Darius wer?

Auf dem Times Square wird ein mit einem Messer bewaffner Mann dunkler Hautfarbe erschossen. Das Ganze bleibt eher Randthema - dabei wirft die Angelegenheit Fragen auf.

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Der Times Square in New York ist weltbekannt. Die Kreuzung zwischen Broadway und Seventh Avenue und Zentrum des Theaterviertels "Broadway" ist mit großen Auswahl an Geschäften stets ein Hort der Betriebsamkeit. Manchmal jedoch wirkt zumindest ein Teil des Times Square eher leer. Dies ist auf den Videos der Fall, die zeigen, was mit Darius Kennedy passierte.

Doch zuerst die Kurzversion:

Darius Kennedy, 51 Jahre alt, bedrohte Polizisten mit einem Messer und wurde schließlich erschossen, da es nicht gelang, ihn mittels Pfefferspray außer Gefecht zu setzen.

So kurz, so tragisch, so unspektakulär, erweckt die Geschichte doch den Eindruck, der Mann habe die Polizisten derart stark bedroht, dass diese sich letztendlich nur in Selbstverteidigung mittelt ihrer Waffen noch schützen konnten. Wer das Video ansieht und die Hintergrundgeschichte liest, der fragt sich allerdings, was tatsächlich zu den immerhin 12 Schüssen geführt hat.

"Stop and Frisk" bezeichnet in den USA die Methode, Menschen unabhängig von einem konkreten Verdacht anzuhalten und zu durchsuchen. Da laut Statistiken eine Vielzahl von Straftaten von Menschen mit dunkler Hautfarbe begangen werden, werden diese auch im Sinne der Prävention öfter durchsucht. Das führt dann zur Endlosspirale, da durch die größere Anzahl der Durchsuchten auch die Wahrscheinlichkeit wächst, etwas zu finden - während die geringe Anzahl der hellhäutigen Durchsuchten auch zu geringeren Ergebnissen führt. So wird die Statistik zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Der Times Square, so heißt es, sei erst durch die "Stop and Frisk"-Methode für Touristen und Einheimische gleichermaßen wieder zu einem relativ gefahrlos betretbaren Platz geworden. Wie Hannes Stein in der Welt meint, dürfte die Angst davor, dass der Times Square wieder in die Hände von Straßengangs fällt, auch ein Grund dafür sein, dass der Fall Darius Kennedy momentan nicht zum Politikum wird - obgleich er dafür prädestiniert ist.

Zwölf Polizisten und Handykameras

Das Video, das von Passanten mittels Handykamera aufgenommen wurde, zeigt im Fall Darius Kennedy nämlich durchaus einige Merkwürdigkeiten. Wer durch die Schilderung der Polizei den Eindruck bekam, Darius Kennedy habe sich quasi auf die Polizisten gestürzt, die dann in Selbstverteidigung agierten bzw. Passanten schützen mussten, der wird diesen nach dem Betrachten des Clips möglicherweise revidieren.

Das Video, das unter anderem bei YouTube zu sehen ist, zeigt, wie Darius Kennedy sich mit wippenden Schritten von den Polizisten entfernt. Wieder und wieder dreht er sich um und fuchtelt mit dem Küchenmesser in seiner Hand herum, links von ihm sowie hinter ihm bewegen sich Polizisten mit gezogenen Waffen, Einsatzfahrzeuge fahren hinter den Polizisten her; rechts und vor Kennedy bewegen sich einige Passanten; zwei junge Leute folgen dem Geschehen mit ihren Kameras. Immer wieder bewegt sich Darius Kennedy hüpfend von den Polizisten fort und wird von diesen verfolgt. Die Waffen sind auf ihn gerichtet, die Abstände zwischen dem Mann und den Beamten teilweise eher gering. Offiziell heißt es, es sei nicht gelungen, Darius Kennedy mit Pfefferspray außer Gefecht zu setzen - insofern sei schließlich nichts anderes möglich gewesen, als von den Schusswaffen Gebrauch zu machen, da er für die Beamten und die Passanten gleichermaßen eine Gefahr darstellte.

Doch wieso gelang es der mindestens zwölfköpfigen Polizeischar nicht, den geraume Zeit vor ihnen hertänzelnden, psychisch kranken und obdachlosen Mann zu entwaffnen, ohne ihn zu töten? Wieso wurden zahlreiche Schüsse auf ihn abgefeuert, von denen immerhin 12 trafen? Da sich Darius Kennedy des Öfteren umdrehte und den Polizisten den Rücken zuwandte, gab es diverse Momente, in denen einige schnelle Beamte ihn hätten erreichen können. Dies hätte sicherlich eine Gefährdung der Polizisten bedeutet - doch letztendlich hätte es auch die Möglichkeit geboten, ihn händisch zu entwaffnen oder aber mit einem Schuss in den Arm oder die Hand außer Gefecht zu setzen.

Ein weiteres Video zeigt, wie diverse Passanten mit hoch erhobenen Handykameras den Tross begleiten und das Geschehen aufnehmen, während der Polizeitross Darius Kennedy fast im Entengang folgt. Weiter ist zu sehen, wie die Einsatzfahrzeuge stets hinter den Polizisten bleiben, anstatt sich z. B. Darius Kennedy von der Seite aus zu nähern, um von dort aus einen Schuss zur Entwaffnung abzugeben oder zusätzliche Beamte an ihn heranzubringen, um ihn zu umzingeln.

Bei einer akuten Bedrohungslage ist der Schuss in den Brustbereich das, was Polizeianwärter in den USA lernen - doch nicht jede Bedrohungslage ist akut. Liegt wirklich eine akute Bedrohungslage vor, wenn zwölf Polizisten plus diverse Einsatzfahrzeuge mehrere Minuten lang einem Mann folgen, der mit einem Brotmesser herumfuchtelt? Die Szenen, in der Darius Kennedy sich schließlich den Polizisten zu stark genähert haben soll, weshalb eine Tötung angeblich unvermeidlich war, sind auf keinen Videos zu sehen. Die Polizei meint auf Fragen dazu bislang lediglich, dass Pfefferspray nicht den gewünschten Erfolg gebracht habe und Taser nicht vorhanden gewesen seien.