"Quotenregelungen sind eine subtile Form der Frauenverachtung"

Klaus Funken über seine Erfahrungen mit der Geschlechterpolitik in der SPD - Teil 1

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Die SPD führte 1988 eine Frauenquote ein, deren zeitliche Befristung bis 2013 sie später aufhob. Damit hat sie laut ihrem ehemaligen wirtschaftspolitischen Fraktionsreferenten Klaus Funken nicht nur gegen die Verfassung verstoßen und der Demokratie geschadet, sondern auch die Entscheidungsfindung innerhalb der Partei beschädigt und damit zur Politikverdrossenheit beigetragen. Mit fatalen Folgen für die Sozialdemokraten, wie der frühere Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Schanghai meint.

Herr Funken, was hat eine Frauenquote mit Demokratie zu tun?

Klaus Funken: Leider sehr wenig. Das ist ja das Problem mit einer verbindlich festgesetzten Frauenquote, einer "Zwangsquote", wie die SPD sie in ihren Parteistatuten seit 1988 verankert hat. Ihr fehlt die demokratische Legitimation. Mit Hilfe der Frauenquote soll ein Ziel, nämlich die zahlenmäßige Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebenslagen, gleichsam par ordre du mufti erzwungen werden. Auch in politischen Parteien. Es ist offensichtlich, dass sich bei der Umsetzung der Quote Probleme ergeben.

Das fängt schon bei den uns allen verfassungsrechtlich garantierten, den sogenannten unveräußerlichen Grundrechten an. Eine verbindlich vorgeschriebene Frauenquote verstößt nämlich gegen das Diskriminierungsverbot unserer Verfassung. Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG bestimmt, dass "niemand … wegen seines Geschlechts, … benachteiligt oder bevorzugt werden" darf. Genau darum geht es aber bei der Frauenquote. Es geht um die Bevorzugung von weiblichen Parteimitgliedern bei der Gewinnung von Mandaten in Parlamenten und bei der Vergabe von Ämtern und Funktionen in der Partei.

"Grüne und SPD haben massiv gegen Verfassungsgrundsätze verstoßen"

Welche Auswirkungen hat die Frauenquote auf den demokratischen Prozess innerhalb der Parteien selbst?

Klaus Funken: Mit einer Frauenquote wird in der Tat nicht nur ein Grundrecht verletzt, was schon schlimm genug wäre, sondern es geht auch um die vom Verfassungsgeber geforderte demokratische Ordnung in den Parteien selbst. Die innere Ordnung der Parteien muss "demokratischen Grundsätzen" entsprechen, so bestimmt es Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes. Das Grundprinzip von Demokratie, die Gleichwertigkeit der Stimme (das berühmte one man one vote), wird bei einer Quotenregelung wesentlich eingeschränkt. Parteien müssen ihren Mitgliedern zudem die gleichen Mitwirkungsrechte gewähren.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwei "ganz elementare Anforderungen" an die Parteien aus Artikel 21 Abs. 1 S. 3 GG hergeleitet: Zum einen müssen die Parteien den Aufbau und den Entscheidungsprozess von unten nach oben gewährleisten - davon sind alle Parteien allerdings meilenweit entfernt. Zum anderen muss die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Parteimitglieder bei der Willensbildung garantiert sein. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem eine Differenzierung von aktivem und passivem Wahlrecht einschließlich des Zähl- und Erfolgswerts der Stimmen verboten. Dem widerspricht aber grundsätzlich eine Zwangsquotierung, wie sie in Parteien praktiziert wird.

So setzt beispielsweise die Benachteiligung der männlichen Mitglieder am passiven Wahlrecht an, was nichts anderes bedeutet, als dass die Wählbarkeit der Männer zugunsten weiblicher Mitglieder beschränkt wird. Von "allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen", wie es das Grundgesetz in seinen Wahlrechtsgrundsätzen (Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG) vorsieht, kann somit in den Quotenparteien keine Rede sein.

Es verwundert schon, dass Grüne und SPD bei der Ausgestaltung ihrer innerparteilichen Ordnung nunmehr schon seit einem Vierteljahrhundert derart massiv gegen zentrale Verfassungsgrundsätze verstoßen können. Bisher hat sich noch kein Parteimitglied in Karlsruhe beschwert. So gilt denn auch hier der alte Grundsatz des römischen Rechts: Nullo actore, nullus iudex - Wo kein Kläger, da kein Richter.

