Ein böser Sturm zieht auf und der Schrecken wird wahr

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Traum und Trauma: Christopher Nolans dritter "Batman" kommt aus dem düsteren Herz unseres Zeitalters

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Auch Unterhaltungskino ist nie bloße Unterhaltung, und was als weltflüchtiges Spektakel gedacht war, kann spektakulär in die Welt zurückschlagen. Dies mussten auf schrecklichste Weise jetzt der britische Regisseur Christopher Nolan und seine Fans erfahren: Was eine fröhliche Premiere des abgründigen Actionspaßes "Batman: The Dark Knight Rises" sein sollte, bekam durch den mörderischen Anschlag in einem Premierenkino in der US-Kleinstadt Aurora eine entsetzliche Wendung. Die Ereignisse sind eine Tragödie auch für den Regisseur und sein Team - zugleich kann, wer den Film kennt, nicht absehen vom Gedanken, ob der Irrsinn eines Einzelnen nicht doch etwas zu tun hat mit dem Vergnügen der Massen um jeden Preis, das keine Grenzen zu kennen scheint.

Die Frage wurde schon bei anderen, verwandten Gelegenheiten - Columbine, Erfurt, Winnenden, aber auch bei den Attentaten von 9/11, die den Weltzerstörungsblockbustern eines Roland Emmerich und anderer zum Verwechseln ähnlich sahen - immer wieder gestellt: Sind die Filme schuld an Gewalt, lädt der ästhetische Exzess ein zum moralischen?

Man muss das klar verneinen, denn diese Frage ist zu primitiv gestellt. Auf tiefere, komplexere Weise sind Film und Verbrechen aber eng miteinander verbunden. Denn zum einen hat Nolan mit seinen drei "Batman"-Filmen natürlich einen visuellen Resonanzraum geschaffen, der auch Kriminelle und Irre wie den Täter von Aurora in einer Weise zur Identifikation einlädt, wie das ein Film von Godard nie würde, obwohl der Franzose auch schon von Terroristen und Mördern erzählt hat.

Andererseits aber macht Nolan in The Dark Knight Rises auch genau den Zustand einer Gesellschaft zum Thema, in der zum Beispiel ein Massenmörder wie der von Aurora gedeiht. Dieser Film und sein Regisseur sind so intelligent, dass sie ihre eigenen Entstehungs- und Wirkungsbedingungen immer schon mitreflektieren.

Überhaupt ist Kino eben auch dort, wo es Massenentertainment sein möchte, Kunst, gute oder vielleicht auch schlechte, aber eben ein Medium, in dem die Gesellschaft mit sich selbst kommuniziert und sich wiedererkennt. So erzählt uns auch "The Dark Knight Rises" Dinge, die wir gar nicht über uns wissen wollten. Und führt uns ins Herz der Finsternis unserer Selbst, lässt uns in die Abgründe der Gegenwart blicken, zu denen die Alltäglichkeit des Massenmords, ob in Syrien, in Afghanistan oder eben in Aurora leider auch gehört.

Eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt

Inbegriff dieser Welt ist bei "Batman" Gotham-City, jene universale Metropolis, eine Mischung aus 30er-Jahre-Art-Deco-Manhattan und gesichtsloser Megacity unserer Tage, die wieder mal bedroht ist. Die Heimsuchung ist schlimmer denn je: Ein Schurke ohne Gnade, mit einer boshaft wirkenden Ledermaske vor dem Mund, die er nie abnimmt, die seine Stimme verfälscht und ihn wirken lässt wie eine perverse Kreuzung aus Darth Vader und dem "Gladiator", spielt blutige Revolution und hetzt "die Bürger" gegen "die Reichen" und "den Staat" auf. Nur noch einer kann offenbar helfen: Batman.

Doch der technikverliebte Millionär ist nicht mehr er selbst: Traumatisiert von früheren Abenteuern vegetiert er zurückgezogen und verwahrlost, wie ein zweiter Howard Hughes, einsam in seinem Schloss vor sich hin. Dies ist der Ausgangspunkt.

Es folgt das Übliche: Großes Actionspektakel, visuell große Oper dabei glücklicherweise ganz ohne 3-D. Doch hinter dieser Comic-Oberfläche lauert der Ernst und dort erzählt der Regisseur eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt: Denn dass Batman im Kino über sieben Filme Bestand hat, liegt daran, dass der schwarze Rächer im ledernen Fledermauskostüm offenbar der absolute Held unseres Zeitalters ist, weit vor allen Spinnen-, X- Wolf- und Eisenmännern, die das US-Blockbusterkino ansonsten so in immer kürzeren Abständen durch den Durchlauferhitzer der Sequeltis und des Remakefiebers jagt: Nicht weniger als vier "Batman"-Verfilmungen gab es bereits in den 1990er Jahren, zwei weitere seit 2005 und nun schließt der Brite Christopher Nolan mit "The Dark Knight Rises" seine persönliche Trilogie ab.

