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Energiewende ohne Regionalisierung ist ein Irrweg

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Derzeit werden im Zusammenhang mit der Energiewende vor allem drei Punkte genannt: Abschalten der Kernkraftwerke, Ausbau der Windparks in der Deutschen Bucht und Bau neuer Stromleitungen aus der Nordsee nach Süddeutschland.

Das Abschalten der Kernkraftwerke kritisieren vorwiegend industrielle Stromkunden, die bislang Strom aus diesen Quellen billig beziehen konnten. Mit der Befreiung dieser Kunden von den Netzkosten will die Politik die energieverbrauchsintensive Industrie ruhigstellen. Der Widerstand gegen die Offshore-Windkraftwerke hält sich vor dem Hintergrund, dass sie für die meisten Stromkunden im Gegensatz zu den Binnenland-Standorten praktisch unsichtbar sind, in Grenzen. Was vielfach auf Widerstand stößt, sind die neuen Fernleitungstrassen, die benötigt werden, um den Strom von den Windparks in die Verbrauchszentren im Süden der Republik zu transportieren. Bislang wurde der in den südlichen Bundesländern benötigte Strom dort auch mehrheitlich produziert.

Pumpspeicherkraftwerk Koepchenwerk am Hengsteysee in Herdecke Bild: Jochen Schneider. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Im Grunde werden mit der sogenannten Energiewende nur die kapitalintensiven Kernkraftwerke durch letztlich - mit der benötigten Netzanbindung - ebenso kapitalintensive Windkraftparks abgelöst. Für eventuelle Flautezeiten in der Deutschen Bucht sollen im Süden der Republik weitere Pumpspeicherkraftwerke errichtet werden. Dort bieten die Mittel- und Hochgebirge ausreichend Gefälle an. Auch diese Speicherkraftwerke müssen wiederum über Fernleitungstrassen in das Hochspannungsstromnetz eingebunden werden. Niemand thematisiert dabei die Leitungsverluste, die beim Transport der elektrischen Energie quer durch die Republik entstehen. Die spezifischen Netzverluste zählen zu den bestgehüteten Geheimnissen der Stromwirtschaft. Die Vorstellung, dass bei einem Transport der Energie mittels Kohlezügen statt Hochspannungsleitungen, sich der Kohleabbau rechts und links der Bahntrasse nach kurzer Zeit lohnen würde, wurde bislang jedoch nicht glaubhaft widerlegt.

Kohlezug zum Kraftwerk Goldenberg: Bild: EuroCargo. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Da den privaten und gewerblichen Endkunden nicht nur die Netzkosten aufgebürdet werden, sondern sie auch das Risiko übernehmen sollen, dass ein Windpark nicht fristgerecht an das Netz angebunden wurde, dürfte der Strom aus dem öffentlichen Netz kontinuierlich teuerer werden.

Wer jetzt jedoch darauf setzt, dass man die bisherigen Kraftwerkszentralen einfach gegen leicht modifizierte zentralistische Strukturen austauschen und im Übrigen auf eine wirkliche Energiewende verzichten kann, dürfte in nicht zu ferner Zukunft feststellen, dass er sein Kapital in Investitionsruinen gepumpt hat.

Denn im Gegensatz zu den steigenden Endkundenpreisen beim Bezug aus dem Stromnetz fallen die Erzeugungskosten und in der Folge auch die Einspeisevergütung für Solarstrom. Damit ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, an dem eine weitgehend autonome Stromversorgung für Immobilienbesitzer in eine bezahlbare Größenordnung rückt. Auch wenn jetzt nicht jeder Eigenheimbesitzer gleich auf eine autarke Stromversorgung umsteigen will oder kann, ergeben sich aus den fallenden Investitionskosten für Solaranlagen und Stromspeicher ganz neue Möglichkeiten.

