Ruinöser Hochfrequenzhandel

Wie Knight Capital, der führende Market-Maker für US-Aktien, in einer halben Stunde 440 Mio. Dollar an automatische Handelsprogramme verlor

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Wieder einmal ist es Nanex, die ein wenig Licht in die immer absurden Vorgänge an der Wall Street bringt. Der Spezialist für Handelsanomalien und Anbieter von Software für die Echtzeitanalyse von Aktien-Quoten will schon nach zwei Sekunden – also eine halbe Stunde vor Knight Capital - bemerkt haben, dass die Aktienkurse an der Wall Street mal wieder verrückt spielen.

Wie sich später herausstellte, hatte das Brokerhaus Knight Capital zuvor eine neue Software mit dem "retail liquidity program" der New York Stock Exchange (NYSE) verbunden, das Knight für seine Market-Making-Aktivitäten nutzt. Knight ist nach eigenen Angaben an rund 11 Prozent der US-Aktienumsätze als Market-Maker beteiligt und hatte im Juni täglich im Schnitt 19,5 Mrd. Dollar an Aktienumsätzen erzielt. Dabei stellt Knight für bestimmte Titel permanent Kauf- und Verkaufskurse und versucht aus der Differenz zum Marktpreis einen kleinen "Spread" zu verdienen, wobei es vor allem Orders von Retail-Brokern annimmt, die sie dann an die Börsen weiterleitet, wo diese gerade am günstigsten gehandelt werden.

Am Mittwoch vergangener Woche machte das System dann aber offenbar genau das Gegenteil und stellte Orders jeweils zu den höheren Kursen ins System, wodurch systematisch teuer gekauft und billig verkauft wurde, was sofort zu enormen Umsätzen und irrwitzigen Kursausschlägen der betroffenen Aktien führte.

Die NYSE spricht inzwischen von 140 Aktien, die ungewöhnliche Kursverläufe gezeigt hätten, wobei es aber nur bei sechs Prozent davon zu mindestens 30prozentigen Kursveränderungen gekommen sei, bei denen die Trades aufgrund der zu hohen Abweichung annulliert würden. Dabei kamen die nach dem Flash-Crash von 2010 von der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) eingeführten Circuit-Breaker zum Einsatz, die Trades mit zu großen Kursausschlägen annullieren. Übrig bleiben demnach rund vier Millionen Trades, die Knight laut eigenen Angaben 440 Millionen Dollar gekostet haben, was ungefähr dem Bilanzgewinn der vergangenen vier Jahre entspricht.

Nach Nanex-Chef Eric Hunsader hatte Knight versehentlich eine Test-Software online gehen lassen, die nur dazu dienen sollte, Probe-Aufträge in die an diesem Tag neu zu etablierende "Retail Liquidity Provider (RLP) Market Making-Software" zu speisen, um deren Funktionieren unter Marktbedingungen zu testen.

Nachdem diese Software aber in das Release Package integriert und mit dem Live-System der NYSE verbunden wurde, hätte sie nun nicht nur das Exekutionssystem von Knight "getestet", sondern jedes Market-Maker-Programm das sich mit den passenden Parametern im NYSE-System befand. Das erfolgte mit realen Aufträgen und realem Geld, wofür das Programm aber nicht gedacht war, weshalb es weder für irgendwelche Warnsignale noch für eine exakte Dokumentation sorgte.

Bei Aktien, in denen Knight die einzige Market-Making-Software im System hatte und sein Testprogramm das einzige automatische Handelsprogramm war, das den Bid/Ask-Spread durchbrach, kam es also zu einer Flut an Testgeboten die direkt ins System wanderten und zu "regulären" NYSE-Trades führten. Diese lagen jeweils ganz knapp über den gebotenen oder verlangten Preisen, womit Knight jedoch noch nicht allzu viel verlieren konnte, da es nur mit sich selbst handelte, dabei aber eine große Menge an sinnlosen Trades abwickeln musste.

Wesentlich teurer wurde es hingegen bei Aktien, bei denen noch weitere Market-Maker oder Hochfrequenzhändler mit automatischen Handelsprogrammen im System engagiert waren. Denn dann wurden die Test-Trades nicht nur von Knight exekutiert, sondern auch von anderen Marktteilnehmern. Knight baute also Positionen in diesen Titeln auf, die abhängig von der Marktpreisentwicklung nun Gewinne oder Verluste erzielen konnten. Weil die gegnerischen Programme aber normal funktionierten und weiterhin versuchten, billig zu kaufen und teuer zu verkaufen, war Knight nach einer halben Stunde praktisch pleite.

In the case of [Exelon Corp.], that means losing about 15 cents on every pair of trades. Do that 40 times a second, 2,400 times a minute, and you now have a system [that burns a lot of money].