Batmans spektakulärer Erfolg liegt daran, dass er als einziger unter lauter pubertären Superhelden erwachsen ist, und uns psychoanalytisch tief und existentiell wirklich etwas zu erzählen hat: Es ist die Geschichte des demokratischen Zeitalters und seiner Nachtseite - die auch von Nolan als Schizophrenie-Geschichte erzählt wird: Der Multimillionär Bruce Wayne und seine Abspaltung Batman wollen Gerechtigkeit. Wayne sponsort Waisenhäuser, Batman beseitigt die, die aus Kindern Waisen machen.

Eine Dekadenzstudie

Nolans Klasse zeigt sich darin, dass er jederzeit eine Neuinterpretation liefert, die ganz anders gelagert ist als Tim Burtons "Batman returns" vor genau 20 Jahren. Der versierte Brite, dessen "Batman: The Dark Knight" vor drei Jahren mit dem Börsen-Verbrecher "Joker" bereits als unmittelbarer Kommentar zur Finanzkrise verstanden wurde, bedient sich auch diesmal aus dem Arsenal der Aktualität: Der Motivik der Wutbürger-Proteste von links bis zur ultrarechten "Tea-Party". Seine Catwoman (Darstellerin Anne Hathaway versucht gar nicht erst, den damaligen Auftritt von Michelle Pfeiffer in den Schatten zu stellen), ist eine Robin-Hood-artige anarchistische Meisterdiebin, die mit der Occupy-Bewegung sympathisiert und den Reichen des Westens ihr Schicksal prophezeit:

Ein Sturm zieht auf. Wenn er losbricht, werden sie sich alle fragen, wie sie je so maßlos leben konnten, während sie uns anderen so wenig lassen.

Nolans Film ist eine Dekadenzstudie. Er ist ernster, kühler als früher. Wenn man so will: den Zeiten angemessen. Dieser Superheld ist manchmal gar nicht so super: angeschlagen, hinkend, ein Opfer von Folter und Gefangenschaft. Einer, der dauernd einstecken muss. Kein Winner, sondern ein Überlebender. Nolans dritter "Batman" ist daneben auch ein böses, bitteres Portrait der schmutzigen Seiten der CIA, des geheimen Pakts zwischen Regierenden und Terroristen.

Man könnte nun einwenden, dass es hier keine Figur mehr gibt, die zur Identifikation einlädt - noch nicht einmal das Böse. Dass es hier keine echte Liebe mehr gibt, dass überhaupt in diesem Film die Emotionen weitgehend brach liegen. Und wo ist eigentlich der Spaß geblieben, wo Exzess und Überschuss, die an den Burton-Filmen einst so großartig waren? Sie sind nicht mehr da - und genau dadurch ist dieser "Batman" ein Meisterwerk aus eigenem Recht, natürlich im Rahmen und in den Möglichkeiten des Mainstream. Aber mag dies auch Eskapismus sein und Spektakelkino sowieso, erzählt es uns doch viel über unsere eigene, nicht eben rosige Lage.

Das Unterbewusstsein des Zeitalters

Der Terror von Aurora wirkt im Angesicht dessen nur noch wie eine - perverse - Bestätigung von Nolans Befund. Unterhaltungskino eben nicht nur als bloße Unterhaltung, sondern als das ins Bild gesetzte Unterbewusstsein des Zeitalters. Die Bilder auf der Leinwand wissen schon seit den Monstern des Expressionismus, seit Caligari, Nosferatu und Mabuse mehr über uns, als wir selbst.

Aber Vorsicht: Hüten wir uns vor Krokodilstränen. Man könne jetzt keine Filmkritik schreiben, meinen viele in diesen Tagen. Warum eigentlich? Filmkritik handelt auch von Gesellschaft und Gewalt und der Welt, in der die Filme gezeigt und gesehen werden. Ein Filmkritiker von Rang, das schrieb bereits der Frankfurter Filmkritiker Siegfried Kracauer vor zwei Generationen, müsse auch ein Gesellschaftskritiker von Rang sein. Also blicken wir den Dingen ehrlich ins Auge, blicken wir in den Spiegel: In drei, vier Wochen knallt der nächste Action-Thriller-Horror-Blockbuster in die Kinos.

Und dann wird keiner mehr von Aurora reden. Dann wird keiner mehr Angst vor diesem Film haben, keine Sicherheitsleute werden mehr in den Kinos patrouillieren, um die Konsumenten zu beruhigen und ungestört konsumieren zu lassen. So sind die Medien, sagen jetzt viele. Nein: So sind die Menschen. Sie haben nur die Medien und die Filme, die sie verdienen.