Olympische Spiele: Chaos durch Privatisierung der Sicherung

Die britische Regierung will auch viele Aufgaben der Polizei privatisieren, nach den Problemen mit dem G4S-Konzern erscheint der neoliberale Plan waghalsiger denn je

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Chaos durch Privatisierung war in den vergangenen Tagen das dominierende Thema in Großbritannien. Auslöser war die Unfähigkeit des G4S-Sicherheitskonzerns, seinen Vertrag zur Bereitstellung von Sicherheitspersonal bei den Olympischen Spielen einzuhalten. Über 13.700 Beschäftigte hätte der Konzern bereitstellen sollen, am Ende waren es nur rund 4.000. Als Ersatz musste die Armee mit 3.500 Soldaten zusätzlich einspringen, am Dienstag wurden weitere 1.200 Soldaten in den olympischen Einsatz beordert. Das bedeutet zusätzlichen Stress für eine Armee, die sich selber mit Stellenabbau und einem aufwendigen Einsatz in Afghanistan konfrontiert sieht.

Olympia hätte eine Werbeveranstaltung für die private Sicherheitsbranche werden sollen. Der G4S-Konzern ist einer von 6 Mitbewerbern für die Aufnahme polizeilicher Tätigkeiten in Großbritannien. Geht es nach dem Willen der Regierung, dann sollen private Sicherheitskonzerne zukünftig Notrufe entgegen nehmen, Polizeiwachen betreiben, Ermittlungen ausführen und Menschen verhaften. Britische Gewerkschaften befürchten die komplette Privatisierung der Polizei.

Nach und nach kommen immer mehr Fakten über das Ausmaß der Probleme von G4S ans Licht. So gab es eine Reihe von Sicherheitslücken, bei Sicherheitstests konnten etwa Waffen problemlos an G4S-Beschäftigten vorbei ins Olympiastation geschmuggelt werden. Außerdem hält sich hartnäckig ein Gerücht, wonach G4S versucht haben soll, über das Workfare-Verfahren zu rekrutieren. Workfare verpflichtet Erwerbslose, ohne Lohn für bis zu 6 Monate für Privatfirmen zu arbeiten. G4S ist am Workfareprogramm führend beteiligt. Sollte G4S versucht haben, auf diese Weise Erwerbslose für Olympia einzuspannen, um Kosten zu drücken, würde dies die Rekrutierungsprobleme von G4S erklären. Auf jeden Fall sind die schlechten Arbeitsbedingungen bei G4S bekannt, immer wieder kommt es zu Problemen.

Für G4S bedeutet das Fiasko Verluste von 50 Millionen Pfund. Es drohen Regressforderungen der britischen Regierung. Noch vor einigen Wochen behauptete G4S, zwei Events von der Größe der Olympischen Spiele gleichzeitig bewältigen zu können. Dokumente des britischen Parlamentsbetriebes belegen allerdings, dass mögliche Probleme bereits seit März bekannt waren. Ein Komitee des Unterhauses stellt zusätzlich die Frage, warum G4S-Managementkosten von 10 Millionen Pfund auf 125 Millionen Pfund angestiegen sind. Kritisiert wird außerdem, dass die Regierung keine offizielle Abrechnung über die Kosten der Spiele veröffentlichen wird. Hier spielt eine Rolle, dass das Organisierungskomitee der Spiele selber eine private Einrichtung ist.

Skandale sind ein konstanter Begleiter des G4S-Konzerns

Mit 639.904 Beschäftigten ist G4S einer der größten Sicherheitskonzerne weltweit. 123.000 von ihnen arbeiten in Europa. Die Gewerkschaft UNITE hat ein Dossier über die 6 Firmen erarbeitet, die bei der Privatisierung der Polizei mitbieten. Darin findet sich in knapper Form eine große Beschwerdeliste gegen G4S. 700 Gefängnisinsassen haben gegen G4S Beschwerde eingelegt, in 48 Fällen wurden G4S-Beschäftigten Tätlichkeiten vorgeworfen. 130 Beschwerden gelten offiziell als gerechtfertigt. 2010 starb ein angolanischer Flüchtling in den Händen von G4S-Mitarbeitern, während er im Flugzeug abgeschoben wurde. G4S ist im Asylbereich aktiv: In Yorkshire verwaltet G4S Wohnungen für Flüchtlinge, die von Kritikern als "Substandard" kritisiert werden. 900 dieser Flüchtlinge sind laut UNITE nun auch noch mit dem Rauswurf aus ihren Wohnungen bedroht.

Auch international hat sich G4S einen Namen gemacht. In Israel betreibt G4S Gefängnisse für politische palästinensische Gefangene. Immer wieder kommt es dort wegen der Haftbedingungen zu Hungerstreiks. Ein großes Geschäftsfeld für G4S ist der Irak. Hier arbeiten hauptsächlich ehemalige Soldaten für die Firma. Bekannt wurde der Fall von Danny Fitzsimmons, der im Irak zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er zwei seiner Kollegen umbrachte und versuchte, einen Iraker zu ermorden. Fitzsimmons leidet aufgrund von Kriegserfahrungen am posttraumatischen Stresssyndrom, trotzdem wurde er von G4S für Sicherheitstätigkeiten in den Irak geschickt.

Privatisierung auf der Kippe

All diese Dinge waren lange bekannt, trotzdem sollten in 10 Regionen Privatisierungsmaßnahmen bei der Polizei durchgeführt werden. 30.000 Polizisten führten im Mai in London eine Großdemonstration gegen diese Pläne durch. Noch Mitte Juni spuckte die G4S-Konzernführung große Töne über die Privatisierung. Man habe bereits einen Vertrag in Lincolnshire abgeschlossen, weitere würden in Surrey und den West Midlands folgen.

Diese Verträge hätten G4S 1.5 Milliarden Pfund eingebracht. Deren Zukunft steht nun aber in den Sternen. Sowohl Surrey als auch die West Midlands haben die Privatisierungsmaßnahmen aufgrund der Performance von G4S während der Olympischen Spiele vorläufig auf Eis gelegt. In einer im Fernsehen übertragenen Sitzung des Innenausschuss des britischen Unterhauses mussten sich die G4S-Chefs Inkompetenz vorwerfen lassen. Werbung für die private Sicherheitsbranche sieht anders aus.