Somit können sich die Perspektiven für die künftige Energieversorgung noch deutlich verschieben. Manchmal lohnt sich dabei auch ein Blick zurück in die energiewirtschaftliche Vergangenheit. Dabei muss man nicht zurück bis in die Zeiten, als man noch mit Kienspänen für die abendliche Beleuchtung sorgen musste oder mit den Hühnern zu Bett ging. Aber bevor der Strom aus der Steckdose für die Mehrzahl der Nutzer zur Grundversorgung zählte, hatte die Elektrizität noch eine regionale (meist bekannte) Quelle - denn die Stromversorgung bestand zu Beginn noch aus zahlreichen kleinen Inselnetzen und deren Betreiber waren persönlich bekannt. Dabei war die Stromquelle häufig in oder in unmittelbarer Nähe der versorgten Gemeinde. In den meisten Fällen ging die Stromversorgung damals von einer Mühle oder einem Sägewerk aus. Wenn die benötigten Investitionen die Kräfte eines privaten Versorgers überstiegen, wurden Genossenschaften gegründet, die mit den Geldern der Genossen die lokale und regionale Stromversorgung aufbauten. In den folgenden Jahrzehnten wurden die ursprünglichen Inselnetze miteinander verflochten und immer größere Kraftwerkseinheiten errichtet.

Hochspannungsmasten bei München. Bild: TP

Um diese Netze in Betrieb zu halten, wird ein gewaltiger Regelungsaufwand benötigt. Und wenn jetzt auch noch die Tatsache berücksichtigt wird, dass die physikalische Stromlieferung gar nicht mit der abrechnungstechnischen übereinstimmen muss, dann lässt sich der kommende logistische Aufwand erahnen.

Für eine echte Energiewende lohnt es sich daher durchaus, einen Blick in die Geschichte der regionalen Stromversorgung zu werfen. Statt über steigende Strompreise zu klagen, können die Verbraucher auch heute schon in nennenswertem Umfang in die eigene Hand nehmen. Diese Möglichkeiten bestehen beileibe nicht nur für die Besitzer von Einfamilienhäusern.

Mit ein wenig Engagement und einer ordentlichen Portion guten Willens lassen sich ganze Straßenzeilen vom öffentlichen Netz abhängen. Wenn kein öffentlicher Grund überquert wird, für den die jeweilige Gemeinde eine Nutzungskonzession vergeben hat, spricht wenig dagegen, dass sich die betreffenden Immobilienbesitzer in einer Genossenschaft organisieren.

In einem ersten Schritt sollten alle Beteiligten die bestehenden Effizienzpotentiale in ihren jeweiligen Gebäuden ausschöpfen und erst im nächsten Schritt den Aufbau einer eigenen Versorgung angehen. Über eine vereinbarte Vorrangschaltung und eine sinnvolle Verriegelung nachrangiger Verbraucher lassen sich teuere Stromspitzen kappen, was die Investitionskosten reduziert und die Stromerzeugung vergleichmäßigt. Im Rahmen der Neuausschreibung der Stromversorgung können derartige Genossenschaftsmodelle auch für ganze Kommunen etabliert werden. Ein Hemmnis für diese Modelle, welche die Stromerzeugung wieder näher zum Verbraucher bringen, liegt derzeit in der Möglichkeit der Kunden, ihren Lieferanten unabhängig von der realen Versorgung mit elektrischer Energie frei wählen zu können. Im Rahmen der feststellbaren Re-Kommunalisierung der Stromversorgung ist jedoch damit zu rechnen, dass die freie Lieferantenwahl auf den Prüfstand kommt und dem freien Strommarkt die Flügel wieder gestutzt werden. Der Kunde wäre dann wieder an den physischen Lieferanten gebunden.

Die vier großen Stromversorger und die Betreiber der Überlandnetze dürften von regionalen und lokalen Stromversorgungsmodellen wenig begeistert sein und alle Lobbyistenhebel in Bewegung setzen, um zu verhindern, dass es in der Energieversorgung eine echte Wende gibt. Zahlreiche jetzt dringend geforderte Hochspannungstrassen könnten sich als ruinöse Fehlinvestitionen herausstellen, wenn die Stromerzeugung wieder näher zum Kunden rückt.

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