Quotenregelungen als Herrschaftsinstrument

Der ehemalige SPD-Fraktionsreferent Klaus Funken zur Geschlechterpolitik seiner Partei - Teil 2

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Laut Klaus Funken wurde die Frauenquote in der SPD nicht in erster Linie aufgrund sachlicher Gründe eingeführt, sondern, um die Partei für neue weibliche Mitglieder interessant zu machen. Nachdem dieser Werbe-Effekt geradezu das Gegenteil bewirkt habe, wurde diese (anfangs zeitlich begrenzte) Reform jedoch nicht wieder zurückgenommen, sondern weiter in den Parteistatuten zementiert. Die Frauenquote, so Funken, habe dazu beigetragen, dass wirtschaftsopportunistische Karrieristen auch in seiner Partei das Ruder in die Hand nehmen und bislang behalten konnten. Dies schädigt seiner Ansicht nach die Demokratie insgesamt.

Herr Funken, was waren die gravierendsten Denkfehler der Sozialdemokraten als sie in Ihrer Partei die Frauenquote einführten?

Klaus Funken: Ein grundlegender Denkfehler ist, dass Frauen als "Opfer des 6000 Jahre währenden Patriarchats" glaubten, berechtigt zu sein, ein bestimmtes Verfassungsgebot über andere Normen gleicher verfassungsrechtlicher Qualität setzen zu können. Hier in unserem Falle also die "Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen" gleichsam als übergeordnete, höherwertige Norm anderen Verfassungsnormen voranzustellen. So wird dann etwa das "Diskriminierungsverbot" gegenüber dem "Gleichberechtigungsgebot" als minderrangig betrachtet. Ein unhaltbarer, ja blamabler Zustand. Mit der semantischen Neuschöpfung "positive Diskriminierung" ist von interessierter Seite dann versucht worden, dem verfassungsrechtlichen Zündstoff, der einer solchen Auslegung des Grundgesetzes zu Grunde liegt, zu entgehen.

Ein weiterer Denkfehler besteht darin, das weit auslegbare, unbestimmte, juristisch kaum befriedigend zu definierende Gebot "Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern" in eine leicht zu handhabbare Formel umzudeuten. So wird Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG: ("Männer und Frauen sind gleichberechtigt") mit "zahlenmäßiger Gleichstellung der Geschlechter" interpretiert. In der Tat ist diese Auslegung einfach, klar, von jedem Kleinkind zu verstehen und ebenso in jedem Kindergarten handhabbar. Auch ohne bedeutende rechtsphilosophische Erörterungen zu bemühen, ist allerdings leicht zu erkennen, dass diese (feministische) Auslegung des Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG alles andere als einleuchtend und angemessen ist und vor Gerichten vermutlich auch kaum Bestand haben dürfte.

Es ist ein weiterer Denkfehler zu glauben, den Menschen diese neudefinierte Norm mit ihrer leicht handhabbaren Auslegung von oben herab, eben par ordre du mufti, dekretieren zu können. In Parteien, die sich bei der Gestaltung ihrer inneren Ordnungen an "demokratische Grundsätze" zu halten haben, geht ein solches Dekretieren schon einmal gar nicht.

Und schließlich ist es ein Denkfehler anzunehmen, dass die Auswahl von Führungspersonen einer Partei - und nicht nur hier - nach anderen Kriterien als Persönlichkeit, persönliche Ausstrahlung, Qualifizierung, Wählbarkeit, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit erfolgen kann. Quotenregelungen als Instrument einer verteilungsgerechten Zwangsbewirtschaftung von Führungspositionen zerstören die demokratische Legitimation der Führungspersonen und müssen die Attraktivität einer Partei auf Dauer schädigen. Die SPD ist dafür das beste Beispiel.

"Strukturelle Überrepräsentanz von Frauen"

Haben Sie auch generell Vorbehalte gegen eine Gleichstellungspolitik?

