, man wusste gar nicht, mit welcher er zuerst zu Gange ist. Ich sollte ihm in deren Anwesenheit geheime Dinge erzählen."
  • "Im Sommer lief der Roewer immer barfuß durchs Amt, dann lagen seine schwarzen Füße auf dem Schreibtisch, während wir uns in seinem Büro besprachen."
  • "Als ich einen Beschwerdebrief über die Praxis im Amt an den Innenminister schrieb, wurde ich im Anschluss mit 7-8 Verfahren überzogen. Man hat mich zum Amtsarzt geschickt, um meine geistige Gesundheit zu überprüfen."
  • "Nach Weihnachten 1999 hat mir Roewer Hausverbot erteilt, danach war ich bis 2005 bei vollem Gehalt zu Haus. Am Anfang hab ich mich zuerst nicht so wohl gefühlt, aber nach einiger Zeit dann doch gut dran gewöhnt."
  • "Roewer und die Leiterin vom Referat Ausländerkriminalität, Frau Timpel haben selber Quellen geführt und sich eines Tages in Weimar bei einer Buchpräsentation mit Klarnamen in einem Zeitungsartikel portraitieren lassen. Eines Tages schmiss eine V-Person, geführt von der Frau einen Stein an ihre Privatwohnung. Sie durfte auf Kosten des Freistaates direkt nach Erfurt umziehen - aus Sicherheitsgründen. Und, wie sich dann herrausstellte, war sie Roewers Geliebte und wurde später seine Frau."

Roewer hingegen ist natürlich sehr von sich überzeugt. Er habe als einziger von 50 Beamten in der Behörde die "richtige Ausbildung" gehabt, versichert er: "Es gab viele im Amt die nichts konnten, und nur wenige, die fortgebildet werden konnten. Ich galt als Spitzenkraft auf dem Gebiet Verfassungsschutz."

Roewer kündigt schon mal ein neues Buch mit dem Titel "Das Tagebuch des Amtschefs" an. Offenbar will er sich als einsamen und heroischen Kämpfer darstellen, der selbst aber makellos ist:

Er beschreibt anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen, wie er diese Jahre im wiedervereinigten Deutschland erlebt hat und schildert drastisch die Verhältnisse, die man sich heute im Jahre 22 der Deutschen Einheit kaum noch vorzustellen vermag. Nicht zum Wenigsten war es eine labile Polizeistruktur, die einen Gutteil seiner Arbeitskraft in Anspruch nahm: Altlasten und unfähige Westimporte lieferten sich erbitterte Auseinandersetzungen, anstatt ihren gesetzlichen Aufgaben nachzukommen. Sehr Ähnliches spielte sich in den politischen Parteien ab. Als Drittes kam zügellose Gewalt unter anpolitisierten Jugendlichen hinzu. Aus diesem brisanten Gemisch entwickelten sich jene Taten, denen wir heute empört gegenüberstehen.

Text auf der Roewers Homepage

"Ich habe keine Erinnerung, wie man auf Herrn Roewer kam"

Zur heutigen Ausschusssitzung schreibt König, die von Roewer angelegte "humoristische Messlatte" sei zwar nicht getoppt worden, aber es gab doch wieder bei der Befragung des ersten Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen, Harm Winkler, des ehemalige Innenstaatssekretärs Michael Lippert und des Innenministers Franz Schuster Einblicke in die abgeschottete Innenwelt der Verfassungsschützer:

Der Untersuchungsausschuss heute machte vor allem noch einmal deutlich, wie die männlichdominierte Elite innerhalb der Thüringer Sicherheitsarchitektur ihr Behördenkönigreich damals rigoros gegen Kritik von Innen- und Außen verteidigte, dass im Zweifelsfall die anderen schuldig sind und dass sie alle etwas eint: Wenn’s dann mal brenzlig wird, erinnert man sich einfach nicht mehr dran.

Allerdings hat König auch hier wieder neue Höhepunkte gefunden. Ex-Leiter Harm Winkler etwa sagte: "Die Beamten des höheren Dienstes, die erhalten keine besondere Ausbildung, die können das alles - Kraft ihres Amtes." So in etwa stellt man sich das auch vor. In der damaligen thüringischen Regierung scheint man auch nicht gewusst zu haben, wie es zur Berufung von Roewer kam. Der Ex-Staatssekretär Lippert über die Ernennungsurkunde:

Ich habe keine Erinnerung, wie man auf Herrn Roewer kam. Ich habe keine Schreiben verteilt und auch nicht in die Jacken gesteckt und auch keine Ausstandspartys besucht.

Auch an Ex-Innenminister scheint die Sache mit Roewer irgendwie vorbeigelaufen zu sein - oder sind da alle in Trance?

  • Später hat sich dann bei mir ein Herr Roewer gemeldet, den ich nicht kannte und den ich nicht eingeladen hatte. Er hat mir mitgeteilt dass er für die fragliche Stelle interessiert sei.
  • "Ich habe mich über Roewer beim bayrischen Innenministerium erkundigt. Warum? Weil Bayern einen Innenminister hatte, der sich besonders gut auskannte!"
  • "Nein ich sag ihnen nicht mit wem ich gesprochen habe. Nein. [...] Okay, ich kann es ja jetzt sagen, es war Günther Beckstein. [...] NEIN! Ich erzähle ihnen nichts aus dem Gespräch, dass war ein sehr persönliches Gespräch! [...] Das werde ich ihnen nicht sagen, weil Herr Beckstein einen Anspruch hat auf Vertrauensschutz hat! Ich muss ihnen überhaupt nichts daraus sagen! [Untersuchungsausschus-Unterbrechung, Androhung von Sanktionen] Okay. Ich hatte mich mit Herrn Beckstein über Herrn Roewer unter halten, er war ihm aber nicht bekannt."

Jetzt kann man nur hoffen, von Katharina König auch über die nächsten Sitzungen informiert zu werden. Und vielleicht bleibt sie ja auch nicht alleine?