Tod eines Politikers

Teil 1: Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Mordes an Dr. Dr. Uwe Barschel

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Nach jahrelangen juristischen Querelen konnte der leitende Oberstaatsanwalt a.D. Heinrich Wille letztes Jahr endlich sein Buch über die von 1994 bis 1998 geführten Ermittlung zum Todesfall Uwe Barschel veröffentlichen. Das Medienecho auf "Der Mord, der keiner sein durfte" fiel relativ gering aus, wohl weil der Autor keinen konkreten Mörder präsentieren konnte. Die eigentliche Qualität des Buchs liegt jedoch in dem aufschlussreichen Einblick in eine mit rechtsstaatlichen Mitteln geführte Ermittlung, die politisch nicht gewünscht war und von den Medien in fragwürdiger Weise beeinflusst wurde.

Als am 11. Oktober 1987 Journalisten die Leiche Uwe Barschels fanden, waren sich Behörden und Medien in ihrer Bewertung als Suizid des gestrauchelten Politikers einig. Die Rolle des Bad Guy war zuvor durch den SPIEGEL-Titel "Barschels schmutzige Tricks" unverrückbar festgelegt worden. Der gestürzte Ministerpräsident, der nach seinem "Ehrenwort" keine Glaubwürdigkeit mehr beanspruchen konnte, habe keinen Ausweg mehr gehabt. Die seltsamen Umstände sowie die Ungereimtheiten der Spurenlage irritierten die Edelfedern kaum, dem rechtskonservativen Politiker weinte allenfalls die Familie eine Träne nach. Wer einen Mord wähnte und damit die Deutungshoheit führender Journalisten infrage stellte, wurde als Verschwörungstheoretiker gelabelt.

Spiegel-Titel 38/1987

An dieser frühen Festlegung auf Suizid hielten viele Meinungsführer auch dann noch fest, als sich mit der Schubladenaffäre die Untiefen politischen Foulspiels auch beim politischen Gegenspieler Barschels abzeichneten. Mitte der 90er Jahre rollten Lübecker Staatsanwälte den Fall erneut auf und förderten Tatsachen, die keinen anderen realistischen Schluss als Mord zulassen. Doch weder dieses Ergebnis war politisch gewünscht, noch überhaupt eine Untersuchung der Verwicklungen von Spitzenpolitikern in Waffenhandel - dem gemeinsamen Nenner aller im Fall Barschel ernst zu nehmenden Mordmotive.

Zwei gegensätzliche Juristen

Die Wege von Wille und Barschel hatten sich schon früh gekreuzt. Beide waren als kriegsbedingte Halbwaisen in Schleswig-Holstein aufgewachsen und begegneten sich erstmals 1974 im Hörsaal an der Universität, später auch im "Historisch Politischen Club", deren Vorsitzender schließlich Wille wurde. Während sich Barschel stets in rechtskonservativem Umfeld bewegte, bereits als Schülersprecher 1963 sogar Großadmiral Dönitz zu einem Vortrag an seine Schule einlud und als Student dem RCDS vorsaß, trat Wille in die SPD ein und wurde Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen. Wille nahm Barschel als Extremist wahr und beobachtete dessen rasante politische Karriere. Als Staatsanwalt referierte Wille einmal dem jungen Innenminister Barschel persönlich über die Ermittlungen eines Korruptionsfalls.

Uwe Barschel. Bild: Engelbert Reineke, Deutsches Bundesarchiv (B 145 Bild-F065018-0011). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Nachdem im Zuge der Barschel-Affäre erstmals die SPD in Schleswig-Holstein an die Regierung gekommen war, wechselte Wille zunächst ins Justizministerium und wurde schließlich leitender Oberstaatsanwalt in Lübeck. Mitbewerber war der damals ebenfalls der SPD angehörende Wolfgang Nešković. In den 70er- und 80er Jahren war im damals schwarzen Schleswig-Holstein ein CDU-Parteibuch Karrierevoraussetzung gewesen, zu der sich Barschel in einem aufgetauchten Schreiben sogar ganz offen bekannt hatte. Und so ist es eine Ironie der Geschichte, dass die Untersuchung von Barschels Todesumständen ausgerechnet durch einen Behördenleiter des anderen politischen Lagers vorangetrieben wurde.

