"Berechtigte Konsultationen" nur bis 1945

Vatikan schweigt zu den während der argentinischen Diktatur verschwundenen Babys

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Die argentinische Militärjunta habe sich bei der "Bekämpfung der Subversion" vom Vatikan beraten ("asesoró") lassen, insbesondere vom Apostolischen Nuntius Pio Laghi. Dies sprach der ehemalige Juntachef Raphael Videla der Zeitung "El Sur" ins Mikrophon, und diese Nachricht ging um die Welt. Dass der Vatikan mit den argentinischen Generälen Hand in Hand gegen linke Regimegegner gearbeitet hatte, ist eigentlich kein Geheimnis. Die Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der während der Diktatur (1976 - 83) Verschwundenen auf etwa 30.000, und zahlreiche Dokumentationen, vor allem die des Schriftstellers Horacio Verbitsky, haben diese Zusammenarbeit detailliert beschrieben. Katholische Geistliche gingen im zentralen Folterzentrum der Armee, der Kaserne Campo de Mayo, ein und aus und versuchten, die Gefangenen zur Reue, das heißt zu einem Geständnis und zum Verrat ihrer Compañeros zu bewegen. Neu ist allenfalls das offene Bekenntnis des früheren Juntachefs, der bereits mehrere Male für seine Untaten verurteilt worden ist - zuletzt im Juli wegen Babyraubes. Jetzt soll er erneut wegen des Mordes an dem kritischen Bischof Enrique Angelelli im August 1976 vor Gericht gestellt werden.

Dass die Generäle die Gefangenen nach der Folter erschossen und in Massengräbern verscharrten oder sie aus Flugzeugen in den Río de la Plata werfen ließen - daran hatten sich der Vatikan und seine Würdenträger vor Ort damals wenig gestört. Schließlich kann sich der Heilige Stuhl, was das Erpressen von Geständnissen und das Ermorden von Andersdenkenden angeht, auf eine jahrhundertelange Tradition berufen. Soll das, was damals die Macht Roms zementiert hat, nicht auch anderen erlaubt sein? Die teuflischen Werkzeuge der Moderne wie die Menschenrechtskonvention hat der Vatikan bis heute nicht anerkannt. Anstoß nahmen aber die Geistlichen an anderen Praktiken in den Folterzentren der Generäle, haben Überlebende berichtet: dass dort nämlich das ungeborene Leben nicht geschützt wurde.

Die argentinischen Folterer hatten anfangs auch schwangere Verhaftete mit Elektroschocks und andere Methoden traktiert, ohne Rücksicht auf ihre Leibesfrüchte. In mindestens acht Fällen soll das Ungeborene dabei den Tod gefunden haben. Während die verschleppten Mütter als "Terroristinnen" galten, also als Sünderinnen, war ihre Brut doch unschuldig. Ihr Leben, nur ihr Leben, galt es zu retten. So sollen auf Intervention des Vatikans in Campo de Mayo die verhafteten Schwangeren erst ihr Kind gebären dürfen oder per Kaiserschnitt (oft ohne Narkose) entbunden worden sein, bevor sie gepeinigt und ermordet wurden. Ihre Babys - die "Großmütter der Plaza de Mayo" schätzen ihre Zahl auf über 500 - wurden Offizieren oder Managern von multinationalen Konzernen übergeben.

Etwa hundert dieser Babys, heute junge Menschen in den dreißigern, konnten ihre wahre Identität inzwischen herausfinden, bei 400 ist immer noch nicht bekannt, wer ihre biologischen Eltern waren. Ein Gericht in Buenos Aires ermittelt seit vielen Jahren diesen "systematischen Raub", es hat mich als Nebenklägerin anerkannt, das heißt, ich darf Beweisanträge stellen. Doch wie den Vatikan - immerhin ein eigener Staat - zur Preisgabe von Beweismaterial bewegen? Und in welcher Eigenschaft - als Zeugen oder als Beschuldigte? In der Militärkapelle von Campo de Mayo wurden Kinder von Verschwundenen getauft, die Beschlagnahmung dieser Taufscheine habe ich beantragt, doch werden sich die argentinischen Richter mit dem Kirchenstaat anlegen wollen?

Rom hüllt sich zu den Aussagen ihres früheren Vertrauten, des Generals Videla, in religiöses Schweigen, eine Anfrage in der deutschen Ausgabe des L'Osservatore Romano ergab keinen Treffer zu "Videla". Im Archiv der Vatikanstadt lagern mit Sicherheit Unterlagen und Protokolle über die argentinische Terrorismus-Bekämpfung, man hatte ja mit geistlichem Rat emsig mitgeholfen, wissen wir nicht erst seit Videlas Bekenntnissen.

Ende Mai habe ich mich an den höchsten Würdenträger der Kurie gewandt. Zunächst galt es formale Schwierigkeiten zu überwinden. Wie lautet die korrekte Anrede? Hi Benny, sehr geehrter Herr Ratzinger, lieber Papst? Alles falsch, sagt Wikipedia. Katholiken schreiben "Heiliger Vater", andere "Eure Heiligkeit". Ich stellte mich als Nebenklägerin vor, schickte einen ihrer Taufscheine aus Campo de Mayo mit und erbat Zugang zum Vatikanischen Geheimarchiv, um dort Hinweise auf das Schicksal der verschwundenen Babys zu finden. Und ich erhielt sogar eine Antwort. Der Apostolische Nuntius in Berlin schrieb mir, dass "das Archiv für berechtigte Konsultationen für die Zeit bis zum Jahr 1939 geöffnet (sei), teilweise bis 1945".

Das wird für die Betroffenen, die zwischen 1976 und 83 in einem Folterzentrum das christliche Licht der Welt erblickt haben und noch nach ihrer Identät suchen, wenig hilfreich sein. Aber vielleicht erhalten sie ja in vierzig Jahren Auskunft, dann sind sie über siebzig und in den päpstlichen Augen vielleicht "für Konsultationen berechtigt".