Klaus Funken: Es dürfte Sie jetzt nicht überraschen, dass ich von einer Gleichstellungspolitik, wie sie in den Quotenparteien gehandhabt wird, generell nichts halte. Ich will mich zu der zur Zeit heftig debattierten Frage einer Frauenquote in Großunternehmen hier nicht groß äußern. Frauenquote ist ja nicht gleich Frauenquote. Die Frauenquote in einer Partei verletzt das Demokratieprinzip, das für Parteien verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist. Eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote in den Vorständen von Unternehmen verletzt das Vertragsrecht und das Eigentumsrecht. Die Eigentümer, aber auch die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten, können nicht mehr frei entscheiden, wer ihr Unternehmen führen soll. Hier werden also sehr unterschiedliche Rechtsmaterien berührt. Allerdings ist allen verpflichtenden Quotenregelungen gemein, dass sie Artikel 3, Abs. 3, Satz 1 verletzen, nach dem "niemand … wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden darf".

Auch führt die bereits erwähnte zeitlich unbefristete fünfzigprozentige Frauenquote in allen Spitzengremien der SPD bei einem Frauenanteil von knapp einem Drittel an der gesamten Mitgliedschaft zu einer dauerhaften, strukturellen Überrepräsentanz von Frauen, die meiner Meinung nach verfassungswidrig ist. Sie wird zudem von den meisten Männern in der SPD auch heute noch als ungerecht empfunden. Bei einem Mitgliederanteil von fast 70% ist auch nach 25 Jahren Frauenquote die SPD eine "Männerpartei" geblieben. Ich empfinde das nicht als einen Makel, für den man sich zu entschuldigen hat.

Niemand hinderte Frauen in der Vergangenheit oder hindert Frauen heute daran, Mitglied in der SPD zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt zusätzlich zur Quote spezielle Frauenförderprogramme für Frauen, die Parteispitze versucht unentwegt, Frauen für die Partei zu interessieren, ihnen wird eine breite parteiinterne Aufmerksamkeit gewidmet, die AsF wird mehr als alle anderen Arbeitsgemeinschaften der Partei aus der Parteikasse versorgt, dennoch bleibt das Ergebnis mau. Heute treten so wenige Frauen der SPD neu bei wie noch nie zuvor in den vergangenen 25 Jahren. Dagegen bleibt der Abwanderungstrend ungebrochen. Das müsste doch zu denken geben. Nicht so an der Parteispitze.

"Macht und Einfluss der Parteioligarchie nehmen immer weiter zu"

Welche Reformanstrengungen würden Sie selbst Ihrer Partei in der gegenwärtigen Situation vorschlagen?

Klaus Funken: Es wird Sie nicht überraschen, dass ich für die sofortige Streichung der Frauenquote aus den Parteistatuten plädiere. Man sollte allerdings alle Formen von Quotierungen - zuletzt wurde noch eine Migrantenquote in der SPD neu eingeführt - abschaffen. Die Frauenquote ist ja nur die markanteste von ihnen, allerdings diejenige, die am rigidesten angewandt wird. Je mehr Quotierungsregelungen es in der Partei gibt, umso weniger demokratische Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte gibt es für die Mitglieder. Das eine bedingt das andere. Das Quotierungsunwesen führt zwangsläufig dazu, dass Macht und Einfluss der Parteioligarchie immer weiter zunehmen. Ein Entscheidungsprozess von unten nach oben, wie er für demokratische Ordnungen typisch sein sollte, wird - das gilt im Übrigen für alle Parteien - praktisch weitgehend außer Kraft gesetzt. Die innere Ordnung entspricht nur noch formal demokratischen Grundsätzen.

Die "Mediendemokratie" mit ihrer entpolitisierenden, vornehmlich auf Personen bezogenen Berichterstattung hat die ohnehin bereits stark verkümmerte innerparteiliche Demokratie faktisch zum Erliegen gebracht. In Wahrheit werden die Parteien heute von einer winzigen Zahl von Berufspolitikern beherrscht. Dabei stellen Quotenregelungen das geeignete Instrument dar, um ihren Herrschaftsanspruch leicht und wirksam durchzusetzen.

"Bonapartismus der Parteispitzen"

Welche Effekt hat dies auf das Leben der Parteien?

