Und wieder mal ein höchst radio-aktiver Staatspräsident

François Hollande hat sich rasch ans Werk gemacht, um den Atomriesen Areva mit Uran zu versorgen

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Also nichts Neues im französischen Atomstromland. Ob Konservative oder Sozialisten, die Aussicht auf eine Panne in der Nuklearversorgung flößt der Grande Nation Angst ein. Wähnt sie sich nicht mehr so Grande ohne Atom? Der neue sozialistische Präsident François Hollande, nun Herr und Meister der französischen "Dissuasion Nucléaire" (nukleare Abschreckung), hatte am 5. Mai den Nuklearcode von seinem Vorgänger Sarkozy überreicht bekommen. Ritueller Teil der Amtsübergabe in der Nation der Atomgläubigen. Am Nationalfeiertag, dem 14.Juli, bestärkte er das sture Festhalten der französischen Nation an der nuklearen Abschreckung. Auch wenn der Feind nun in den neue Formen des Terrorismus stecken soll.

Wie alle seine Vorgänger seit dem General Charles De Gaulle, der während des Kalten Krieges offiziell und freilich ohne demokratischen Volksentscheid die französische "Force de Frappe" (nukleare Schlagkraft) 1958 begründete, ist nun Hollande, der 7. atomvernarrte Staatspräsident der 5. Französischen Republik. Frankreich ist das einzige Land der Welt, das sowohl seine Verteidigung wie auch seine Energieversorgung voll und ganz der Kernkraft anvertraut.

Foto "François Hollande": Jean-Marc Ayrault. Lizenz: CC-BY-2.0. Illustration: TP.

Die neue Umweltministerin Delphine Batho erinnerte Anfang Juli daran, dass Frankreich nach den Vorstellungen Hollandes, den Anteil der Nuklearenergie in der Energieversorgung der Grande Nation von 75 auf 50 Prozent bis 2025 drosseln wollte. Zudem soll auch die in Deutschland umstrittene Ur-Oma der gallischen Kernkraftwerke, Fessenheim, geschlossen werden.

Wann genau wurde allerdings nicht erläutert. Hingegen soll der EPR von Flamanville fertig gebaut werden. Neue Reaktoren würden nicht in Aussicht stehen, verspricht die Ministerin treuherzig. Abgesehen von der 4. Generation, wie der grüne Abgeordnete Noël Mamère der Erinnerung nachhilft. ASTRID nennt sich der Prototyp dieser neuen Reaktorgeneration, die erst Ende der laufenden Legislatur gebaut werden soll. Doch falls diesem Projekt das selbe Schicksal blüht wie dem EPR, klingt ASTRID nach reiner Zukunftsmusik der französischen Ingenieure und der mächtigen Atomlobby.

Mutter der Radioaktivität

Es war auch Frankreich, das zu Beginn des 20.Jahrhunderts einer Polin namens Marie Curie, polnischer Name Maria Sklodowska, die wissenschaftlichen Mittel zur Verfügung stellte, um die nukleare Spaltung zu entdecken. Diese doppelte Nobelpreisträgerin, Physik und Chemie, ist auch die Schöpferin des Wortes "Radioaktivität", die ihr wie man weiß, das Leben kostete. Jahrelang hatte sie radioaktives Material mit sich herumgetragen, dessen Gefährlichkeit ihr natürlich noch nicht bewusst war.

1934 ist Marie Curie, verstorben, und nun im Mai 2012 ehrte Präsident François Hollande bei seiner Amtsübernahme diese Wissenschaftlerin ausländischer Herkunft, was er betonte. Die Arbeit und die Entdeckungen von Madame Curie "seien Teil des französischen Stolzes geworden", wie der neue Staatspräsident ausdrücklich hervorhob. Vive a radioactivité!?

Im Juli besuchte der neue Chef der Streitkräfte, Staatspräsident Hollande, ein anderes Objekt des Stolzes der Grande Nation, nämlich die Mannschaft des nuklearen U-Boots "Le Terrible" (Der Schreckliche) - um Frankreichs Abschreckungskräfte zu bestärken und um darauf zu bestehen, dass die "Force de Dissuasion" Teil der Kampfkraft der großen Nation sei. Doch angesichts der weiter ausgehenden Uranreserven scheint diese nun auf einer wackeligen Basis zu stehen. Und oh Graus: Ohne Uran ist die nukleare Abschreckung nicht mehr möglich.

Ran an die Uranmine!

