Schlecht informiert trotz "professioneller" Medien

Eine Studie der TU Dresden sorgt sich um den Bildungsstand der Jugend und will bei der Gelegenheit die Bedeutung des Internets im Nachrichtenbereich relativieren

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Auch wenn die oft allzu technisch geführte Diskussion mitunter andere Schlussfolgerungen nahelegt - das deutsche Bildungssystem hat nicht nur strukturell versagt, sondern ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auch immer wieder an seiner mutmaßlichen Hauptaufgabe, der Vermittlung von Bildungsinhalten an junge Generationen, gescheitert. Dass ein beträchtlicher Teil der deutschen Jugendlichen Schwierigkeiten hat, Unterschiede zwischen Demokratien und Diktaturen zu erkennen und diese Erkenntnisse in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen, dokumentierte jüngst die Untersuchung "Später Sieg der Diktaturen?", die im Juni in der Reihe "Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin" herausgegeben wurde.

Trotzdem oder eben deshalb scheinen sich die Wissensdefizite in historischen und anderen Disziplinen, die bis zur spannungsgeladenen Verwechslung von Adenauer und Honecker reichen, ideal für eine dramatische und boulevardeske Aufmachung zu eignen. "Alarmierend: Schüler werden dümmer", hieß es im Juni 2005, "Dumme Schüler kosten Deutschland Billionen", lautete die Schlagzeile im November 2009, und die "knallharte Analyse eines SPD-Politikers" kam im August 2010 zu dem Schluss: "Wir nehmen als unvermeidlich hin, dass Deutschland kleiner und dümmer wird.".

Geringes Nachrichtenwissen

Bei den Jungen spielt sie (die Mauer, Erg. d. Red.) überhaupt keine Rolle mehr. Die jüngere Generation findet, dass das schon alte Geschichten sind. Etwas übertrieben könnte man deren Wahrnehmung so beschreiben: Ob Sie von Napoleon oder von der Mauer erzählen, ist fast gleich: Das ist irgendwann früher einmal gewesen, in einem vergangenen Jahrhundert.

Wolfgang Schäuble im Juli 2011

Wenn die Mauer erst im August 2012 gefallen wäre, käme der kopfschüttelnde Beobachter möglicherweise zu einem ähnlichen Befund. Ein Forschungsprojekt des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden attestiert der jungen Generation jedenfalls "ein geringes Nachrichtenwissen". Nur 39 Prozent gaben bei Repräsentativbefragen zwischen April und Juni 2010 an, von zwei Nachrichtenereignissen des Vortages auch nur gehört zu haben. Definiert wurden diese Ereignisse von einem sogenannten Expertengremium, das "aus drei Top-Journalisten, drei Politikwissenschaftlern, drei Kommunikationswissenschaftlern und einem Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstituts" bestand.

Auch das generelle Informationsinteresse der Befragten ließ zu wünschen übrig. Während sich überschaubare 26 Prozent der Erwachsenen aus eigenem Antrieb über das jeweilige Thema unterrichteten, waren es in der Gruppe der 14-17-Jährigen nur sieben Prozent. Und damit immer noch nicht genug:

Die Wissensfragen zu den Nachrichtenereignissen konnte die junge Generation deutlich seltener richtig beantworten als die älteren Befragten. Jugendliche und junge Erwachsene schnitten dabei nicht nur hinsichtlich ihres Hintergrundwissens schlechter ab als Erwachsene, sondern auch hinsichtlich spezifischer Fragen zu den konkreten Nachrichtenereignissen.

Pressemitteilung des Instituts für Kommunikationswissenschaft (TU Dresden)

Das Fernsehen als primäre Informationsquelle

Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft widmete sich das Autorenteam um Wolfgang Donsbach, seines Zeichens Professor für Kommunikationswissenschaft an der TU, aber nicht nur dem schmalen Wissensschatz der in Deutschland lebenden Jugendlichen, sondern – im Rahmen eines "innovativen Mehr-Methoden-Ansatzes" - auch gleich einer "qualitativen Inhaltsanalyse" der angegebenen Nachrichtenquellen.

Dabei identifizierten die Forscher das Fernsehen als primäre Informationsquelle. Neue Medien spielen demnach in allen Altersgruppen "nur eine untergeordnete Rolle". So sollen gerade einmal acht Prozent der Erwachsenen, zehn Prozent der Jugendlichen und achtzehn Prozent der jungen Erwachsenen das Internet bemüht haben, um sich in Sachen aktuelle Nachrichten auf dem Laufenden zu halten. Die ARD-ZDF-Onlinestudie liefert abweichende Zahlen, und ein Statistikunternehmen aus Hamburg schätzt die mediale Rollenverteilung im Bereich Nachrichtenvermittlung ebenfalls deutlich anders ein.

Im 2. Quartal 2012 haben 48 Prozent der weiblichen Internetnutzer zwischen 18 und 34 Jahren das Internet zum Abrufen von Nachrichten über Politik genutzt. Insgesamt gaben 53 Prozent aller Deutschen an, dass sie das Internet regelmäßig zum Abrufen von Nachrichten über Politik nutzen würden.

www.statista.com, Juli 2012

Professionell, semi-professionell, nicht-professionell

Die Qualitätspresse spielt mindestens im Bereich der politischen Kommunikation - also für die Leser als Staatsbürger - die Rolle von "Leitmedien".

Jürgen Habermas im Mai 2007

Die Dresdner Studie misst dem Internet keine große Bedeutung bei, bescheinigt den Jugendlichen, die sich gegen den Trend über das aktuelle Nachrichtengeschehen informieren, aber die Nutzung von Quellen mit "eher höherer Informationsqualität". Dazu zählen die Autoren Angebote, die im Rahmen ihrer "quantitativen Inhaltsanalyse" in punkto Recherchetiefe, Objektivität, Ausgewogenheit und Verständlichkeit überzeugen konnten.

Im Ergebnis unterscheiden die Kommunikationswissenschaftler zwischen drei Kategorien. Zu den "professionell-journalistischen" Medien zählen die drei auflagenstärksten überregionalen Tageszeitungen (BILD, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung) und die pro Nielsen-Gebiet auflagenstärkste regionale Tageszeitung. Aber auch die Hauptnachrichtensendungen der reichweitenstärksten Vollprogramme und Nachrichtensender sowie die Acht-Uhr-Nachrichten der beiden reichweitenstärksten öffentlich-rechtlichen und privaten Hörfunkprogramme und Regionalsender. Und schließlich noch die von der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung e.V. (AGOF) ermittelten reichweitenstärksten "professionellen" Online-Medien, also etwa bild.de, Spiegel Online, RTL.de, welt.de oder abendblatt.de. In diesem traditionellen Medienbereich, so das unmissverständliche Fazit, liefere die klassische Tageszeitung die höchste Qualität.

Dann wird die Luft dünner. "Semi-professionelle" Medien sind in dieser Interpretation die laut AGOF reichweitenstärksten Seiten mit Nachrichtenangebot, also Portale wie T-Online, web.de oder freenet.de. Bleiben noch die nicht-professionellen Quellen – Blogs, die nach Einschätzung des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts "von allen untersuchten Quellen die geringste Nachrichtenqualität" bieten und noch nicht einmal vergleichbare Reichweitenzahlen aufweisen. So mussten die Kommunikationswissenschaftler für jede Nachricht Stichworte generieren, die dann über wikio.de zu den meistverlinkten Blogs führen sollten. Bei solchen Annahmen und Methoden ergibt sich das Ergebnis dann quasi von selbst.

Zusammenfassend lassen die Ergebnisse erkennen, dass professionelle Medien – ob online oder außerhalb des Internets – eine deutlich höhere Nachrichtenqualität aufweisen und über Generationen hinweg deutlich häufiger genutzt werden als nicht-professionelle Informationsquellen. Will man sich über das aktuelle politische Geschehen auf dem Laufenden halten, so greift man – ob jung oder alt – in erster Linie auf professionelle Informationsquellen zurück.

Pressemitteilung des Instituts für Kommunikationswissenschaft (TU Dresden)

Gegenbeispiele

Dass den selbsternannten Verfechtern des Qualitätsjournalismus Blogs ebenso ein Dorn im Auge sind wie der unter öffentlichen Dauerdruck geratenen DFG, mit deren Methoden sich nicht nur viele große Artikel, sondern auch zahlreiche kleine Internetseiten beschäftigen, ist durchaus naheliegend.

Wenn der Unmut in wissenschaftlichen Studien organisiert wird, empfiehlt es sich allerdings, eben die Recherchetiefe, Objektivität und Ausgewogenheit zu wahren, die man selbst eingefordert hat. Im aktuellen Fall ist der Begriff "Nachrichten" ebenso unscharf wie die Rede von "Medien professionell-journalistischer, semi-professioneller und nicht-professioneller Art", deren Einzelcharakterisierungen blass und beliebig bleiben.

Am zweifelhaftesten erscheint freilich die Behauptung von der geringen Relevanz, die das Internet im Rahmen der Nachrichtenvermittlung besitzt, und die These, Blogs oder soziale Netzwerke spielten in diesem Zusammenhang keine signifikante Rolle.

Drei Gegenargumente, die vielfach ergänzt werden könnten:

  • Der Frage "Wenn ich mich mit einem Thema genauer auseinandersetze, lese ich hierzu auch Informationen in Blogs" stimmten schon in einer Umfrage aus dem Jahr 2008 12,3 Prozent "voll und ganz" und mehr als 30 Prozent "überwiegend" zu.
  • Die Verbreitung von Nachrichten ist nur ein Teil der Wissensvermittlung, innerhalb der die Prozentanteile des WWW noch nicht abzuschätzen sind. Allerdings zeigt eine aktuelle Auswertung des Statistischen Bundesamtes, dass selbst Online-Lexika, ungeachtet aller Qualitätsdebatten, von immer mehr Usern zu Rate gezogen werden. Demnach bemühen 72 Prozent aller Internetnutzer ab 10 Jahren, die wiederum rund 76 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, Wikipedia und vergleichbare Portale zu Recherchezwecken. Bei Usern im Alter zwischen 10 und 15 Jahren liegt der Anteil sogar bei 82 Prozent. -*Woher bekommen Journalisten eigentlich die Informationen, die sie für ihre Leser oder User aufbereiten? Eine Befragung zeigt, dass Nachrichtenportale und Online-Newsletter mit 89,1 bzw. 68,1 Prozent weit oben auf der Liste der möglichen Rechercheinstrumente stehen. Selbst Blogs (28,4 Prozent), Twitter (18,9 Prozent) und andere Social-Media-Angebote (20,6 Prozent) sind hier prominent vertreten. 31,9 Prozent der Mitarbeiter von Nachrichtenagenturen twittern, 35,1 Prozent von ihnen nutzen Blogs.

Mehr als die Hälfte der Journalisten sind in der Social-Media-Welt angekommen: 55 Prozent geben an, dass Social Media eine (sehr) hohe Relevanz für ihre journalistische Arbeit hat. Bei den Journalisten aus den Bereichen Online und Multimedia sind es sogar über 70 Prozent. Youtube (38,3 Prozent), Xing (37,5 Prozent) und Facebook (36,6 Prozent) sind dabei die Social Media-Dienste, die am meisten für die Arbeit genutzt werden.

MEDIEN-TRENDMONITOR im April 2010

Eine Relativierung der Bedeutung des Internets für den Nachrichtenbereich müsste irgendwie anders aussehen.