Die Tricks der Maya

Die Mayas konnten in der Stadt Tikal bis zu 80.000 Bewohner dank ingenieurtechnischer Meisterleistungen unterhalten - daraus lassen sich für die Gegenwart Lehren ziehen

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Als die ersten weißen Entdecker im 19. Jahrhundert uralte Tempeldächer im guatemaltekischen Dschungel ausmachten, fanden sie nur noch Gebäude und Ruinen einer verlassenen Stadt vor. Diese erstreckte sich über ein riesiges Gebiet: Es war schnell klar, dass es sich bei der heute Tikal genannten Siedlung um eine einstige Maya-Metropole handeln musste, die in ihrer Glanzzeit wohl bis zu 80.000 Menschen beherbergte. Inzwischen weiß man sehr viel mehr über die Geschichte ihrer damaligen Bewohner, über den sich mehrfach wiederholenden Zyklus von Aufstieg, Glanz und Verlust, der die Stadt und ihre Rivalität zu den Nachbar-Königreichen kennzeichnete.

Tatsächlich zeugen die noch immer sehr gut erhaltenen steinernen Denkmäler von einer sehr stabilen Kultur. Welches europäische Königreich könnte für sich behaupten, 1700 Jahre durchgängig existiert zu haben? Seit der ersten Besiedelung etwa 900 vor Christus bis zum endgültigen Niedergang um das Jahr 800 befand sich Tikal zum einen im Konflikt mit den Nachbarreichen Calakmul und Teotihuacán, wobei sich das Glück launisch zeigte. Mehrfach wechselte Stadt und Gebiet ihren Status vom Herrscher zum Beherrschten. Gleichzeitig jedoch musste sie sich gegen die Natur, gegen ihre Umgebung behaupten. Wie bei den Mayas üblich, hatte man Tikal nämlich nicht etwa bequem in Flussnähe errichtet. Wetter und vor allem Niederschläge zeigten sich stark jahreszeitabhängig, das Gebiet war von einem trockenen, karstigen Untergrund gekennzeichnet.

Der Große Platz von Tikal mit der Nordakropolis und Tempel 1. Bild: Shark. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Dass die Stadt trotzdem bis zu 80.000 Menschen mit allem Lebensnotwendigen versorgen konnte, hat sie vor allem ihren Erbauern zu verdanken. Dass diese auf unterirdische Trinkwassertanks setzten, war bereits bekannt. Das Ausmaß der Bauten, das Forscher nun in einem Aufsatz in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) beschreiben, hat aber das Zeug zum Faszinosum.

Das begann schon beim Pflaster der großen Plätze: Damit Regenwasser nicht im porösen Untergrund versickerte, ließ es die geneigt verlegte Abdichtung in Richtung kleiner Kanäle abfließen. Diese wiederum vereinigten sich zu größeren Kanälen, die schließlich in Reservoirs mündeten. Allein deren kleinstes, das Tempel-Becken, hatte ein Volumen von mindestens 27.000 Kubikmetern, das entspricht rund zehn olympischen Schwimmbecken. Die Mayas legten diese Reservoirs offenbar nicht mit Schaufel und Spaten an, sondern indem sie natürliche Bodenstrukturen clever ausnutzten - hier etwas verbreiterten, dort etwas gruben.

Zu Füßen des Tempel-Beckens erstreckte sich das fast dreimal so große Palast-Becken. Dessen untere Seite bildete ein riesiger Damm, 80 Meter lang, 60 Meter breit und zehn Meter hoch. Ab dem Jahr 250 muss er errichtet worden sein. Die Mauer besteht aus behauenen Steinen, Sand und Lehm sorgten dafür, dass der Damm wasserdicht wurde. Mit kleineren, gezielt zu öffnenden Durchlässen ließ sich der Wasserspiegel im Palastbecken regulieren. Um das Trinkwasser zu reinigen, setzten die Erbauer auch gezielt Filter ein: Meterdicke Lagen aus Sand, in denen das Wasser seine Schwebstoffe verlor.

Das schließen die Forscher daraus, dass entsprechender, in den Tanks gefundener Quarzsand in dem Gebiet ansonsten selten ist. Zusätzlich, so vermuten die Forscher, könnten die Bewohner Trinkwasser auch noch abgekocht haben. Oder sie stellten mit Hilfe von Maisgrieß fermentierte Getränke her, die für Krankheitserreger unanfällig waren. Tikal muss damit insgesamt besser für Trockenzeiten gerüstet gewesen sein, wie sie in den späten Maya-Perioden gehäuft auftraten: Das könnte erklären, warum die Stadt noch blühte, als andere Maya-Siedlungen schon untergegangen waren. Können heutige Ingenieure noch etwas von den Mayas lernen?

Immerhin hat das Gebiet damals pro Flächeneinheit zehnmal mehr Menschen unterhalten als heute. Dazu beigetragen hat wohl, dass die damaligen Bewohner den Wert des Waldes und einer geschlossenen Pflanzendecke erkannt hatten. So blieb die Qualität des Erdbodens erhalten. Das System der Maya, obwohl auf Steinzeit-Technik basierend, mutmaßen die Archäologen, habe die natürlichen Ressourcen wohl weniger beansprucht als der Mensch von heute, der mit intensiver Landwirtschaft seinen Lebensunterhalt bestreitet.