"Verfassungsrechtlichen Bedenken wurden ignoriert"

1988 hat die SPD eine Frauen-Quote eingeführt. Was wurde darin festgeschrieben und welche Folgen können Sie nach 25 Jahren in Ihrer Partei ausmachen?

Klaus Funken: Unter Quotierung wurde auf dem Münsteraner Partei 1988 die - das ist ganz wichtig - zeitlich befristete Bevorzugung von Frauen bei der Gewinnung von Mandaten in Parlamenten und bei der Vergabe von Ämtern und Funktionen in der Partei verstanden. Nur durch ihre zeitliche Befristung war die Frauenquote damals als verfassungsgemäß angesehen worden. In der Diskussion heute ist dieser Aspekt vollkommen in den Hintergrund getreten. Tatsächlich hat der Bundesparteitag 2003 - auf Antrag der AsF, der "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen" - in Bochum die zeitliche Befristung der Quotenregelung sang- und klanglos aufgehoben. Es gab keine Debatte, die verfassungsrechtlichen Bedenken von Münster waren vergessen oder wurden einfach ignoriert.

Für alle Parteigliederungen - vom Ortsverein, den Unterbezirken, den Abteilungen, den Bezirken, den Landesverbänden bis hin zur Bundesebene (Parteitag, Parteirat, Parteivorstand, Präsidium sowie den unterschiedlichen Parteikommissionen) - wurde eine Frauenquote von 40 Prozent bei der Wahl von Funktions- und Mandatsträgern also verbindlich festgelegt, das heißt in den Statuten der Partei verankert. Die SPD hat diese Vorgabe penibel eingehalten. Bei einem weiblichen Mitgliederanteil von unter einem Drittel kommt die Quote damit einer Überrepräsentanz von Frauen in den Spitzenpositionen der Partei gleich.

"Feministischen Axiome werden durchdekliniert"

Was bedeutet das konkret?

Klaus Funken: Bei der Aufstellung der Kandidatenlisten (den sogenannte Landeslisten) für den Bundestag und die Landtage werden sogar regelmäßig 50% Frauen berücksichtigt. Hier gilt das sogenannte Reißverschlussverfahren, einer weiblichen Kandidatin folgt ein männlicher und so weiter. Ähnliches gilt für die Kreis- und Bezirksebene. Die Einführung der Frauenquote ist die einzige echte Parteireform in der SPD seit Jahrzehnten. Sie hat nachhaltig Wirkung gezeigt. Sie hat die SPD von Grund auf umgekrempelt. Mit der "feministischen Wende" der "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen", 1981, und der verbindlich vorgeschriebenen Frauenquote hat sich die SPD 1988 einer neuen Ideologie geöffnet, die von außen, von der "neuen Frauenbewegung" der siebziger Jahre, in die Partei hineingetragen wurde.

Feministisches Denken ist seither auf dem Vormarsch überall. Traditionelle sozialdemokratische Konzepte wurden über Bord geworfen - nicht nur in der Familienpolitik, der Bildungs-, Forschungs- und Kulturpolitik, der Sozial- und Gesundheitspolitik, sondern auch in der Rechtspolitik, der Innenpolitik, ja der Außen- und Entwicklungspolitik. Selbst in der Finanz- und Haushaltspolitik lässt das neue feministische Denken grüßen. Bis in die entferntesten Bereiche der Politik werden die feministischen Axiome durchdekliniert und - soweit es angebracht erscheint - angewandt. Nur in der Verteidigungspolitik bleibt der Eifer, die zahlenmäßige Gleichstellung der Geschlechter umzusetzen, zurück. Mit ihrer strukturellen Überrepräsentanz in allen Entscheidungsgremien der Partei kann die AsF ihre Politik meist auch spielend leicht durchboxen.

Klaus Funken

Was unternehmen die parteininternen Kritiker der Reform dagegen?

Klaus Funken: Der Widerstand gegen die weitere Feminisierung der Partei ist faktisch zusammengebrochen. Die noch aktiven männlichen Mitglieder, die vor allem auch Karrieren machen wollen, müssen sich diesem Entwicklungstrend unterordnen und arrangieren sich mit den Genossinnen. So besitzt die AsF-Führung heute eine Schlüsselrolle bei der Besetzung von Gremien, bei der Auswahl der Kandidaten für Parteiämter und Parlamentsmandate, bei der programmatischen Weiterentwicklung der Partei bis in die Formulierung der Tagespolitik hinein.

