Weniger ist mehr

Was den Krieg unbezahlbar macht, Teil 3

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Im Rahmen der Reform oder - nach offizieller Sprachregelung - der "Neuausrichtung" der Bundeswehr, wurde von den verschiedenen Ministern in den letzten 20 Jahren einiges unternommen, um Geld beim laufenden Betrieb und bei den Anschaffungskosten von Material zu sparen. Grundsätzlich wurden zwei Möglichkeiten erprobt: einerseits die Privatisierung von Aufgaben, die nicht zum Auftragskern gehören, und andererseits die Umrüstung und Umorganisierung der Streitkräfte.

Teil 2: Zukunftstruppe mit Sandra Obermaier oder Kevin Dickerchen?

Privatisierung

Ein entscheidender Grund für die Privatisierung1 von Teilen der Bundeswehr waren die erhofften Einsparungen.

Diese angepriesenen Einsparungen sind maßgeblich auf eine Studie der Beratungskanzlei Roland Berger von 2001 zurückzuführen, die dem damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) mittelfristig Einsparungen durch Privatisierung in Höhe von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich in Aussicht stellte.

Die Privatisierungsaufgaben wurden der im Jahr 2000 gegründeten GEBB (Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb) übertragen. Doch in den ersten Jahren produzierte die Aktivität der GEBB wesentlich mehr Kosten als Einsparungen. Erst ab 2003 konnten schwarze Zahlen in bescheidenem Ausmaß vorgelegt werden. Der Misserfolg bewegte den Aufsichtsratsvorsitzenden der GEBB, 2005 eine Auflösung vorzuschlagen. Dieser Empfehlung folgte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zwar nicht, aber er entzog der GEBB das operative Geschäft im Juni 2006, um die Verantwortung wieder im Ministerium anzusiedeln.

Aus den Bestrebungen der GEBB entsprangen schließlich mehrere Projekte, die mehr oder weniger (Miss-)Erfolg erfahren haben. Die zivile Fahrzeugsflotte der Bundeswehr wurde beispielsweise an die 2002 gegründete BwFuhrparkService GmbH übertragen, welche zurzeit 26.000 Fahrzeuge bereithält. Hauptanteileigner ist der Bund mit 75,1%; Minderheitsanteileigner mit 24,9% ist die Deutsche Bahn (die dem Bund gehört). Im Zuge der Reform tragen die meisten Pkws der Bundeswehr jetzt Silber oder Weiß statt Olivgrün, denn diese weniger martialischen Farben ermöglichen einen höheren Wiederverkaufswert auf dem zivilen Markt.

Die LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft mbH, ebenfalls 2002 gegründet, ist ein Kooperationsunternehmen zwischen dem Bund (25,1%) einerseits und dem amerikanischen Unternehmen Lion Apparel sowie der deutschen Logistikfirma Hellmann andererseits. Das Unternehmen ist für die Bekleidung der Soldaten verantwortlich. Beide Projekte gelten als zumindest teilweise erfolgreich.

Ein Škoda Fabia I mit dem KFZ-Kennzeichen des BwFuhrparkService. Bild: Felix König. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Auch ein Teil der Logistik wurde privatisiert. So kümmert sich seit Jahrzehnten die Firma ESG um die Bewirtschaftung der bundeseigenen Lager der Luftwaffe. Die Firma ESG betreibt auch zusammen mit der Logistikfirma Schenker AG (eine 100%ige Tochter der Deutschen Bahn) seit dem Jahr 2000 das Zentrale bundeseigene Lager der Bundeswehr in der Nähe Kassels. Laut Internet-Seite der Firma ESG dient "das Zentrallager für alle Kategorien von Ersatzteilen als Drehscheibe zwischen den Materialdepots des Heeres und den Instandsetzungsfirmen".

Andere Projekte sind größtenteils oder gar kläglich gescheitert. Die Verkaufsbemühungen der nicht mehr genutzten Liegenschaften der Bundeswehr führten erst 2010 zum ersten Vertragsabschluss mit dem Verkauf der Fürst-Wrede-Kaserne in München. Der Ausschreibungs- und Verhandlungsprozess dauerte drei ganze Jahre und füllte 40 DIN-A4 Ordner. Ein mittelmäßiger Erfolg.