Sieben Jahre Gerüchteküche

Zuständig für das Ermittlungsverfahren war 1987 eigentlich die Genfer Staatsanwaltschaft gewesen. Dort hatte man sich bereits von Anfang an über das geringe Interesse der deutschen Behörden am Fall gewundert, da Genf nur als zufälliger Schauplatz der eigentlich deutschen Angelegenheit gesehen wurde. Trotz der politischen Brisanz des Falls ließ die Spurensicherung am Tatort zu wünschen übrig. Auch in Deutschland einigten sich die Behörden schnell auf Suizid und eröffnete lediglich im Wege der Amtshilfe ein "Todesermittlungsverfahren zum Nachteil des Herrn Dr. Dr. Uwe Barschel". Ein von der Familie Barschel gewünschtes Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts schloss die damalige Staatsanwaltschaft Lübeck im Einvernehmen mit dem Ministerium ausdrücklich aus. Auch die Presse konnte mit Rätseln leben, etwa dem ungeklärten Verbleib einer aufs Zimmer bestellten Weinflasche.

Björn Engholm (1989). Bild: Ludwig Wegmann, Deutsches Bundesarchiv (B 145 Bild-F080691-0010). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Das Interesse am Fall Barschel flammte jedoch 1992 wieder auf, als die Schubladenaffäre ruchbar wurde und zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sowie zum Rücktritt von Ministerpräsident Björn Engholm führte - wie Barschel einst ein gehandelter Kanzlerkandidat. Im Zuge des Schubladenausschusses wurden Berichte über geheime Embargo-Geschäfte in der DDR bekannt, bei denen Barschel eine unbekannte Rolle gespielt hatte. Barschel war nach seinem Anwaltsexamen in die Kanzlei eines Notars angetreten, dem Geschäfte im Bereich Waffenhandel nachgesagt wurden. Ganz offiziell beurkundete Barschel diverse Geschäfte von Dual Use-Gütern wie etwa LKWs für Libyen. Auch stand Barschel offenbar in Kontakt mit einer mehrfach wegen Waffenhandels verurteilten Gräfin.

Uwe Barschel (links) und Gerhard Stoltenberg (rechts unten) auf dem Bundesparteitag der CDU (1986). Bild: Lothar Schaack, Deutsches Bundesarchiv (B 145 Bild-F073604-0019). Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Bereits sein Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, der spätere Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg, war eine Nähe zum Waffenhandel zu eigen. Das Land Schleswig-Holstein selbst hielt Anteile an Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW), einem führenden Produzenten von taktischen U-Booten. Zu einem rechtskonservativem CDU-Politiker mochten informelle Reisen, die offensichtlich geheimdienstlich abgedeckt waren, so gar nicht passen. Ende 1993 wurde bekannt, dass der BND vom Treffen Barschels mit einem Sohn von Ayatollah Khomeini vom 9. Oktober 1987 in Genf wusste, bei dem es laut dessen Leibwächter zu einer Meinungsverschiedenheit gekommen sein soll.

U-Boot-Klasse 209. Bild: US Navy

Zudem war die Polizei bei einer Hausdurchsuchung bei einem schillernden Waffenhändler mit dem sinnigen Namen Josef Messerer eine Notiz aufgefallen, die eine Kenntnis eines Anschlags vermuten ließ, laut Messerer jedoch erst nach dem Todesfall entstand. Noch brisanter war die Anschuldigung des vormaligen Agenten des südafrikanischen Geheimdienstes Dirk Stoffberg, der 1994 von einem Waffenhändlertreffen in Genf berichtete sowie von Barschels Ankündigung, auszupacken. Dies passte zur Affäre um ein Embargo-widriges U-Boot-Geschäft mit Südafrika, bei der Barschel damals seine Rolle hatte verbergen können. Der redselige Stoffberg folgte kurz nach seiner Wortmeldung dem redegeneigten Barschel - angeblich ebenfalls durch Suizid, unmittelbar nachdem er angeblich seine Frau erschossen hatte.