"Regime weiblicher Überrepräsentanz"

Wie wirkt sich das auf die Seelenlage der Partei aus?

Klaus Funken: Diese verkorkste Lage ist verantwortlich für die anhaltend gereizte Stimmungslage in der Partei. Ich kenne kaum jemanden unter den männlichen Mitgliedern, der unter vier Augen nicht zugibt, dass die Quotenregelung in der SPD ein Flop ist und abgeschafft gehört. Allerdings rührt sich offiziell kein Widerstand dagegen. Viele der noch aktiven Mitglieder haben sich mit der zwischenzeitlich ja schon seit fast 25 Jahre währenden Situation abgefunden und ihren Frieden mit der Quotenregelung gemacht.

Es gibt allerdings noch einen ganz anderen, sehr einfachen Grund für die Lethargie der Genossen. Änderungen an den Parteistatuten bedürfen einer Zwei-Drittel-Mehrheit auf dem Bundesparteitag. Hier stellen aber weibliche Mitglieder zwischenzeitlich die Hälfte der Parteitagsdelegierten. Eine Statutenänderung ist somit gegen den Widerstand der AsF nicht zu machen. Einfach gesagt: Die Privilegierten (die weiblichen Mitglieder der SPD) entscheiden über ihre eigenen Privilegien (die Frauenquote). Eine komfortable Lage für die Frauen und eine aussichtslose Lage für die Männer in der SPD. Zudem ist mit der zeitlichen Entfristung der Quote die neue feministische Grundordnung der Partei, das Regime weiblicher Überrepräsentanz, in Marmor gemeißelt.

"Zahl der Mitglieder seit dem Quotenbeschluss abgestürzt"

Welche Resultate hat dies auf das Wählerverhalten und die Mitgliederzahlen?

Klaus Funken: Die SPD hat für ihre umfassende Feminisierung bitter bezahlen müssen. Seit den siebziger Jahren hat sich die Zustimmung bei nationalen Wahlen halbiert, von knapp 46% im Jahr 1972 auf 23% im Jahr 2009. Die Zahl der Mitglieder ist seit dem Quotenbeschluss 1988 von knapp 1 Million auf unter 500.000 abgestürzt. Völlig aus dem Blick geraten ist das Ziel, das die Quotenbefürworter der siebziger und achtziger Jahren im Auge hatten, nämlich die Attraktivität der SPD gerade für Frauen zu erhöhen. Hans-Jochen Vogel hatte in Münster noch gemeint, der Quotenbeschluss werde "in der nächsten Zeit vielen Frauen den Weg zu uns erleichtern".

Ein frommes Wunschdenken, wie sich bald herausstellte. Das Gegenteil ist eingetreten. In den vergangenen 24 Jahren kamen nicht mehr Frauen zur SPD, sondern weniger, deutlich weniger. Die Zahl der weiblichen Mitglieder ist von 240.325 im Jahre 1988 auf 155.077 (Stand August 2011), also um 35,5%, zurückgegangen. Vor dem Quotenbeschluss war - in der gleichen Zeitspanne von 24 Jahren - der Entwicklungstrend ein ganz anderer: Von 1965 an nahm die Zahl der weiblichen Mitglieder kontinuierlich zu. 1965 waren 123.565 Frauen Parteimitglieder, 1988 waren es 240.325, also ein Anstieg um 116.760 oder 94,5%. Dass der Frauenanteil in der Partei seit dem Quotenbeschluss überhaupt hat leicht ansteigen können, verdankt die Parteiführung den Männern: Die haben nämlich stärker noch als die Frauen der Partei den Rücken gekehrt - und zwar um 50%. Gleichstellung der Geschlechter durch Schrumpfen der Partei - das ist das Ergebnis von 25 Jahren Frauenquote in der SPD!

"Quotenpartei SPD ist auch für Frauen wenig attraktiv"

Was sind Ihrer Einschätzung nach die Gründe, dass der Frauenanteil an der SPD-Basis stagniert?

