Kampf gegen die "wilde Unterschicht"

Die britische Regierung hat eine Behörde für "Problemfamilien" eingerichtet, die zu viele Kinder kriegen

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Die britische Regierung hat eine Behörde, die sich gestörten oder eher störenden Familien widmet. Seit den Unruhen im letzten Sommer in London und anderen Städten geht bei der britischen Regierung die Angst um, die Unterschicht könnte sich erheben. Zwar waren daran kaum Gangs beteiligt, während auch Bürgerliche einmal am Abenteuer der Revolte mitmachten, aber für die Konservativen gilt seitdem, die "wilde Unterschicht") zu bändigen und zu entschärfen. Hart wurde gegen die Randalierer vorgegangen, aber man wollte eben auch an die Wurzel gehen, um künftige Unruhen zu verhindern.

Louise Casey, die schon unter Blair für die Bekämpfung von antisozialem Verhalten und für die Wahrung von Respekt zuständig war, ist nach den Unruhen vom konservativen britischen Premier Cameron zur Leiterin der Behörde für Problemfamilien ernannt worden. Ausgemacht wurden um die 120.000 Problemfamilien, um die sich Louise Case und ihre Behörde kümmern sollen. Problemfamilien haben, wie der Name schon sagt, "ernsthafte Probleme", beispielsweise erziehen sie die Kinder nicht richtig. Die schwänzen dann die Schule und demonstrieren antisoziales Verhalten, was schon unter Blair fast so schlimm wie Terrorismus war. Nach angeblichen Untersuchungen der Regierung gehören zu den Problemfamilien 2 Prozent aller Familien. Das sind eben jene 120.000, für die der wegen der gehätschelten Finanzindustrie verschuldete Staat neun Milliarden Pfund im Jahr 2011 ausgab. Die Bedrohung des Staates wird also auch noch subventioniert.

8 Milliarden, so liest man auf der Website des Innenministeriums, würden dafür ausgegeben, auf die von diesen Familien ausgehenden Probleme zu reagieren, nur eine Milliarde, um diese positiv zu verändern. Das eben soll die Behörde nun bewirken. Sie soll die Schüler zur Teilnahme an der Schule bewegen, Kriminalität und antisoziales Verhalten reduzieren, die Erwachsenen dem Arbeitsmarkt zuführen und die Ausgaben senken. Dafür wurde seit März ein Programm für Problemfamilien eingeführt. Von 2012 bis 2015 werden von der Regierung 448 Millionen Pfund bereitgestellt, um die Problemfamilien umzupolen in gesellschaftlich erwünschte Familien. Das seien 40 Prozent der notwendigen Kosten, das restliche Geld müssen die Kommunen aufbringen. Damit die aber die Gelder für die Unterstützung der Familien kriegen, muss nachgewiesen werden, dass die Schüler zu 85 Prozent in der Schule waren, das antisoziale Verhalten der gesamten Familie um 60 Prozent und die Straftaten der Jugendlichen um 33 Prozent zurückgegangen sind. Mehr Geld gibt es, wenn einer aus der Familie wieder zu arbeiten begonnen hat. Erziehung also durch Geld bzw. durch Punktemachen.

Kürzlich machte Casey gegenüber dem Telegraph deutlich, worin sie das Hauptproblem sieht. Die Problemfamilien, von denen ein Fünftel mehr als 5 Kinder haben soll, kriegen zu viele Kinder, daher müsse der Staat eingreifen und den Frauen deutlich machen, dass es unverantwortlich ist, Kinder zu kriegen, wenn sie sowieso schon in Schwierigkeiten sind. Die Diagnose ist vertraut, zuletzt wurde sie in Deutschland laut von Sarrazin vertreten, für den nicht nur die Muslime, sondern überhaupt die Unterschicht zu viele Kinder in die Welt setzt, während die "Guten" sich zu wenig reproduzieren und daher tendenziell die Kultur den Bach hinunter geht, weil die Dummen oder Unerwünschten letztlich einfach zu viel vögeln.

Casey also ist im Gegensatz zu Sarrazin am Schalthebel, um die Reproduktion der Problemfamilien zu reduzieren. Ansatzpunkt sollen die Frauen sein, die Schwangerschaften ähnlich betrachten sollen wie Drogen oder Alkohol, also als etwas, von dem frau wegkommen sollte. Sie hat die Probleme der 16 angeblich schlimmsten, weil dem Staat am teuersten kommenden Familien untersucht. Bis zu 200.000 Pfund würde der Staat jährlich in eine dieser Familien investieren. Casey meint, da könne man nicht vorsichtig vorgehen, es müsse wirklich und hart eingegriffen werden, damit sich etwas verändert und "die Kinder in die Schule gehen, wodurch sie nicht als Kriminelle enden". Daher würden Sozialarbeiter auch schon mal früh die Familien aufsuchen und die Kinder in die Schule schicken. Die versteht Casey als oberste Heilanstalt. Wenn nur alle jeden Tag in die Schule gingen, "würde man alle Arten von Problemen verändern." Eigentlich wird das Problem aber nur von der Familie in die Schule und zur Polizei verschoben. Sie glaubt, wenn "schlechtes Verhalten" schnell den Behörden gemeldet würde, dann würde es auch verbessert und ausgemerzt werden. Als Anreiz wird den alleinerziehenden Müttern erst einmal 3000 Pfund Unterstützung für die Kinder abgezogen, um damit die Kosten für die Suche nach deren früheren Partnern abzudecken.