Rechtsextremismus? Ja, das hätte man uns ja auch mal sagen können

Nicht nur der Verfassungsschutz, auch das Bundeskriminalamt sorgt im Zuge des Untersuchungsausschusses zum NSU für die eigene Rufschädigung

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Vom ungewohnten Schweigen

Seit er das Amt des Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA) innehat, ist Jörg Ziercke nicht für Schweigsamkeit bekannt. Ob Onlinedurchsuchung, Netzsperren oder Vorratsdatenspeicherung - der BKA-Chef ist stets auch dadurch aufgefallen, dass er vehement für erweiterte Befugnisse seiner Behörde warb und Kritik an ihr und an sich ignorierte. "Wir müssen wegkommen von dieser Misstrauensdebatte, gegen den Staat, gegen die Polizei", lautete beispielsweise eine seiner Argumentationen bei der Debatte rund um die Onlinedurchsuchung.

Dabei waren seine (nicht selten von fehlendem technischen Sachverstand geprägten) Argumentationsmuster eher von Ablenkungsmanövern geprägt denn von Fakten. Auf die Vorratsdatenspeicherung angesprochen meinte Ziercke, dass er nicht die Verbindungsdaten aller Internetnutzer Deutschlands speichern wolle, dies sei "Unsinn". Im gleichen Atemzug gab er aber an, dass die Provider genau dies tun sollten, und nutzte die Formulierung "bei Transaktionen":

Ich will hier nicht die Verbindungsdaten aller Internet-User in Deutschland speichern, das ist völliger Unsinn. Ich möchte, dass die Provider bei Transaktionen im Internet die Verbindungsdaten ein halbes Jahr aufbewahren.

Jörg Ziercke im Gespräch mit der Welt

Oft führte Ziercke auch das Vertrauen in seine Behörde als Argument an - so, als sei das BKA frei von Fehl und Tadel. Diese Ansicht verwirrt, denn gerade unter ihm gab es einen Vorfall, der bis heute nicht öffentlich stark thematisiert oder vom BKA lückenlos aufgeklärt wurde. Dabei ging es um die sogenannte "mg", die militante Gruppe.

Beweisfälschung flog nur durch eine Panne auf

Die genauen Umstände der Beweisfälschung kann man hier nachlesen (Die Schlange (B)Ka(a) oder: Vertraue mir). Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das BKA (bzw. ein Mitarbeiter des BKA) selbst ein Schreiben an eine "autonome" Zeitung sandte, welches später als Beweis dafür gelten sollte, wie die sogenannte "mg" für Militanz warb. Nur durch Zufall wurde eine Handakte, in der das Verhalten des BKA festgehalten worden war, auch Teil des Verfahrens und gab insofern Aufschluss darüber, dass nicht etwa die "mg", sondern eben das BKA selbst einen der inkriminierten Texte verfasst hatte.

Die Folgen dieser Offenbarung waren, dezent ausgedrückt, sonderbar: Da der Mitarbeiter nicht vereidigt worden war, galt seine vorherige Falschaussage nicht nur als nicht strafbar - das Gericht ließ ihn auch ziehen, da er "zu einem Termin musste". Die betreffende Handakte nahm er mit, ohne dass vorher davon Kopien angefertigt worden waren. Eine Konfiszierung der Akten lehnte das Gericht ab, da es sich um "Handakten einer Behörde" handelte.

Dieser Vorfall wurde bis heute von Jörg Ziercke nicht thematisiert, obgleich er auch maßgeblich zu einem schlechten Ruf des BKA beigetragen hat. Hier war der sonst so redselige BKA-Chef ungewohnt schweigsam und hielt das Schweigen bis heute durch.