Angesichts dieser für die Atommacht Frankreich nicht gerade erfreulichen Aussichten hat François Hollande kurz nach seiner Amtsübernahme nicht lange gefackelt, um seinen nigrischen Amtskollegen, Mahamadou Issoufou, Anfang Juni in den Elyséepalast einzuladen. Natürlich nicht ohne Hintergedanken. Denn dieses westafrikanische Land liefert einen hohen Anteil des von Frankreich bitter benötigten Urans. Hollande kannte praktischerweise den nigrischen Staatspräsidenten bereits persönlich, gehört dieser doch der sozialistischen Internationale an; zudem hat Issoufou seine Ausbildung zum Ingenieur in Bergbauwesen in Frankreich absolviert.

Hollande versprach seinem afrikanischen Amtskollegen, die nigrischen Infrastrukturen wie Straßen, einen Staudamm und die Eisenbahn mit französischer Hilfe zu verbessern. Zudem soll laut Hollandes Versprechen, dem Niger im Kampf gegen den "Terrorismus", der im benachbarten Mali wütet - und dem nigerischen Präsidenten offenbar Kopfzerbrechen bereitet -, geholfen werden. Doch der französische Staat, der ebenfalls eine Ausbreitung der Gewalt in Mali auf die gesamte Sahel-Zone befürchtet, versucht, sich dem Vorwurf kolonialem Verhaltens zu entziehen. Präsident Hollande, der am 10. Juli den britischen Premier Cameron in London traf, teilt mit dem Briten die Bewertung der Krise im Sahelgebiet. Mali? Eingreifen oder nicht eingreifen - das sei hier die Frage.

Der Niger, Alptraum Arevas

Während der nigerische Präsident und Hollande versuchen, gemeinsam, aber auch unabhängig voneinander, die explosive Situation in Mali zu entschärfen, gehen die radioaktiven Geschäfte ungehindert weiter: Die Uranmine in Imouraren, zweitgrößte Uranmine unter freiem Himmel der Welt, soll bis 2014 für den französischen Atomkonzern AREVA zugänglich gemacht werden. Die nigrischen Minen liefern bereits ein Drittel des Urans für AREVA, das wiederum die EDF-Kernkraftwerke damit versorgt. Hollande meinte bei dem bilateralen Treffen, dass Frankreich für die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit der nigrischen Minenarbeiter Sorge tragen werde.

Was auch dringend notwendig zu sein scheint, sieht man sich die Befunde der CRIIRAD (Kommission zur unabhängigen Forschung zur Radioaktivität) vor Ort im Niger an. Ein Team von unabhängigen Wissenschaftern hat die radioaktiven Folgen auf Menschen und Umwelt des bereits über 40 Jahrelang währenden Uranabbaus durch Areva im Niger erforscht. Die Forscher mussten eine offensichtliche radioaktive Verseuchung in der Nähe der Uranminen feststellen.

Nicht nur die Minenarbeiter seien verstrahlt, sondern auch die umgebende Luft, das Wasser und der Boden. Wer sich in der Nachbarschaft der Minen aufhielte ebenfalls. Die gesamte Bevölkerung hätte somit mit gesundheitlichen Folgen zu rechnen. Auch wenn die Strahlungsintensität verhältnismäßig niedrig sei, auf Dauer würde die Aussetzung an die Radioaktivität der Uranminen, gesundheitliche Folgen haben. Nichtsdestotrotz muss gemäß Hollande für AREVA schleunigst nach Uran geschürft werden können.

Das französische Atomunternehmen AREVA und seine Mitarbeiter beginnen sich zunehmend im Niger unwohl zu fühlen. Wurden doch im September 2010 5 Franzosen und 2 Afrikaner, die für AREVA arbeiteten, entführt. Einige Monate zuvor hatten ebenfalls Entführungen von AREVA-Mitarbeitern stattgefunden. Der französische Staat und der Atomriese befürchten, dass diese Entführungen weiter gehen könnten. Diese Entführungen sollen einerseits durch Touareg-Rebellen, die mehr Geld für das nigrische Uran fordern, aber auch durch Mitglieder von Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQUMI), durchgeführt worden sein. Die Entführten waren aber bald wieder frei. Neue Entführungen werden allerdings weder von AREVA, dem Niger oder Frankreich ausgeschlossen.

