Goldrausch

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Ein neuer Dokumentarfilm über die Treuhand schildert den Ausverkauf der DDR

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Als am 1. Juli 1990 die Treuhand ihre Arbeit aufnahm, wurden ihr 8500 Fertigungsbetriebe, 25 000 Läden sowie 7500 Hotels und Gaststätten mitsamt ihrer 4 Millionen Beschäftigten und 1,7 Millionen Hektar Land überantwortet. Der erste Treuhand-Chef Karsten Rohwedder schätzte den Gesamtwert dieser Anlagen auf 600 Milliarden Euro. Als die Treuhand am 31. Dezember 1994 unter der Leitung von Birgit Breuel aufgelöst wurde, lagen die neuen Bundesländer wirtschaftlich brach.

85 Prozent der Unternehmen waren in westdeutscher Hand, 2,5 Millionen Ostdeutsche arbeitslos und die Anstalt hatte 256 Milliarden Euro Schulden. Die Geschichte dieses Skandals zeichnet der Dokumentarfilm Goldrausch im Kleinen wie im Großen nach und lässt dabei wichtige Akteure zu Wort kommen.

Der Bürgerrechtler Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) schildert, wie die Staats-Holding während der Zeit des Runden Tisches von der DDR-Opposition konzipiert wurde: Erst sollte der DDR-Besitz registriert und zusammengefasst und anschließend dem einzelnen Bürger über Kapitalanteilsscheine ausbezahlt werden, wozu aber erst einmal die Betriebe in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden mussten. Diese Maßnahme wurde von der Regierung Modrow einstimmig beschlossen.

Doch nach dem Triumph der Konservativen bei den Volkskammerwahlen 1990 zeichnete sich bereits der "Ausverkauf" (Schulz) ab: Die großen westdeutschen Banken und Konzerne verlangten für ihr Entgegenkommen bei der Währungsunion die DDR-Betriebe als Absicherung (also gewissermaßen das DDR-Volksvermögen als Bürgschaft) und beanspruchten noch vor der Politik die führende Rolle bei der Privatisierung des Volksvermögens. Demgemäß wurde nach der Wahl der Regierung Kohl das ursprüngliche Treuhand-Gesetz so verändert, dass "vom eigentlichen Kern nichts übrig geblieben ist".

Bereits in der Regierung de Maizière waren zahlreiche Lobbyisten von West-Konzernen als Berater tätig, die massiven Einfluss auf die Beschlüsse der in Sachen Marktwirtschaft unbedarften Politiker nahmen. Mit dem modifizierten Treuhand-Gesetz wurde allerdings eine neue Qualität erreicht. Der damalige Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordnete (und heutige Afrikabeauftragte von Angela Merkel) Günter Nooke bezeichnete seinerzeit das Gesetz als "eine Volksenteignung von noch nie da gewesenem Ausmaß" und prophezeite für die neuen Bundesländer eine Gesellschaft von Sozialhilfeempfängern und Angestellten. Und der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), resümiert: "Bevor wir die Dinge durchschaut hatten, waren alle Messen gesungen."

Glücksritter, Blender, Betrüger und Kriminelle

In der Treuhand waren zu achtzig Prozent Ostdeutsche angestellt - die Führungskräfte stammten allerdings mit wenigen Ausnahmen allesamt aus der BRD, was Glücksritter, Blender, Betrüger und echte Kriminelle anzog. Der Treuhand-Vertragsmanager Christoph Partsch antwortet im Film auf die Frage, was man als Kunde bei der Treuhand vorweisen musste: "Eigentlich gar nichts außer einer sehr guten Verbindung zu einer Person in der Treuhand" - und so sieht man elegant gewandete Männer mittleren Alters mit dem Spruch "Ich besuche alte Freunde" in die Treuhand-Zentrale schreiten. Der damalige Treuhand-Chef Karsten Rohwedder (SPD) befand zu dieser Zeit: "Hier wird jede Scham beiseitegelegt. Es ist wie im Wilden Westen". Empörten DDR-Arbeitnehmern, die die Treuhand-Zentrale stürmten, erklärte er: "Nur die größten Kälber wählen ihre Metzger selber."

Als mit dem Schicksal der DDR-Luftfahrtlinie "Interflug" klar wurde, dass die Umwandlung des DDR-Volksvermögens nicht im Interesse der ostdeutschen Bevölkerung, sondern der westdeutschen Konzerne vonstattenging (allein der BRD-Konzern Thyssen konnte damals mehr als 200 Unternehmen erwerben), erhob sich wieder Protest in der ehemaligen DDR. Da man es nun anstelle einer verunsicherten sozialistischen Regierung mit der geballten wirtschaftlichen, propagandistischen und politischen Macht des Westens zu tun hatte, blieb er vollkommen wirkungslos.

