Die soziale Ungleichheit wächst

Adolf Bauer, der Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland, warnt vor einer gesellschaftlichen Krise. Bild: S. Duwe

Der Sozialverband Deutschland legt Lösungsmöglichkeiten vor - und glaubt selbst nicht an deren Umsetzung

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Geht es nach dem Geldvermögen der Haushalte, dann waren die Deutschen 2011 so reich wie noch nie – über ein Vermögen von mehr als 4,7 Billionen Euro konnten die Haushalte im vergangenen Jahr verfügen. In den Medien führen derartige Zahlen regelmäßig zu unreflektierten Jubelmeldungen über den Wohlstand, in dem "die Deutschen" angeblich leben – die Verteilung dieses riesigen Vermögens und die Tatsache, dass eine Vielzahl der Privathaushalte eher knapp bei Kasse ist, wird dabei nicht reflektiert. Da kann es sogar schon einmal dazu kommen, dass die gleichzeitige Zunahme der privaten Schulden um 21 Milliarden Euro lakonisch kommentiert wird, die Privatleute könnten sich aufgrund ihres Reichtums eben auch Schulden leisten.

Der immer weiter absinkende Anteil der Löhne am deutschen Volkseinkommen bei gleichzeitiger Zunahme der Einkommen aus Unternehmen und Kapital ruft nun auch den Sozialverband Deutschland (SoVD) auf den Plan. Dessen Vorsitzender, Adolf Bauer warnt: Soziale Ungleichheit und wachsende Armutsrisiken würden spätestens dann zu einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Krise führen, wenn der soziale Friede bedroht sei. Aufgrund falscher politischer Weichenstellungen nehmen die Armutsrisiken derzeit zu, so Bauer. Er kritisiert, dass über 650.000 Menschen über ein "Reichtumseinkommen" von mehr als 112.000 Euro im Jahr verfügen, gleichzeitig aber Millionen Arbeitnehmer nur in Leiharbeit und Minijobs beschäftigt seien. Mehr als zehn Prozent der Deutschen sind derzeit abhängig von Hartz IV.

Gleichzeitig würden vor dem Hintergrund einer immensen Staatsverschuldung immer mehr Sozialleistungen abgebaut – dabei seien die Privatvermögen in den letzten zehn Jahren mehr als doppelt so schnell gewachsen wie die Staatsschulden. Zu den Lösungsverschlägen, die Ursula Engelen-Kefer, die bis 2009 Mitglied im SPD-Parteivorstand war, für den SoVD präsentiert, gehören deshalb unbedingt höhere Steuern. Immerhin werden Einkünfte aus Vermögen in Deutschland deutlich geringer besteuert als Einkommen aus Arbeit, Vermögenssteuern fehlen ganz.

Engelen-Kefer fordert daher die Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer, einen Satz von 56 Prozent hält sie dabei für vertretbar. Das ist deutlich mehr als die 49 Prozent, die SPD und Grüne derzeit fordern, aber auch deutlich weniger als die 75 Prozent, die die Linkspartei mit Blick auf die Steuerpläne des französischen Präsidenten Hollande derzeit ausruft. Eine Grenze, ab wann der Spitzensteuersatz greifen soll, will Engelen-Kefer jedoch nicht nennen. Es müsse genau geprüft werden, dass der Satz nicht beispielsweise Familien hart trifft, begründet sie ihre Zurückhaltung. Ebenfalls auf Engelen-Kefers Wunschliste stehen eine progressive Kapitalertragssteuer, die Vermögenssteuer mit einem "angemessenen Freibetrag" und eine Finanztransaktionssteuer.