Nanex-Chef Eric Hunsader

Das Testprogramm handelte nun undifferenziert zum (höheren) Gebotspreis und zum (niedrigeren) Verkaufskurs. Und weil zur Eröffnung des Börsenhandels die Spreads zwischen diesen sehr hoch sind, kam es darauf an, welche Seite vom Programm zufällig zuerst ausgeübt wurde, weshalb es bei den betroffenen Aktien sofort zu Kurseinbrüchen oder Aufschwüngen kam, bei denen Knight jeweils ein Paar Cent verlor.

Im Fall der Exelon Corp. bedeutete das einen Verlust von 15 Cent bei jedem zweiseitigen Trade. Mache das 40 Mal in der Sekunde, 2400 Mal in der Minute und du bekommst ein System, das massenhaft Geld verbrennt.

Eric Hunsader

Weil das Testprogramm aber nicht dazu gedacht ist, reale Geschäfte durchzuführen, weist es seine Netto-Position nicht aus, weshalb Knight nicht sofort bemerkt habe, dass seine Verluste gerade eskalieren. Laut Nanex habe Knight vermutlich nicht einmal mitbekommen, dass das Testprogramm läuft – nicht einmal, als es nach Nanex die Probleme bereits bemerkt haben musste und daraufhin das neue Programm erneut startete. Denn das habe dann jeweils auch wieder das Testprogramm in Gang gesetzt und sofort zu einer weiteren ruinösen Welle an Trades geführt.

Nachdem Knight die Vorkommnisse eingestand, ging der Aktienkurs sofort um rund drei Viertel zurück. Offenbar machte sich dessen bestens vernetzter Chef Thomas Joyce sofort daran, neue Kapitalgeber aufzutreiben. Immerhin ist Knight, obwohl sie 2004 von den Aufsichtsbehörden wegen der Übervorteilung von Kunden eine Strafe von 79 Million Dollar aufgebrummt bekam, heute eine durchaus gut beleumundete Firma, die zuletzt stets Gewinne erzielte und vermutlich auf das Interesse der Geldgeber stoßen könnte. Während wichtige Geschäftspartner sich vergangene Woche aber von Geschäften mit Knight zurückzogen und die Aktienkurse um 75 Prozent einbrachen, könnte Joyce bereits erfolgreich gewesen sein, wofür spricht, dass die Knight-Aktie die Hälfte der Verluste am Freitag bereits wieder aufholen konnte, nachdem TD Ameritrade und Scottrade angekündigt hatten, wieder Deals über den Trading Floor von Knight zu leiten, der nach dem Vorfall praktisch keine Order mehr erhalten hatte.

Insidern zufolge habe sich Knight am 1. August an Goldman Sachs gewandt um sich aus den Positionen herauszukaufen und habe nun noch bis zum Handelsschluss am 6. August Zeit, die verlorenen 440 Millionen Dollar zu beschaffen. Vor dem Crash hatte Knight einen Börsenwert von knapp über einer Milliarde Dollar, und verfügte laut einem SEC-Filing Ende Juni über 365 Millioinen an Cash, wovon aber 75 Millionen auf eine revolvierende Kreditlinie entfielen. Knight benötigt also jedenfalls einen erheblichen Kapitaleinschuss und verhandle mit Private Equitie Fonds und Konkurrenten aktuell über eine Beteiligung oder Übernahme.

Mittlerweile hat sich auch SEC Chairman Mary Schapiro zu dem "inakzeptablen" Vorfall geäußert (http://blogs.wsj.com/deals/2012/08/03/secs-schapiro-knight-capital-event-unacceptable/) und den tollen Ratschlag abgesetzt, dass die Broker-Dealer, wenn sie schnell und umfangreich traden wollen, darauf achten sollten, dass ihre Computer auch richtig funktionieren. Zudem habe sie ihren Stab aufgefordert die bereits laufenden diesbezüglichen Aktivitäten zu beschleunigen und für die nächsten Wochen einen öffentlichen "Roundtable" mit Marktteilnehmern zu veranstalten, um über effektive Regulierungsmaßnahmen zu diskutieren.

Laut NYSE Euronext Chief Executive Duncan Niederauer sei es jedenfalls ein "call to action", ein Weckruf, um einen Markt einzudämmen, in dem sich der Aktienhandel mittlerweile auf gut 50 Handelshäuser verteile und der viel zu komplex geworden sei, um den Regulatoren erklärt zu werden.

Die Struktur, die sich in letzten Dekade in den USA entwickelt hat, hat zu einer erbarmungslosen Fragmentierung und zu dem Gefühl geführt, dass schneller immer auch besser sei. Jetzt sehen wir, dass es nicht immer so ist.

Duncan Niederauer