Wie das Higgs-Feld auf die kosmische Inflation einwirkte

Computersimulation des Zerfalls eines Higgs-Teilchens in vier Myonen (gelbe Linien), so wie es im Rahmen des ATLAS-Experimentes aussehen könnte. Bild: CERN

Anmerkungen zur Bedeutung der Entdeckung des Higgs-Bosons für die Astrophysik/Kosmologie

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Eine Nadel im Heuhaufen wäre leichter zu finden gewesen. Dennoch entdecken diverse Wissenschaftlerteams am CERN bei Genf - wie kürzlich lanciert - nach jahrelanger harter Arbeit mit dem Large Hadron Collider (LHC) ein neues Teilchen, bei dem es sich mit größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit um das lang ersehnte Higgs-Boson handelt. Es ist gemeinhin das letzte postulierte Partikel, das einzige bis vor kurzem nicht im Experiment nachgewiesene, das die Richtigkeit des bisherigen Standardmodells der Elementarteilchenphysik bestätigen soll. Aber auch für die Astrophysik und Kosmologie hat die Existenz des Higgs-Bosons enorme Bedeutung, bestätigt es doch zugleich das Vorhandensein des Higgs-Feldes und somit indirekt die Richtigkeit des Urknall-Modells und die der kosmischen Inflation.

Bunter Teilchenzoo

Bisweilen vermag selbst der versierteste Physiker nicht auf Anhieb die einzelnen Bausteine der baryonischen Materie, der gewöhnlichen, leuchtenden Materie des Universums, aus denen alle chemischen Elemente aufgebaut sind, Teilchen für Teilchen einzeln aufzuzählen, namentlich zu bestimmen und deren Charakteristika näher zu erläutern.

Bild: NASA, ESA, J. Blakeslee and H. Ford (Johns Hopkins University)

Selbst mancher Teilchenphysiker hat zuweilen seine liebe Mühe und Not, den Überblick über das unübersichtliche wirre Treiben im Teilchenzoo zu wahren, zumal im Konzert der eigenwilligen Partikel mehrheitlich exaltierte Solisten den Ton angeben, die gerne mal aus der Reihe tanzen.

Während die bekanntesten unter ihnen, die Elektronen, Protonen und Neutronen auf atomarer Ebene das Bild bestimmen, geben sich im subatomaren Kosmos derzeit zwölf bekannte Sub-Elementarteilchen, sechs Quarks und sechs Leptonen, die Ehre, die sich in je drei "Familien" oder auch "Generationen" aufteilen.

Auf den ersten Blick sieht es danach aus, als fristeten in jeder Familie zwei Quarks und zwei Leptonen ein subatomares Dasein. In Wahrheit sind die familiären Verhältnisse etwas verzwickter, beschreibt doch das Standardmodell der Elementarteilchenphysik die Materie im Kosmos durch acht fundamentale Objekte, die Mitglieder der ersten von drei Quark-Lepton-Familien sind. Dazu gehören die "Up- und down-Quarks", die Konstituenten der Protonen und Neutronen und natürlich das auf atomarer Ebene angesiedelte Elektron. Und jetzt kommt noch ein weiteres Teilchen hinzu, das sogar eine "materielle" Schlüsselstellung innehat.

Higgs-Partikel und Higgs-Feld

Seitdem der englische Physiker Peter Ware Higgs (geb. 1929) 1964 zusammen mit anderen Forschern fast zeitgleich das Higgs-Boson postulierte, verstärkten die Teilchenphysiker von Jahr zu Jahr ihre Anstrengungen, das von ihm theoretisch verklärte Phantomteilchen dingfest zu machen.

Peter Higgs zu Besuch beim CERN. Im Hintergrund das CMS-Experiment. Bild: CERN

Nunmehr sieht es seit dem 4. Juli 2012 danach aus, als sei ihnen dieser Coup gelungen. Im Teilchenzoo ist offenbar noch ein weiteres Partikel heimisch, das eine einzigartige Qualität hat. Eine Qualität wohlgemerkt, die die Quantität der Partikel erklären kann.

Wenngleich die wissenschaftstheoretische, ja vielleicht sogar die intellektuell-philosophische Tragweite der aktuellen Entdeckung des Higgs-Bosons zurzeit nicht absehbar ist, so ist doch zumindest die Grundidee, die hinter allem steckt, so einfach wie genial. Denn laut Theorie erhalten die Partikel im Subkosmos ihre Masse dadurch, indem sie sich durch ein Kraftfeld, das so genannte Higgs-Feld, bewegen.

Hierbei handelt es sich um ein höchst unbekanntes Etwas, das das ganze Universum als geheimnisvolles unsichtbares Energiefeld durchziehen soll. In ihm sind Higgs-Bosonen, die weder einen Spin noch eine Ladung haben, die charakteristischen Vermittlerteilchen.

Während das Higgs-Feld die Bewegung aller materiellen Teilchen abbremst, gewinnen Elektronen, Neutrinos, Quarks, aber auch W- und Z-Bosonen zeitgleich an Masse. Da das Feld auf bestimmte Partikelarten stärker reagiert als auf andere, kommen somit unterschiedliche Massen zustande.

Auf eine einfache Formel gebracht bedeutet dies: Je nachdem, wie intensiv die jeweiligen Teilchen mit diesem Feld in Wechselwirkung treten, werden sie schwerer oder leichter und zudem elektrisch geladen oder nicht. Kurzum, alle Eigenschaften der Teilchen lassen sich vor dem Hintergrund, dass das gesamte Universum komplett und kontinuierlich von diesem Feld durchsetzt ist, plausibel erklären.

Bild: CERN

Dass die jüngste Entdeckung des vermeintlichen Higgs-Boson mithin enorme Auswirkungen auf die Astrophysik und Kosmologie hat, liegt auf der Hand. Schließlich gäbe es ohne Higgs-Teilchen kein Higgs-Feld, dessen Einfluss auf die Inflationsphase unmittelbar nach dem Urknall alles andere als unerheblich war.

Sollte sich nämlich die Theorie des Higgs-Feldes als korrekt erweisen, könnte dank des LHC-Experimentes der Nachweis weiterer Partikel gelingen, die Aufschluss über die Ur-Phase des Kosmos geben. In diesem Fall würde sich bestätigen, dass die fundamentalen Eigenschaften der allerkleinsten Teilchen mit der Entwicklung des expandierenden Universums aufs Allerengste verbunden sind. Schließlich spielte das Higgs-Feld eine ganz besonders wichtige Rolle zu der Zeit, in der das Universum immer noch viel, viel kleiner war als ein Atomkern.