Club der toten Dichter

Nach Kollektiv-Suizid von Tatort-Drehbuchautoren fordert "Das Syndikat" die Wiedereinführung von Urheberrecht in NRW

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Aus Protest gegen das in NRW nach der Landtagswahl im Mai abgeschaffte Urheberrecht begingen acht Drehbuchautoren des ARD-Formats "Tatort" kollektiven Suizid. Nachdem die Literaten in den frühen Morgenstunden in die Kantinenküche des Düsseldorfer Landtags eingedrungen waren, entkleideten sie sich vor laufender Kamera, um sich medienwirksam zu entleiben. Mit ihrer Verzweiflungstat wollten die Autoren auf die apokalyptischen Zustände der Urheber im bevölkerungsreichsten Bundesland aufmerksam zu machen, wo die Kulturschaffenden dieses Jahr von der Landespolitik entrechtet wurden.

Die Auswirkungen der diesen Mai erfolgten Abschaffung des Urheberrechts in NRW werden immer dramatischer. Die rot-grüne Regierungskoalition hatte im Mai das Urheberrechtsgesetz auf dem Territorium Nordrhein-Westfalens außer Kraft gesetzt, um der neu in den Landtag eingezogenen Piratenpartei programmatisch das Wasser abzugraben. Diese überstürzte Maßnahme resultierte aus einem in den Medien gepflegten Missverständnis, dass die Piraten das Urheberrecht nicht nur reformieren, sondern gleich ganz abschaffen wollten. Die sich als Internetpartei profilierenden GRÜNEN hatten daher im Koalitionsvertrag auf sofortige Löschung des UrhG gedrängt.

Besonders hart traf der Wegfall geistigen Eigentums die Autoren des Kölner und des Münsteraner Tatorts. Schon seit Jahren hatten viele ARD-Rundfunkhäuser kaum noch Tatortdrehbücher gekauft, sondern stattdessen solche zum Nulltarif aus Tauschbörsen im Internet heruntergeladen. Begründet wurde diese Produktionspolitik mit Sparzwängen, um Volksmusiksendungen, Übertragung von Boxsport sowie Günther Jauch zu finanzieren. Der WDR wollte zum Ableben der Tatortautoren zunächst keine Stellung beziehen, jedoch sickerte durch, dass man bereits die Verfilmung des Stoffes in die Wege geleitet habe.

Autoren-Syndikat beklagt kriminelle Zustände

Der Düsseldorfer Kollektivselbstmord markierte offenbar nur einen vorläufigen Höhepunkt der Misere der Urheber. Auf einer ad hoc improvisierten Pressekonferenz der Krimiautoren-Vereinigung "Das Syndikat", die aus Kostengründen im Düsseldorfer Bürgerpark bei handwarmen Dosenbier abgehalten wurde, beklagte deren Vorsitzender die Ignoranz der breiten Öffentlichkeit. Zu Recht hätten die Verlage das Urheberrecht als das beherrschende Thema im NRW-Wahlkampf in den Fokus gesetzt. Jedoch sei das Interesse an den Nöten der Urheber schon am Wahlabend entfallen, nachdem die allgemein erwartete Regierungsübernahme durch die Piratenpartei überraschend ausblieb. Wie sich gezeigt habe, sei zur Beseitigung des Urheberrechts aufgrund der Hysterie der Koalition nicht einmal eine eigene Regierungsbeteiligung der Piraten notwendig gewesen.

Die Behauptung, ein einzelnes Bundesland könne das Urheberrecht wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz gar nicht abschaffen, habe sich nun als formalistisches Scheinargument erwiesen. Das Syndikat appellierte an die Bundespolitik, dem Alleingang der NRW-Regierung entschieden entgegen zu treten. Die Möglichkeiten für Künstler, sich im Internet selbst bekannt zu machen, seien reine Propaganda, ließ das Syndikat auf seiner Facebook-Seite wissen.

Geänderte Urheberrechtslandschaft

Bereits im Juni schlossen an Rhein und Ruhr etliche Buch- und Zeitschriftengeschäfte, die Tonträgerindustrie liegt am Boden. Auch das Pornogewerbe stöhnt. Dafür boomt seither die Konzert- und Clublandschaft, da etliche Veranstalter und Musiker nun keine GEMA-Gebühren mehr abführen müssen. Die Städte in NRW sind übersät mit Public-Viewing-Angeboten, die Beamer-Industrie vermeldet erste Lieferengpässe. Zu einer neuen Form der Belästigung im öffentlichen Raum haben sich rheinische Amateurchöre entwickelt, die von Notenblättern ablesen und ungebeten etliche Parks und Fußgängerzonen beschallen. Straßenmusiker haben bereits erste Klagen wegen unlauterem Wettbewerb um Standorte eingereicht.

Auch die Weihnachtsmärkte und Betriebsfeste sollen in NRW künftig wieder beschallt werden. Ein neuer Standortvorteil für Software-Entwickler zeichnet sich ab, da diese in NRW nicht mehr durch urheberrechtlich geschützte Codes an Innovation blockiert werden. In den kommenden Monaten wollen mehrere private TV-Stationen ihren Sitz an den Rhein verlegen, um Verwertungsabgaben einzusparen. In Dortmund ist eine entsprechende Nachnutzung für das ehemalige GEMA-Gebäude angedacht.

Urhebersachenrecht gescheitert

Die Urheberrechtslobby hatte zur Kompensation ihrer Ausfälle zunächst die juristische Trickkiste bemüht. Nach dem Wegfall des Urheberrechtsgesetzes innerhalb der Landesgrenzen von NRW hatten findige Anwälte versucht, die Ansprüche der Urheber aus dem BGB herzuleiten und propagierten die Gleichsetzung von geistigem Eigentum mit Sacheigentum.

Der zahlenmäßig nicht erfassbare Schwarm an Kopien sollte dem BGB-Sachenrecht der Bienenschwärme folgen. Hätten die Väter des BGB die Flüchtigkeit der Informationen vorausgesehen, so die Argumentation, so hätten sie die Fälle ebenso geregelt wie bei entfleuchten Bienenschwärmen, die ein Eigentümer umfassend unter Inanspruchnahme von Sonderrechten verfolgen darf, um diese wieder einzufangen. Nichts anderes könne für das geistige Eigentum gelten, das sich in die Cloud wie Bienen in die Wolken verflüchtigte.

Bei der Adaption fremder Werke wollten die Verlagsjuristen auf das Ausgleichsrecht bei Vereinigung von Bienenschwärmen rekurrieren und Honig aus diesen speziellen Vorschriften saugen. Die Gerichte leisteten diesem Ansatz jedoch keine Gefolgschaft. Einer angestrengten Musterklage der Musikindustrie entgegnete ein Richter des Landgerichts Köln bereits bei der ersten Anhörung, die GEMA und Konsorten hätten allenfalls Anspruch auf geistige Münzen oder vielleicht deren Klang.

Arme Poeten

Unfriedenheit herrscht derzeit vor allem im Taxigewerbe wegen eines plötzlichen Überangebots an Fahrern. Die auf den Taxi-Markt drängenden brotlosen Filesharing-Anwälte konkurrieren mit den selbsternannten Künstlern, die schon vorher da waren.

Laut Künstlersozialkasse beträgt das durchschnittliche Monatseinkommen von Künstlern derzeit ca. 1.278,50 € - das höher liegt als in der Zeit, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte. Leider hatte das den acht toten Tatort-Autoren niemand gesagt.