Hasserfüllte Milizennamen

Die Kampfparole "Sunna vs. Shia" wird in Syrien immer lauter

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Anfangs benannten sich die Milizen nach Hamzeh al-Khattib - jenem 13-jährigem Kind, das das Regime im Mai 2011 zu Tode gefoltert hatte. Heute tragen sie unter anderem den Namen eines Hasspredigers. Allein hieran ist die katastrophale Entwicklung abzulesen, die ein Aufstand genommen hat, der in seinem Frühstadium rief "Das syrische Volk ist eins".

Seit Monaten verängstigen sie das Umfeld von Homs und Houla, in dem auch Alawiten und Schiiten leben. Sie, das sind die Männer der "Al-Farouq Brigade", eine berüchtigte Miliz, die der libanesischen Zeitung Al Akhbar zufolge über 16 Einheiten und an die 5.000 Mann verfügt.

Streitpunkt: Die Basis des Islam

Was sie über Schiiten und Alawiten denken, ist an ihrem Namen abzulesen: "Al-Farouq" lautet der Beiname, den Sunniten Umar ibn al-Khattab, dem zweiten Kalifen des Islam, geben. Übersetzt bedeutet er "der gerechte Führer" - eine Bezeichnung, die Schiiten empört, hat der Kalif ihrer Auffassung nach doch den Propheten verraten und dessen Tochter angegriffen und dadurch vermutlich letztlich gar getötet (darüber sind mehrere Versionen im Umlauf, A. d. Red.).

Doch nicht nur Umar ibn al-Khattab wird von Schiiten wie Alawiten abgelehnt. Vielmehr verachten sie alle drei sogenannten rechtgeleiteten Kalifen, weil sie glauben, diese hätten Ali, den Cousin und rechtmässigen Nachfolger des Propheten übergangen. De facto geht es also um nichts Geringeres als um das Mark der Weltreligion. Dass die Schiiten die Nachfolgeregelung so vehement ablehnen, macht sie in den Augen sunnitischer Fundamentalisten zu Häretikern, die noch schlimmer als Juden und Christen seien, weil sie sich als Muslime ausgeben, dabei aber doch nur "Kuffar" (Ungläubige) seien. Eben dies war die These von Muhammad Ibn al Wahhab (1703-1792), dem Begründer des Wahhabismus. Seine Doktrin ist mit dem modernen Salafismus fast identisch und in Saudi-Arabien die Staatsreligion.

Die "Al-Farouq Brigade" - die akkurat von Saudi-Arabien mit Waffen und Geld unterstützt wird, und der viele Salafisten angehören - macht aus ihrem Schiitenhass somit wenig Hehl.

Saudi-arabischer Hass-Export

Gleiches gilt für jene 1.200 Männer, die sich nach Khalid Ibn al-Walid benannt haben, einem der grössten Feldherren des Frühislam - und Mitstreiter der Kalifen. Ideologisch steht die Brigade der syrischen Muslimbruderschaft nahe. Zwar kann deren konservative Islaminterpretation in keinster Weise mit dem Betonfundamentalismus der Wahhabiten verglichen werden. Doch auch sie lehnen Schiiten und Alawiten ab, wie eine ihrer Untereinheiten verdeutlicht: Das "Batallion Adnan al-Arour".

Bei Adnan al-Arour handelt es sich um einen salafistischen Scheich und um die personifizierte Volksverhetzung. Im saudischen Satellitenfernsehen, das ihm regelmässig die Gelegenheit gibt, seine Hassbomben zu zünden, rief er im Sommer 2011 dazu auf, die Alawiten, die sich der syrischen Revolte entgegenstellen, zu zerhacken und ihr Fleisch an die Hunde zu verfüttern. Dass sich Arour durchaus der Beliebtheit bei gewissen Demonstranten erfreut, beweist, dass in Syrien ein Nährboden für den saudischen Salafismus existiert.

Allerdings befinden sich, wie Al Akhbar berichtet, unter den Kämpfern der "Khalid Ibn al-Walid Brigade" viele Tunesier und Libyer, wie überhaupt die Mehrheit dieser Gotteskrieger aus dem Ausland einfalle - vor allem aus Jordanien, Libanon, Palästina und dem Irak. Genau dort hätten viele von ihnen schon in den vergangenen neun Jahren gekämpft.

Dschihad à la Afghanistan

Die Wahrscheinlichkeit, dass Syrien das gleiche konfessionelle Gemetzel bevorsteht, nimmt denn auch zu. Zumal auch das afghanische Szenario eine Neuauflage zu erleben scheint. Damals, nach dem Einmarsch der Roten Armee 1979, wollten die USA diese mithilfe arabischer Dschihadisten ausbluten lassen. Und tatsächlich befindet sich in Syrien bereits eine 2009 überregional gegründete und Al-Qaida nahe stehende Brigade, die nach dem Theologen Abdallah Azzam (1941-1989) benannt ist. Dieser war ein führendes Mitglied von Al-Qaida, der Mentor Oussama Bin Ladens sowie einer der engagiertesten Verfechter des Jihads in Afghanistan.

Laut Al-Akhbar sucht die Gruppierung keineswegs nur den Sturz des Assad-Regimes, sondern will vielmehr im Geiste des legendären Salah al-Din (1137-1193) Jerusalem zurück erobern. Dazu gelte es diejenigen auszuschalten, die sie als die Beschützer Israels wahrnehmen: Die Alawiten sowie alle, die ihnen beistünden.

Konflikte zwischen FSA und Gotteskrieger

Die meisten dieser Brigaden bezeichnen sich als Teile der Freien Syrische Armee (FSA) - in ihrem Fall fungiert dies eher als Deckname. Tatsächlich haben sie mit der (ihrerseits in zig-Einheiten aufgespaltenen) FSA oft wenig zu tun. Im Gegenteil: Mitunter kommt es gar auch hier zu blutigen Gefechten. So soll die "Al-Farouq Brigade" vor einigen Monaten für den Tod von fünf bewaffneten Aufständischen verantwortlich zeichnen.

Dies schrieb ein gewisser "Abu Majed", Sprecher von 24 Rebellengruppen aus Homs, in einer Email vergangenen März an Burhan Ghalioun, den damaligen Vorsitzenden des Syrischen Nationalrates: Die Al-Farouq Brigade, so hieß es weiter, würde gegen all ihre Widersacher ungerechtfertigte Gewalt ausüben. All dies wurde freilich nur bekannt, weil Ghaliouns Email-Account gehackt und seine Emails Al Akhbar zugespielt worden waren. Offiziell hingegen behauptet die FSA, dass nur wenige Dschihadisten im Land seien, und sie dieses zudem nicht kennen würden - kurz, sie würden kein Risiko darstellen.