Alles in Ordnung

Die derzeitigen Aussagen des BKA-Chefs im Untersuchungsausschuss zum NSU müssen für Jörg Ziercke doppelt schmerzhaft sein, zeugen aber auch von der Hybris des Kriminologen, der nach eigenen Angaben nur deshalb nicht in den schon vorbereiteten Ruhestand ging, damit die Aufklärung des Falles nicht gefährdet wird. Doppelt schmerzhaft zum einen, weil hier aufgezeigt wird, dass das BKA keineswegs die kompetente und glaubwürdige Behörde ist, als die sie Jörg Ziercke gerne darstellt. Zum anderen aber auch, weil der Kampf gegen Rechtsextreme für ihn auch nicht zuletzt ein sehr wichtiges Anliegen war, bei dem er einige im BKA vor den Kopf stieß, als er sich sowohl offensiv als auch intensiv mit der NS-Vergangenheit des BKA auseinandersetzte.

Dass gerade seine Behörde nun bei der NSU versagt hat, ist für Jörg Ziercke eine bittere Pille. "Wir haben versagt", musste er dann gegenüber dem Untersuchungsausschuss zugeben. Doch abgesehen von diesem Eingeständnis waren Jörg Zierckes Kommentare und Aussagen wie immer von einer Selbstüberschätzung geprägt, die selbst dem CDU-Abgeordneten Clemens Binninger, der bereits als Jörg Zierckes Nachfolger gehandelt wurde, zu weit ging. "Für Hochmut ist in dem Ausschuss eigentlich wenig Platz", lauteten seine ermahnenden Worte an den BKA-Chef, als dieser sich zu der Hypothese verstieg, letztendlich sei ja die Polizeiarbeit doch als gut zu bewerten, da sie zum Ende der dem NSU zur Last gelegten Mordserie geführt hätte.

Die hohen Prämien, die für Tathinweise ausgelobt waren, so Jörg Ziercke, hätten für Unruhe gesorgt und insofern dazu beigetragen, dass das Morden ein Ende fand. Eine These, die bisher durch nichts belegt werden konnte. Absurd wird es dann, wenn der BKA-Chef darauf pocht, die Medien und die Politik hätten das BKA dazu anhalten sollen, auch im Bereich Rechtsextremismus zu ermitteln, als es um den NSU ging. Das BKA, so Jörg Ziercke, hätte nämlich in Richtung Rechtsextremismus ermittelt, "wenn die Politik mehr Kleine Anfragen zum Thema gestellt hätte". Eine entlarvende Ansicht. Als sei das Kriminalamt eine Behörde, die nur auf Zuruf und bei entsprechendem Druck durch andere bereit ist, bei Mordfällen in alle Richtungen zu ermitteln.

Wie sehr Jörg Ziercke die Versäumnisse des BKA herunterspielt, wird noch an einem anderen Beispiel deutlich. Dieses Beispiel zeigt auch auf, dass er entweder technisch (bzw. juristisch) unbewandert ist - oder aber, dass er dies von anderen annimmt (bzw. erneut auf die absolute Glaubwürdigkeit seiner Behörde vertraut, die nicht gerechtfertigt ist).

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass durch eine "Panne" Telekommunikationsüberwachungsdaten innerhalb eines Zeitraumes von fast 3 Monaten versehentlich gelöscht wurden. Beim BKA heißt es dazu beschwichtigend, es seien hier zwar Datenverluste, jedoch keine Informationsverluste aufgetreten, da die Erkenntnisse aus den Daten bereits aktenkundig wären. Da stellt sich die Frage, wie diese aktenkundigen Informationen gerichtsfest sein können, wenn dafür keine Beweise vorliegen. Hierzu jedoch schweigt Jörg Ziercke bisher.

"Ich denke, die Beschäftigung mit der Rolle des BKA im demokratischen Rechtsstaat muss für die Polizei eine Daueraufgabe sein", sagte das SPD-Mitglied einst, als es um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit seiner Behörde ging. Dazu gehört auch ein BKA-Präsident, der in der Lage und willens ist, Fehler seiner Behörde nicht totzuschweigen, sondern transparent mit ihnen umzugehen und daraus zu lernen. Der Forderung nach einem Rücktritt Jörg Zierckes kann man sich aus dieser Warte heraus nur anschließen - doch damit wäre lediglich ein Schritt auf dem Weg zu einem BKA getan, das das Vertrauen genießt, das Jörg Ziercke immer einforderte. Es wäre der erste Schritt, bei dem es jedoch nicht bleiben darf. Doch es wäre ein wichtiger Schritt.

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