Diverse Projekte wurden gar gekündigt. Schon 2002 stoppte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) das Projekt einer privat organisierten Munitionsversorgung der Bundeswehr mit der Begründung, diese Option sei zu teuer. Der Versuch 14 der 300 Truppenküchen zu privatisieren, konnte sich nicht durchsetzen. 2006 kündigte der Dienstleistungskonzern Dussmann die ihm anvertraute Aufgabe. Die "Eigenoptimierung" übernahm anschließend die Bundeswehr - mit Erfolg.

Auch der Wachschutz von Militärobjekten wurde teilweise privatisiert. Die Julius-Leber-Kaserne in Berlin, Stützpunkt des Wachbataillons der Bundeswehr, wo "die Soldaten und Soldatinnen […] sowohl im protokollarischen Ehrendienst wie auch als Infanteristen im Sicherungs- und Wachdienst ausgebildet"2 werden, wurde von der Privatisierungswelle erfasst und fortan von einem privaten Wachdienst bewacht (sic!).

Dabei sind die Aktivitäten der Wachdienstanbieter alles andere als problemlos. Die Firma Securitas zum Beispiel, die 1999 einen Vertrag für die Bewachung von sieben Einrichtungen der US-Armee in Deutschland erhielt und zu diesem Zweck um das Jahr 2005 ca. 1.400 Angestellte einsetzte, wurde von der Gewerkschaft Ver.di beschuldigt, regelmäßig gegen das deutsche Arbeitsrecht zu verstoßen3. Um das Jahr 2007 entlohnten Wachdienste, wie die Securitas, das Wachpersonal mit einem nicht gerade üppigen Gehalt von etwa 5,25 Euro brutto pro Stunde (30% unter dem damals von Gewerkschaften geforderten Mindestlohn).

Nicht nur für die Angestellten durfte dieses Privatisierungsvorhaben einen bitteren Nachgeschmack gehabt haben, sondern auch für den Kunden. 2011 sah sich die Securitas gezwungen, im Rahmen eines Vergleichs mit der US-Armee der Zahlung einer Strafe in Höhe von 6,5 Millionen Dollar zuzustimmen, um einen jahrelangen Rechtsstreit beizulegen. Die US-Armee beschuldigte - anscheinend mit Erfolg - die Securitas für den Wachschutz der US-Kasernen in Deutschland viel zu viele Mann/Stunden abgerechnet zu haben.

Die Privatisierung und die damit verbundene gut honorierte Beratung kann jedenfalls - für den Staat - nicht als gelungen gelten. Die Kanzlei Roland Berger ließ sich für seine anfängliche Beratungstätigkeit mit EUR 3.500 pro Tag und Berater jedoch fürstlich vergüten. Als Urheberin der Privatisierungsideen konnte sich die Kanzlei außerdem weitere Aufträge zur Beratung der neugegründeten GEBB zusichern, die ihr weitere 9,9 Millionen Euro einbrachten.

Wenngleich die Privatisierung in einigen Bereichen positive Ergebnisse vorweisen kann, ist eine Privatisierung des Wehrressorts aufgrund der Besonderheit der Aufgaben denkbar ungeeignet und Einsparungen oft ausschließlich in einer praxisfernen "PowerPoint"-Präsentation zu erzielen.

Umrüstung und Umgestaltung

Die Umrüstung und Umgestaltung der Bundeswehr, die Ende 2011 vom Bundesminister der Verteidigung gebilligt wurde, soll eine spürbare Auswirkung haben:

Die materielle Ausstattung der Bundeswehr wird an die zukünftige Struktur und das priorisierte Fähigkeitsprofil der Streitkräfte angepasst.

Konkret wird eine Reduzierung von Beständen, bzw. "die Justierung nach unten" bei der Anschaffung von geplanten Ausrüstungsgegenständen, sowie die geographische Umgestaltung der Standorte verankert. Unangetastet bleibt die Anzahl von sich in Dienst befindenden geschützten Radfahrzeugen vom Typ Fuchs (765 Stück) und Fennek (212 Stück). Auch das neue Transportfahrzeug vom Typ Boxer soll mit 272 Stück planmäßig eingeführt werden.

GTK Boxer. Bild: ISAF Headquarters Public Affairs Office. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Dafür soll die Anzahl der Kampfpanzer Leopard 2 (Benzinverbrauch, 414 Liter auf 100km) von 350 auf 225 reduziert werden. Vom dem gerade in Einführung befindlichen Schützenpanzer Puma sollen statt 410 nur noch 350 Stück beschafft werden. Die Stückzahl der Eurofighter soll von 177 auf 140 Flugzeuge reduziert werden, die des Transportflugzeugs A400M von 60 auf 40 und die des Transporthubschraubers NH90 auf 80. Vom Mehrzweckkampfflugzeug Tornado wird es, wie es heißt, "zeitnah" nur noch 85 statt 185 geben. Von den älteren Transportflugzeugen C-160 wird es nur noch 60 statt 80 geben.