In der Presse wurde bekannt, dass das Archiv eines verstorbenen Mitarbeiters des DDR-Auslandsgeheimdienstes HV-A dem Bundesnachrichtendienst (BND) übergeben worden sei, welche Aufschluss über die Rolle Barschels geben müsse. Eine Journalistin übergab den Lübecker Staatsanwälten Dokumente aus der Gauck-Behörde, welche Barschel als Kurier seines Bruders Eike erscheinen ließen, der Embargo-Geschäfte mit der DDR getätigt habe.

Die politische Dimension des Falles weckte 1994 offenbar auch die Interessen von Wahlkämpfern. So gaben der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sowie der BND die Verschwörungstheorie aus, die Stasi habe vielleicht etwas mit dem Mord zu tun. Im Gegenteil allerdings hatten die DDR-Geheimen seinerzeit sogar eine eigene Untersuchung des mysteriösen Todesfalls geführt, etwa die Meinung eines Experten über eine mögliche Vergiftung Barschels eingeholt. Zudem äußerte sich der renommierte Schweizer Toxikologe Prof. Dr. Hans Brandenberger, der Anhaltspunkte für einen Giftmord sah.

Demgegenüber verteidigte der SPIEGEL seine "eindeutige" Suizid-Version, ebenso ein Hamburger Gerichtsmediziner - der allerdings kein Toxikologe war. Auch die bereits seit 1988 bekannte Anwesenheit des schillernden Detektivs Werner Mauss am Tatort Genf befeuerte Spekulationen über eine Verwicklung deutscher Stellen. Mauss, der nur zufällig vor Ort gewesen und Barschel gar nicht gekannt haben will, machte sich vor allem deshalb verdächtig, weil er eifrig die Selbstmord-These propagierte. Zu den nicht aufgeklärten Umständen des Falles gehörte die Frage, wer denn eigentlich das Hotel ausgesucht und gebucht hatte. Für Barschel wäre es naheliegend gewesen, bei seinem Bruder Eike zu nächtigen, der bei Genf wohnte und von Barschels Verzicht auf die Gastfreundschaft sogar ungehalten war.

Lübecker Ermittlungsverfahren

Die Gesamtheit dieser für einen Suizid seltsamen Umstände, deren Nichtuntersuchung bereits bei der Presse Verdacht erregte, nahm die Staatsanwaltschaft Lübeck 1994 zum Anlass, eigene Ermittlungen wegen Mordverdachts am prominenten Einwohner der Stadt aufzunehmen. Durch Beschluss des Bundesgerichtshofs wurde die Zuständigkeit der Lübecker für die mögliche Auslandstat festgestellt. Erstaunlicherweise macht der Generalbundesanwalt zu keinem Zeitpunkt von seiner Möglichkeit Gebrauch, die brisanten Ermittlungen an sich zu ziehen. Auch eine andere Behörde, deren Aufgabe die Aufklärung undurchsichtiger politischer Vorgänge im Ausland wie das ungewöhnliche Ableben eines Spitzenpolitikers mit Kanzler-Ambitionen wäre, führte erstaunlicherweise keine Untersuchung: Der BND.

Runder Tisch der Schlapphüte

Der DDR-Spur folgend lud Wille Vertreter von Verfassungsschutz, BND, Gauck-Behörde usw. Anfang 1995 zu einem "Runden Tisch" ein, um hinter verschlossenen Türen die Informationslage zu besprechen. Die Lübecker berichteten den Diensten von Spuren in die Tschechoslowakei, wo Barschel während eines Kuraufenthalts Waffengeschäfte getätigt haben soll. Die Geheimdienstler sagten zu, unaufgefordert Erkenntnisse zu übermitteln - stattdessen jedoch kam es zu Informationsverlust: Kurz nach der Unterredung brannten in der Tschechoslowakei im Abstand von wenigen Wochen zwei für den Fall relevante Archive ab, in einem Privatarchiv eines dortigen Hotels fehlte ausgerechnet ein Dokument, das Aufschluss über Barschels Aufenthalt hätte geben können. Wertvolle Hilfe von den Diensten erhielten die Ermittler nicht.

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