Klaus Funken: Die strenge Hierarchisierung in den Parteien, der eklatante Mangel an innerparteilicher Demokratie, die undurchsichtige Macht der Parteioligarchien, der kaum noch zu verbergende Bonapartismus der Parteispitzen schotten die Parteien immer weiter von den Normalbürgern ab. Erstaunlicherweise scheinen die Parteien das aber gar nicht zu stören und als eine Herausforderung anzusehen. Dass sie ihre Tore weit öffnen, neue Mitglieder zu gewinnen suchen, dass sie mehr Mitsprache- und vor allem auch Mitbestimmungsrechte ihren Mitgliedern einzuräumen bereit sind, davon kann bei den etablierten Parteien keine Rede sein. So wundert es im Übrigen nicht, dass sie sich von den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Interessenlagen der Menschen in einer Weise abkoppelt haben, die beängstigend ist.

Die SPD wirkt für den politisch interessierten Mitbürger, der seine Parteimitgliedschaft nicht als Steigbügelhalter für seine berufliche Karriere betrachtet, müde, ideenlos, ausschließlich in sich gekehrt und an sich interessiert, gähnend langweilig, geradezu abschreckend. Der Verlust von mehr als der Hälfte ihrer Mitglieder in letzten beiden Jahrzehnten spricht Bände. Wahlergebnisse und Umfragewerte auf nationaler Ebene auf dem Niveau der zwanziger Jahre nicht weniger. Besserung ist nicht in Sicht.

Ein entscheidender Ansatz für die Erneuerung der SPD wird deshalb eine Parteireform sein, die diesen Namen auch verdient. Darüber muss ganz anders diskutiert werden, als das nach dem Wahldebakel 2009 geschehen ist. Der Grundsatz "Demokratie ist Machtausübung auf Zeit" muss dabei auch für die Partei selbst wieder mehr zur Geltung gebracht werden. Ein Stück weit Entprofessionalisierung ist jetzt geboten, nicht im Sinne des Zurückdrängens einer effizient arbeitenden Parteiorganisation - hier liegt noch vieles im Argen. Gemeint ist die Entprofessionalisierung der politischen Klasse selbst.

Was meinen Sie damit?

Klaus Funken: Es gibt ja ein merkwürdiges, allerdings leicht zu erklärendes Paradoxon zu beobachten: Während auf der einen Seite immer mehr Berufspolitiker in den Parlamenten sitzen, wird die Politik selbst immer unprofessioneller. Der Berufspolitiker sucht - wie jeder andere Berufstätige auch - seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie möglichst lange zu sichern. Dafür ist er auf die Zustimmung der Wähler, einer wetterwendischen Meinungsmache in der Massenpresse, aber noch weit mehr auf das Wohlwollen seiner Partei, genauer ihrer Funktionäre und des Parteiestablishments, angewiesen.

Eigenständige, zudem unbequeme, vielleicht dazu noch unangenehme, wohlmöglich auch noch unpopuläre politische Meinungen und Positionierungen - auch wenn sie in der Sache dringend geboten wären - gefährden sein Überleben als Berufspolitiker. Jeder weiß es, jeder sieht es, selbst im Fernsehen: Sogenannte Querdenker - bezeichnend hier schon die stigmatisierende, an Querulantentum erinnernde Kennzeichnung in der Öffentlichkeit - gibt es in den Parlamenten nur noch als Ausnahmeerscheinung, eine aussterbende Rarität. Dabei ist der Abgeordnete verfassungsrechtlich vor jeder Einflussnahme von außen, auch aus seiner eigenen Partei, geschützt (Artikel 38 Absatz 2 Satz 2, Artikel 46 Absätze 2 bis 4).

Der Typ Berufspolitiker, der von seinem Studium an bis zur Erreichung der Altersgrenze sein gesamtes Berufsleben in Parlamenten oder/und in Parteiämtern verbringt, stellt eine Fehlentwicklung unserer demokratisch parlamentarischen Grundordnung dar. Wir brauchen mehr, auch von ihrer Partei, unabhängige Politiker, die auf eine begrenzte Zeitdauer mit der Ausübung politischer Mandate und Ämter betraut werden. Und danach wieder ihrem erlernten Beruf nachgehen müssen. Das, was Hans Apel einmal "die deformierte Demokratie" genannt hat, geht unter anderem auch auf diesen von allen unabhängigen Beobachtern beklagten politischen Karrierismus, der sich in Partei breitgemacht hat, zurück.

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