Klaus Funken: Die SPD ist mit der Einführung der "Zwangsquote" nicht nur für Männer - das ist ja verständlich - unattraktiv geworden, sondern sie ist - das wird viele Quotenbefürworter erstaunen - auch für Frauen unattraktiv. Es ist nämlich ein Irrtum zu glauben, dass Frauen begeistert sind, als "Quotenfrau" in Amt und Würden zu gelangen. Sozialdemokratinnen, die es in den vergangenen Jahrzehnten in Politik, Wirtschaft, Justiz oder Verwaltung zu etwas gebracht haben, haben es sich in aller Regel verbeten, als "Quotenfrau" bezeichnet zu werden. Zu Recht haben sie darauf bestanden, dass sie es auch aus eigener Kraft, mit eigenem Talent und mit eigener Leistung geschafft hätten, ohne die Krücke der Quote.

Es fördert ja nicht gerade das Selbstwertgefühl einer Frau, wenn sie auf einer reinen Frauenliste antritt, von der sie weiß, dass ihre Chance, gewählt zu werden, gegenüber männlichen Mitbewerbern per Parteisatzung deutlich höher liegt. Quotenregelungen sind, so sehen es viele, auch viele Frauen, eine subtile Form der Frauenverachtung. Die Frage, warum gerade die Quotenpartei SPD für Frauen so wenig attraktiv ist, wird in der Parteiführung allerdings verdrängt, sie darf gar nicht erst - um des lieben innerparteilichen Friedens willen - gestellt werden.

"SPD hat das Dreiklassenwahlrecht wieder eingeführt"

Hat dies nun Rückwirkungen auf die Organisation der Partei?

Klaus Funken: Wie nicht anders zu erwarten hat die SPD die Quotenbeschlüsse penibel umgesetzt. Der AsF-Vorstand schreibt jährliche Kontrollberichte, in denen der "Erfolg" der Quotierung dokumentiert wird. Jahr für Jahr wird Vollzug gemeldet: Auf allen Führungsebenen der Partei wird seit Anfang der neunziger Jahre eine Frauenquote von 40% und mehr erreicht. Bei der Aufstellung der Kandidaten für Parlamente werden Frauen bevorzugt, auf den Landeslisten gibt es den sogenannten Reißverschluss: einer weiblicher Kandidatin folgt ein männlicher usw. Auf getrennten Listen für Frauen, für Männer und auf einer geschlechtsneutralen Liste werden die Kandidatinnen und Kandidaten in einem komplizierten Wahlverfahren ausgewählt. Die helfende Hand der Spitzenleute ist dabei unumgänglich. Die SPD, die stolz darauf ist, dass sie 1919 das Dreiklassenwahlrecht in Preußen abgeschafft hat, hat es 1988 für die eigene Organisation wieder eingeführt.

Zwischenzeitlich ist eine fünfzigprozentige "Geschlechterquote", wie die Frauenquote semantisch aufgehübscht wird, in den Parteistatuten festgeschrieben. Nur in (freigewählten) Parlamenten auf Gemeinde-, Länder- und Bundesebene ist die gewünschte zahlenmäßige Gleichstellung der Geschlechter noch nicht erreicht. Das liegt vor allem am noch geltenden demokratischen Wahlrecht. Doch daran arbeiten zwischenzeitlich ja die Feministinnen und Feministen in den Quotenparteien schon. Mit einer Änderung des Wahlrechts soll die angestrebte zahlenmäßige Gleichstellung der Geschlechter per Reißverschlussverfahren erzwungen werden.

Ein völlig anderes Bild in Sachen Gleichstellung finden wir allerdings auf der lokalen Ebene, dort, wo die unbezahlte, ehrenamtliche, häufig auch frustrierende Knochenarbeit der Mitglieder vor Ort gemacht werden muss: in den Ortsvereinen, den Abteilungen der Partei, den Kommunalparlamenten, wo die täglichen Sorgen der Bürger im Vordergrund stehen, das Kleinklein der Politik ansteht. Hier ist die Anerkennung gering, der Unmut der Bürger hautnah spürbar. Hier auf lokaler Ebene weiß man nichts vom Glanz der öffentlichen Wahrnehmung. In noch nicht einmal jedem fünften Ortsverein (18,8%) steht eine Frau als Vorsitzende vor. Händeringend werden auf lokaler Ebene Frauen gesucht, die sich bereit finden, ein Amt zu übernehmen, sei es als Vorsitzende einer Arbeitsgemeinschaft, als Kassiererin, Schriftführerin oder als Vorstandsmitglied. Männer würden hier liebend gerne beiseite treten und den Frauen den Vortritt lassen. In den Basisorganisationen der Partei ist also das aktive Engagement der Frauen weit geringer als der weibliche Mitgliederanteil von gut 30% vermuten lässt.

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