Viele Forderungen

Die viel kritisierte Zuschussrente Ursula von der Leyens lehnt Engelen-Kefer ab. Stattdessen müsse die Rente wieder an die Lohnentwicklung gekoppelt werden. Damit dies bezahlbar ist, soll die gesetzliche Rentenversicherung in eine Erwerbstätigenversicherung umgebaut werden, in die alle erwerbstätigen Menschen einzahlen. Vor dem Hintergrund eines wachsenden Niedriglohnsektors und damit auch sinkender Beiträge in die Renten- und Sozialversicherungen solle es zudem höhere Beitragszahlungen für Arbeitslose und Niedriglohnempfänger in die gesetzliche Rentenkasse geben. Die Kranken- und Pflegeversicherung soll ebenfalls nach dem Modell der Bürgerversicherung gestaltet werden, ein Nebeneinander von privater und gesetzlicher Versicherung lehnt der SoVD ab. Dabei sollen alle Einkommen, also auch Einkünfte aus Kapitalerträgen, Vermietung und Verpachtung beitragspflichtig sein, ohne dass es eine Bemessungsgrenze gäbe.

Ursula Engelen-Kefer forderr höhere Steuern für Reiche, eine Bürgerversicherung und einen Mindestlohn. Bild: S. Duwe

Zudem sollten auch die Arbeitsverhältnisse wieder menschenwürdig werden. Durch befristete Arbeitsverträge und Leiharbeit sowie Werkverträge würden jungen Menschen die Perspektiven im Berufs- wie im Privatleben genommen und Ältere zu modernen Tagelöhnern degradiert. Befristungen, Leiharbeit und Werkverträge sollten daher auf ein vernünftiges Maß reduziert werden – was ein vernünftiges Maß ist und wie es sich durchsetzen lässt, dazu sagt der SoVD allerdings nichts. Der Aufstückelung von regulärer Arbeit in Minijobs will der Verband mit einer Sozialversicherungspflicht für alle Beschäftigungsverhältnisse begegnen. Zudem müsse es einen Mindestlohn nicht unter 8,50 geben. Leiharbeitern sollten so entlohnt werden wie die Stammbelegschaft. Hartz IV will der SoVD ganz abschaffen und durch ein Fürsorgesystem ersetzen, dass eine Mindestsicherung in Notlagen gewährt und dabei mit den Betroffenen menschenwürdig umgeht.

Die Hoffnung auf Umsetzung ist gering

So sinnvoll die einzelnen Punkte auch sein mögen – immerhin bedeutet eine Ausweitung des Niedriglohnsektors nicht nur den sozialen Abstieg für die Betroffenen, sondern auch zunehmende Kosten für staatliche Unterstützung bei gleichzeitig sinkenden Steuern und Sozialabgaben und sinkender Kaufkraft der Bevölkerung, so gering sind auch die Chancen, dass der Forderungskatalog des SoVD auch nur teilweise umgesetzt wird. Der Verband selbst macht sich da keine allzugroßen Hoffnungen.

Auf die Frage, mit welchen politischen Partnern der Verband seine Ziele erreichen könne, erklärt Bauer, es sei im Moment schwierig, für diese Forderungen politische Mehrheiten zu gewinnen – das ist kein Wunder, immerhin sind die schwarz-gelbe Regierung als auch die Spitze der Grünen gegen höhere Sozialausgaben. Und die Sozialdemokraten haben mit Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier zwei mögliche Kanzlerkandidaten im Rennen, die direkt in die Agenda-Politik der Schröder-Regierung eingebunden waren und diese mitgetragen haben.

Er hoffe darauf, dass die Sozialpolitiker aller Fraktionen in Zukunft an Einfluss gewinnen, so Bauer. Eine Vereinigung der Sozialpolitiker aller Fraktionen scheint jedoch auch reichlich utopisch. Deshalb will der SoVD die kommenden Wahlkämpfe nutzen, um das Thema gemeinsam mit den Gewerkschaften in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn wer nicht kämpfe, der habe schon verloren, so Bauer. Selbstbewusst klingt das nicht gerade. Tatsächlich sind die parlamentarischen Anknüpfungspunkte für soziale Initiativen derzeit rar gesät – und selbst die kommende Bundestagswahl lässt kaum Raum für tiefgreifende Veränderungen in dieser Hinsicht.