Insgesamt setzt AREVA 2500 Personen im Niger ein. Dank Hollande kann nun AREVA, unruhigen Gemüts zwar, nach dem nigrischen Uran schürfen. Dem französischen Präsidenten wird allerdings vorgeworfen, im Niger im Namen des wertvollen Urans, althergebrachtes Kolonialverhalten zu praktizieren. Präsident Hollande unterstütze die Nuklearlobby und lege noch immer den alten Reflex der Francafrique an den Tag. Damals, als die Franzosen sich in West-Afrika noch auf heimischen Boden wähnten, soll ein ehemaliger Präsident der Elfenbeinküste 1955 erstmals dieses franco-afrikanische Wortmischmasch gebraucht haben. Zunächst galt es als Zeichen dafür, dass Afrika auch nach der Entkolonisierung noch bevorzugte Beziehungen mit Frankreich wünsche, doch dann, nach und nach, wurde das Wortgemisch France-Afrique zu einem Schimpfwort. Die Bezeichnung für Ewiggestrige, die nicht verstehen wollen und können, dass die ehemaligen französischen Kolonien in Afrika nun frei und unabhängig sind.

Adieu, vielgeliebte Bombe?

Während die wertvolle Uranversorgung aus der Ex-Kolonie Niger noch weiter geht, stellen immer mehr Franzosen, wie auch die Tageszeitung Libération, ausgerechnet am geheiligten Nationalfeiertag, offen die Tabufrage, ob es denn für die nicht mehr so "Grande" Nation nicht an der Zeit sei, die A-Bombe bleiben zu lassen. Sprich auf die berühmt-berüchtigte "Dissuasion" zu verzichten.

Präsident Hollande, der ein offensichtlich enges Verhältnis zur Nuklearlobby pflegt, ist natürlich keineswegs dieser Ansicht... Schon bei seinem Besuch auf dem strategischen Atom-U-Boot Le Terrible betonte er wieder einmal Frankreichs enge Bindung an die Abschreckung. So geschehen auch am Nationalfeiertag, wo wieder die nukleare Abschreckung zu einer französischen Priorität erklärt wurde.

Doch auch Politiker, wie z.B. der ehemalige Premier Mitterands, Michel Rocard, wagen es, die Atombombe und die "Dissuasion" ins Reich der nationalen Mythologien zu verweisen. Der kritische Journalist, Daniel Schneidermann, fragt sich, ob der "virtuelle Schatten des französischen Champignons" wirklich noch zum Ansehen Frankreichs auf der internationalen Bühne beitrage, wie viele nuklearabhängige Politiker noch immer glauben machen wollen. Man solle doch sehen, wie China, Russland oder der Sicherheitsrat angesichts der nuklearen U-Boote mit ihren ach so schrecklich klingenden Namen zittern, und deshalb Frankreichs internationale Vorstellungen ernster nehmen?

Ein weiterer ehemaliger Minister Mitterands, Paul Quilès, früher Verteidigungsminister, dekonstruiert einen weiteren dauerhaften Mythos der Bombe: Nach Ansicht ihrer Anhänger ist die "Dissuasion" Frankreichs Lebensversicherung. Der ehemalige sozialistische Verteidigungsminister meint jedoch, dass es sich viel eher um eine "Sterbeversicherung" handle - die den Franzosen obendrein teuer zu stehen komme: Der ehemalige Minister rechnet vor, dass die nukleare Strategie 3,5 Milliarden Euro pro Jahr koste. Und das sei laut den Befürwortern nicht teuer!.. Doch soll das ganze atomare Spektakel laut Quilès Ausführungen noch kostspieliger werden: Denn die im Namen der Abschreckung eingesetzten Mittel und Gerätschaften wie die Atom-U-Boote müssen bald erneuert werden. Viel Geld für etwas, das dazu vorgesehen ist, nicht eingesetzt zu werden, merkt der Exminister an. Und warum bauen die Franzosen und Europäer dann ein amerikanisches Raketenabwehrsystem (Vor neuer Rüstungsspirale in Europa?), wenn die französische Dissuasion so abschreckend ist, wie behauptet wird, fragt sich der Ex-Minister?

Präsident Hollande hatte zwar beim letzten NATO-Gipfel in Chicago sein ok zum entstehenden Raketenabwehrsystem der NATO gegeben - unter der Voraussetzung, dass die französische nukleare Abschreckung damit nicht ausgehöhlt werde. Offenbar soll das Prinzip der "Dissuasion" nicht so schnell verabschiedet werden. Bis die Exkolonie Niger kein Uran mehr liefern kann? Aber keine Sorge: AREVA wird sich schon um Ersatz kümmern. Damit Frankreich weiterhin seinen nuklearen Stolz auf die gewohnte undemokratische Art und Weise pflegen kann. Die Grenzen der französischen Demokratie liegen seit De Gaulle offensichtlich im Nuklearbusiness.