Mit der Ermordung von Karsten Rohwedder und seiner Ersetzung durch die CDU-Finanzministerin und Bankierstochter Birgit Breuel waren die Weichen endgültig in Richtung Liquidierung des Volksvermögens gestellt. Wie der Film darlegt, wurde seitdem, je nachdem ob und welche Wahl anstand, im besten Fall noch phasenweise ehemalige DDR-Betriebe finanziell unterstützte (wobei die Gelder von westdeutschen Banken kamen, die - da die Bundesregierung bürgte - keinerlei Risiken trugen, was sie aber nicht davon abhielt, die marktüblichen Zinsen zu verlangen). Die großen DDR-Unternehmen wie der Fahrzeughersteller Wartburg wurden unerbittlich abgewickelt, was durchaus nicht immer ganz im Sinne des Gesetzes abging. So unterstellte man beispielsweise den Betrieb WBB einem Schweizer, der ihn binnen zweier Jahre an die Wand fuhr. Vorher hatte er der Firma 100 Millionen DM entzogen, wovon 31 Millionen auf seine eigene Konten wanderten.

Solch dubioses Geschäft blieb bei der Privatisierungswelle der DDR-Wirtschaft gelinde gesagt kein Einzelfall: Auch der französische Mineralölkonzern Elf Aquitaine hat beim milliardenschweren Bau der Raffinerie in Leuna nach Schätzungen drei mal mehr Subventionsgelder eingesackt, als das Werk auf dem Weltmarkt wert war. Der Subventionsbetrug geht in dreistellige Millionenhöhe, auch Schmiergeldzahlungen sollen in beträchtlicher Höhe geflossen sein. Ein Untersuchungsausschuss hierzu wurde nie eingesetzt.

Aber nicht nur die Treuhand-Kunden bewegten sich am Rande des Legalen, auch die Führungsriege war teilweise mit zwielichtigen Gestalten besetzt. Zum Beispiel wurde als Privatisierungsdirektor in Halle ein verurteilter Konkursbetrüger eingesetzt, der sich von einem Unternehmer mit 5 Millionen DM bestechen ließ. Dieser bekam als Gegenleistung 30 Firmen im Raum Halle offeriert, deren Vermögen er auf seine Privatkonten wandern ließ, bevor er die Immobilien verscherbelte. Ruchbar wurde dieser Manager erst, als er eine Villa in Treuhandbesitz für eine Mark verkaufen ließ, um sie als Sitz für seine eigene Firma billig anmieten zu können.

Zwar wurden mehrere Treuhand-Untersuchungssauschüsse eingesetzt, die aber – trotz des Umstands, dass ihnen 80 Prozent der Akten vorenthalten wurde – total überlastet waren und nur an der Oberfläche kratzen konnten. Viele der Treuhandakten sind steuerrelevant und stehen deshalb erst 2050 zur Einsicht frei.

Gnadenlose Filetierung der DDR-Wirtschaft

Der recht didaktisch konzipierte Dokumentarfilm schildert sehr anschaulich und konzentriert die Zeit, in der bar jeglicher Erfahrung, weitgehend ohne politische wie rechtliche Kontrolle und unter künstlich erzeugten Zeitdruck (Birgit Breuel hatte seinerzeit für jeden Treuhandabschluss eine Prämie vorgesehen) die DDR-Wirtschaft zugunsten der westdeutschen Banken und Konzerne gnadenlos filetiert wurde. Verschiedene ehemalige hochrangige Treuhand-Funktionäre wie Klaus-Peter Wild (Vorstand), Christoph Partsch (Vertragsmanager) und Klaus Klamroth (Direktor in Halle) kommen ausführlich zu Wort und reflektieren teilweise recht selbstkritisch ihre damalige Tätigkeit. Wild sagt: "Es war ein Triumph der Marktwirtschaft. Ich weiß nicht, ob das die Marktwirtschaft verdient hat." Klaus Klamroth resümiert: "Ich musste feststellen, dass ich bei vielen Dingen zu naiv war. (...) Es sind Fehler gemacht worden."

Auch wenn der recht unaufgeregte und sachliche Film ausblendet, dass die Akteure der DDR-Privatisierung weitgehend dieselben sind, die heutzutage ganz Deutschland privatisieren, ist er als Einführung in die wirtschaftliche und politische Gegenwart der Bundesrepublik unbedingt zu empfehlen.

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