Bei der Marine bleibt die Anzahl der neuesten und zukünftigen Fregatten gleich (elf), aber die acht älteren Fregatten (F122 Klasse) werden ausgemustert. Die Anzahl der Korvetten bleibt mit fünf auch gleich, sowie die der U-Boote (die Marine hat vier in Dienst und zwei weitere sind bestellt). Die geplante Anzahl vom neuen Schiffstyp Mehrzweckkampfschiff 180 wurde von acht auf sechs Einheiten reduziert. In Zukunft sollen außerdem nur noch 30 statt 43 Marinehubschrauber geben.

Bei Großprojekten wird auch gespart. Von der Aufklärungsdrohne (SAATEG) sollen nur noch 16 statt 22 Stück gekauft werden. Die PATRIOT-Systeme für die Flugabwehr werden von 29 auf 14 reduziert. Auf die Weiterentwicklung bzw. Einführung des multinationalen Flugabwehrsystems MEADS wird gänzlich verzichtet.

Außerdem ist es nicht unüblich, ausgemusterte Ausrüstung ins Ausland weiterzuverkaufen, so dass aufgrund der Ausmusterung auch gewisse Erlöse erzielt werden könnten. Besonders bei den Leopard-Panzern ist es nicht abwegig zu vermuten, dass sich eine neue Verwendung finden lassen wird.

Weiterhin wurde im Oktober 2011 bekannt gegeben4, dass die Bundeswehr im Rahmen der Rationalisierung und Optimierung der Stationierung der Streitkräfte 31 Standorte gänzlich schließen wird und dass weitere 33 Standorte auf weniger als 15 Dienstposten reduziert werden, so dass sie nicht mehr als Standort gelten. Die Schließungen betreffen 6 Standorte mit über 1.000 Dienstposten, 13 mit 500 bis 1.000 Dienstposten, 4 mit 100 bis 500 Dienstposten, sowie 8 kleinere Standorte. Von den 328 Standorten bleiben also nur noch 264 übrig (insgesamt werden 20% der Standorte aufgegeben).

Ob mit der jetzigen Reform der seit zwei Jahrzehnten angestrebte "große Wurf" gelingen wird, bleibt abzuwarten.

Wie viel darf die "proaktive Verteidigung" Deutschland kosten?

In einem Punkt sollte man dem aktuellen Verteidigungsminister Recht geben: "Wir beschäftigen uns erst mit dem Auftrag, dann werben wir die nötigen Mittel ein. In dieser Reihenfolge", sagte er kürzlich der FAZ.

Die gewählten Politiker tragen zwar die Verantwortung dafür, dass Soldaten, die in den Kampfeinsatz entsandt werden, die bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung bekommen. Aber es ist die Zivilgesellschaft, die entscheiden soll, ob die Bundesrepublik das Militär im Rahmen einer "proaktiven Verteidigung", d.h. im Rahmen von Auslandseinsätzen zum Schutz der Interessen des Landes, einsetzen soll, oder ob die Milliarden des Staatshaushalts, die fürs Militär ausgegeben werden sollen, doch nicht anderweitig besser eingesetzt werden könnten.

Deshalb muss man sich ethisch und politisch mit dem Auftrag auseinandersetzen. Deshalb kann die Definition des Auftrags der Bundeswehr nicht von den budgettechnischen Fragestellungen getrennt werden.

Wollen wir eine Bundeswehr, die die Grenzen der Bundesrepublik schützt; eine Bundeswehr, die die Grenzen Europa schützt; eine Bundeswehr, die Brunnen und Krankenhäuser in Krisengebieten baut, oder gar eine Bundeswehr, die die wirtschaftlichen Interessen des Landes schützt, wie Ex-Präsident Horst Köhler (CDU) es öffentlich zugab, bevor er deswegen zum Rücktritt gedrängt wurde?

Die Beantwortung dieser Frage ist gesamtgesellschaftlich relevant, denn sie bestimmt nicht nur die Ressourcen, die der Bundeswehr zur Auftragserfüllung zugesichert werden müssen - je nachdem, wie die Antwort ausfällt, wird unser Land dementsprechend im Ausland wahrgenommen.