Ausländerfeindliche und antisemitische Straftaten werden erfasst, islamfeindliche nicht

Bundesregierung und Innenministerkonferenz sehen von der gesonderten Auflistung islamfeindlicher Straftaten ab, Kritiker sehen darin den Versuch einer Verschleierung des Ausmaßes der Islamfeindlichkeit

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Gerhard Piper hatte nach dem Massaker des rassistisch-nationalistisch orientierten, islamfeindliche Anders Breivik in Norwegen für den in Telepolis veröffentlichten Artikel Moscheeanschläge: schleichende Kristallnacht versucht, die Zahl der Anschläge gegen Moscheen in Deutschland (Bombendrohungen, Brand- und Bombenanschläge, Vandalismus, Schusswaffengebrauch etc.) aufzulisten. Sie werden im Unterschied zu anderen politisch motivierten Taten nirgendwo vollständig und systematisch erfasst. In den Verfassungsschutzberichten werden diese Angriffe in der Regel gar nicht erwähnt, das BKA konnte nicht sagen, ob islamfeindliche Anschläge angestiegen sind oder nicht, weil diese Kategorie nicht erfasst wird - also aus welchen Gründen auch immer nicht interessiert.

Piper kam bei Durchsicht der meist von lokalen Medien berichteten Vorfälle und von Aussagen der Betroffenen auf mehr als 120 in den letzten 30 Jahren. Dazu kommen noch 50 Schändungen von Moscheen. Piper betont, die Liste sei unvollständig. Nach dem 11.9. häuften sich die Angriffe. Sie sind freilich nicht, so weit aufgeklärt, allein auf Täter aus dem rechten Hintergrund zurückzuführen, auch Kurden, Armenier oder Türken haben Anschläge ausgeführt. Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion hat mit ihren Parteikollegen, angeregt durch den Artikel, im Mai 2012 eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Auf die Frage, wie viele Moscheenanschläge - und -schändungen es seit 2000 in Deutschland gegeben habe, wurde geantwortet:

"Anschläge auf Moscheen, Moscheevereine oder sonstige islamische Einrichtungen" stellen ebenso wie die "Schändung von Moscheen" kein eigenständiges Delikt dar; vielmehr werden durch einen Anschlag bzw. eine Schändung – je nach den Umständen des konkreten Einzelfalles – unterschiedliche Straftatbestände verwirklicht.

Für das Jahr 2000 liegen zu "politisch motivierten Straftaten mit dem Angriffsziel 'Religionsstätte/Moschee'" keine Angaben vor, von 2001 bis 2011 werden insgesamt 219 politisch motivierte Straftaten (Brandanschläge, Hakenkreuzschmierereien, Steinwürfe, Drohanrufe, Beleidigungen etc.) aufgelistet. Nach Jelpke war diese Liste aber unvollständig, weil es in dieser Zeit 19 weitere Brandanschläge, darunter eine Serie von sieben Brandanschlägen auf Berliner Moscheen in den Jahren 2010/11, gegeben hat, die nicht aufgeführt wurden. In einer weiteren Kleinen Anfrage wollte Jelpke nun wissen, warum die Auflistung der Regierung in Bezug auf die von Piper nicht vollständig sei und warum auf der Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister- und -senatoren im Oktober 2011 beschlossen wurde, die Hasskriminalität nicht um das Unterthema "islamfeindlich" zu erweitern.

Was gilt als "Teilmenge der Hasskriminalität?

Als Hasskriminalität bezeichnet die Bundesregierung "politisch motivierte Straften", die sich "gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung, ihres äußeren Erscheinungsbilds oder ihres gesellschaftlichen Status" oder in diesem Zusammenhang auch "gegen eine Institution oder Sache" richten. richtet. Auch wenn die Tat nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusam- menhang gegen eine Institution oder Sache verübt wird, erfolgt ihre Zuordnung: Straftaten mit fremdenfeindlichem und/oder antisemitischem Hintergrund gelten als "Teilmenge der Hasskriminalität", ein islamfeindlicher Hintergrund wird aber dabei nicht erfasst. Auf die Frage, warum die Kategorie der islamfeindlichen Taten nicht aufgenommen wurde, antwortete die Bundesregierung lediglich, dass dies erörtert und "einvernehmlich" abgelehnt wurde, eine Begründung könne man aber mangels fehlender Ausführungen über den Verlauf der Diskussion in der Niederschrift nicht angeben.

Zur Diskrepanz der Zahlen verweist das Bundesinnenministerium eben darauf, dass es keine Zahlen über alle Angriffe auf Moscheen gibt, sofern sie nicht der politisch motivierten Kriminalität zugeordnet wurden, wobei die "Tatmotivation" entscheidend sei. Dass der Täter einem "extremistisch eingestellten Milieu" angehört, sei nicht ausschlaggebend, ebenso wenig das "subjektive Empfinden des Opfers". Zudem gebe es Probleme mit der Zuordnung einer politisch motivierten Straftat zu einem Ziel. In der Anfrage werden 17 Anschläge auf Moscheen und muslimische Einrichtungen aufgeführt, von denen das Bundesinnenministerium aber nur vier als politisch motiviert bezeichnet, weil dies so gemeldet worden sei. Begründung gibt es keine.

Verschleierungstaktik?

Ulla Jelpke kritisiert: "Islamfeindliche Straf- und Gewalttaten gegen Moscheen in Deutschland erreichen inzwischen ein ähnliches Niveau wie vergleichbare antisemitische Übergriffe etwa gegen jüdische Friedhöfe. Doch weiterhin weigern sich Bundesregierung und Sicherheitsbehörden, solche Straftaten separat zu erfassen, wie es im Falle antisemitischer Taten nach langem Drängen von PDS und Linksfraktion seit einigen Jahren der Fall ist." Weil islamfeindliche Straftaten auch nach dem islamfeindlich motivierten Massaker in Norwegen nicht gesondert erfasst werden, würde "die Dimension der Islamfeindlichkeit" verschleiert werden. Man könnte auch sagen, man will sie nicht zum Problem machen, um eigenes Wählerklientel nicht zu verschrecken. "Die Bundesregierung führt an", so Jelpke weiter, "nicht jeden Anschlag als politische Tat zu werten, nur weil die Opfer es so empfänden. Das erinnert fatal an das Ermittlungsversagen im Falle der NSU. Auch hier war die Polizei trotz mehrfacher Hinweise der Opfer auf eine rassistische Motivation dieser Spur nicht nachgegangen."

Die Skepsis ist durchaus berechtigt. Im September letzten Jahres hatte Jelpke aufgrund des norwegischen Massakers und der Verwurzelung von Breivik in die rechtspopulistische und antiislamische Szene bereits eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet und sich erkundigt, ob es in Deutschland ähnliche Parteien und Gruppierungen mit dieser "neuen Form der Ausländerfeindlichkeit" gebe. Damals spielte das Bundesinnenministerium die Lage herunter und stufte Islamfeindlichkeit als nicht gefährlich ein, weil sie sich vom "klassischen deutschen Rechtsextremismus" unterscheidet (Bundesregierung hat nach dem Massaker in Norwegen keine Probleme mit islamfeindlichen Gruppierungen). Islamkritische und -feindliche Äußerungen galten als "Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung". Es hieß auch: Bundesregierung: "Tat und Täter weisen keine Bezüge nach Deutschland auf"). Und vom Rechtsextremismus hat man bekanntlich nicht angenommen, dass es hier eine Neigung zum Rechtsterrorismus gab, bis der NSU die Anerkennung der Wirklichkeit unumgänglich machte (Vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus).