US-Regierung arbeitet angeblich weiter an Auslieferungsantrag für Assange

Nach diplomatischen Depeschen scheint die australische Regierung nichts prinzipiell gegen eine Auslieferung an die USA einzuwenden zu haben, australische Diplomaten gehen davon aus, dass in den USA bereits eine Grand Jury für den Fall WikiLeaks eingerichtet wurde

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Seit Wochen hält sich WikiLeaks-Mitbegründer Julian Assange bereits in der kleinen Botschaft Ecuadors in London auf. In dem Zehn-Zimmer-Büro bewohnt er ein kleines, angeblich fensterloses Zimmer, in das ein Bett, ein Telefon und ein Hometrainer gestellt wurden. Es wurde eine Dusche eingerichtet, es gibt auch eine kleine Küche. Und natürlich hat Assange auch einen Internetanschluss, aber es dürfte gehörig langweilig sein, weil für Assange jeder Schritt aus der Botschaft heraus auf britisches Territorium bedeuten würde, verhaftet und nach Schweden zu einer Befragung abgeschoben zu werden. Erst dann wird möglicherweise eine Anklage erhoben.

Ob Assange am Sonntag, wie angekündigt, tatsächlich vor die Botschaft treten und eine Erklärung geben wird, dürfte fraglich sein. Der britische Außenminister Hague hatte schon unmissverständlich deutlich gemacht, dass Assange kein freies Geleit gewährt und er dann festgenommen würde. Die britische Polizei kontrolliert die Botschaft schon einmal mit Wärmebildkameras, damit Assange nicht aus der Botschaft geschmuggelt werden kann. Zu erwarten wäre, dass es Assange nicht auf ewig als Gefangener in der Botschaft aushält und doch einmal eine Flucht versuchen oder sich resigniert verhaften lassen könnte. Gestürmt werden soll die Botschaft hingegen nicht, hatte Hague erklärt.

Bekanntlich hat Assange, der für Ecuador als politisch verfolgt gilt, Angst davor, von Schweden womöglich in die USA abgeschoben zu werden. Es wird mit Großbritannien und Schweden über eine Zusage verhandelt, den Australier in kein drittes Land und keinesfalls in die USA abzuschieben, das wollen aber beide Regierungen nicht machen. Der schwedische Außenminister Bildt versicherte jedoch, dass Schweden niemanden in ein Land abschieben könnte, in dem diesem die Todesstrafe drohe. Überdies sei dies eine Sache der Gerichte, die in Schweden unabhängig seien, so Bildt. Man habe daher keine Belehrungen von Ecuador zu erhalten. Assange würde nur wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung in Schweden befragt werden.

Die USA haben noch keinen Antrag auf Auslieferung an Schweden gestellt. Allerdings ist bekannt, dass eine Klage gegen Assange gezimmert wird, die auf Verschwörung lauten soll. Und Assange dürfte trotz der angeblichen Unabhängigkeit der schwedischen Gerichte zu Recht Angst haben, dass er dennoch direkt oder indirekt in die USA abgeschoben werden könnte. Die australische Regierung versichert zwar immer wieder, dass sie sich um Assange wie um jeden anderen Bürger kümmern und ihm konsularischen Beistand leisten will, nach dem australischen Außenminister Carr würde Assange dies aber ablehnen.

Die australische Zeitung The Saturday Age hat jedoch über das Informationsfreiheitsgesetz Einsicht in diplomatische Kabel erlangen können, die belegen sollen, dass die US-Regierung dies weiter anstrebt und die australische Regierungschefin Julia Gillard und Außenminister Carr prinzipiell eine mögliche Auslieferung an die USA nicht zurückweisen würde. Die Botschaft in Washington bereite, wie die Regierung einräumte, eine mögliche Auslieferung auch ganz konkret vor. Das sei aber nichts Ungewöhnliches, versuchte Handelsminister Emerson abzuwiegeln. Die Botschaft mache nur ihren Job und bereits sich eben auch auf die Möglichkeit einer Abschiebung vor. Aber er habe noch keinen Hinweis erhalten, dass die US-Regierung einen Auslieferungsantrag gestellt hätte. Der australische Botschafter in den USA hat die US-Regierung jedoch schon einmal um eine Vorwarnung gebeten, sollte dies gemacht werden.

Nach den Depeschen gehen australische Diplomaten davon aus, dass vermutlich bereits eine Grand Jury einberufen worden sei, um den WikiLeaks-Fall zu behandeln. Die Anklage gegen Assange könne u.a. auf Spionage, Verschwörung, illegalen Zugang zu geheimen Informationen und Computerbetrug ausgerichtet sein. Die Diplomaten gehen davon aus, dass die Anklage alles vermeiden wird, was einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit im Ersten Zusatzartikel zur Verfassung heraufbeschwören könnte. Die Depeschen wurden vor der Herausgabe allerdings nach Angaben der Zeitung vielfach eingeschwärzt, zudem wurden die Antworten des US-Diplomaten, inklusive der Dokumente zu dem Verfahren gegen Bradley Manning, nicht weiter gegeben, weil dies die internationalen Beziehungen beschädigen könnte. Botschaftsangehörige haben alle Anhörungen von Manning verfolgt, die australischen Diplomaten gehen von vielen Verbindungen zwischen Manning und WikiLeaks aus, die auf eine Verschwörung hinauslaufen könnten.

Australien ist bislang nicht direkt an dem Konflikt zwischen Ecuador, Großbritannien und Schweden beteiligt. Wenn man spekulieren mag, könnte aber Schweden Assange nach Australien abschieben, während dann die australische Regierung den USA entgegen kommen könnte. Es ist kaum anzunehmen, dass Schweden den Australier direkt an die USA weiterreichen würde - nicht wegen der beschworenen Unabhängigkeit des Gerichtswesens, sondern weil der Vorgang zu große negative Aufmerksamkeit erzeugen könnte. Dass Schweden auch geheim und unter Hintergehung des eigenen Rechtssystems und der Menschenrechte mit den USA bereits kooperiert und sich die Hände schmutzig gemacht hat, zeigt zumindest der Fall von Ahmed Agiza und Muhammed Al Zery, der von schwedischen Medien aufgedeckt wurde (Schweden und die CIA-Praxis des Verschleppens von angeblichen "Terroristen" in Folterländer). Die beiden Männer waren im Dezember 2001 in Schweden auf offener Straße festgenommen und ohne Anklage und Anhörung direkt maskierten US-Geheimdienstagenten am Stockholmer Flughafen übergeben worden. Mit einem der getarnten CIA-Flugzeuge, mit denen die US-Regierung, geduldet oder mit aktiver Hilfe der "Alliierten", die weltweiten Verschleppungen und Inhaftierungen in Geheimgefängnissen ausführte, wurden die Männer nach Ägypten zum damaligen Noch-USA-Freund Mubarak gebracht und dort gefoltert. Dass Assange der schwedischen Regierung misstrauisch gegenüber steht, sollte mithin nicht verwundern.