Anschein von Alternativlosigkeit

Die konservative Publizistin Gertrud Höhler kritisiert den Demokratieabbau unter Angela Merkel

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Die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise wird von den Regierenden genutzt, um demokratische Rechte abzubauen - das wird im Bundestag, wo immer wieder eilig als alternativlos bezeichnete Gesetzespakete in einer Rekordzeit, in der die Abgeordneten nicht einmal mehr lesen können, worüber sie abzustimmen haben, genau so sichtbar wie im Umgang mit dem Demonstrationsrecht. Das Vorgehen von Behörden und Politik gegen die Blockupy-Proteste, die vorsorglich verboten wurden, weil es ja eventuell Ausschreitungen geben könnte, zeigen, wohin die Reise geht. Insofern wäre es eigentlich begrüßenswert, wenn das Thema durch Veröffentlichungen wie Die Patin, dem neuen Buch von Gertrud Höhler, gesellschaftlich breit diskutiert würde. Doch Höhlers Argumente sind dünn, und ihr Auftreten ist geeignet, das eigentlich wichtige Thema lächerlich zu machen.

Gefährdet Angela Merkel die Demokratie? Mit dieser Frage tourt derzeit die Literaturwissenschaftlerin Gertrud Höhler durch die Medien - wenn sie nicht gerade vor aus ihrer Sicht unpassenden Fragen die Flucht ergreift. Für Höhler ist die Antwort eindeutig: Ja, Angela Merkel gefährdet die Demokratie. Dieser Vorwurf könnte der Ausgangspunkt für eine wichtige Debatte sein, die gerade in Zeiten, in denen politische Entscheidungen vor allem mit Blick auf die Stimmung an den Märkten getroffen werden, notwendiger ist denn je. Dass die Vorwürfe von einer Konservativen, die selbst viele Jahre lang ein CDU-Parteibuch in der Tasche hat und zu den angeblichen Beratern des Altkanzlers Helmut Kohl zählt, erhoben werden, rückt die These vom Demokratieabbau zusätzlich ins mediale Rampenlicht.

Gertrud Höhler. Foto: Silvio Duwe.

Eine ernsthafte Debatte jedoch scheint gerade deshalb in weite Ferne gerückt. Denn Höhler spricht zwar durchaus wichtige Indizien an, die für ihre These der zunehmenden Entdemokratisierung sprechen, gleitet aber derart in Verschwörungstheorien ab, dass alle guten Ansätze Gefahr laufen, in zukünftigen Debatten diskreditiert zu werden.

Denn für Höhler ist Angela Merkel ein spezifisch ostdeutscher "Tarnkappenbomber", der "ethische Kartelle aus der West-Tradition" sprengt, um langsam einen "autoritären Sozialismus" zu etablieren. Angela Merkel, das Mädchen von drüben, ist für Höhler die Zerstörerin der westdeutschen Demokratie, die sich, ohne ihre wahren Motive und Ziele offen darzulegen, an den starken CDU-Männern aus dem Westen vorbei an die Macht geschlichen hat, um das politische System der Bundesrepublik von innen zu zersetzen. Möglich wird dies nur durch den "Trainingserfolg des totalitären Systems", in dem Merkel aufgewachsen sei: "Sie hat den Erfolg von angemaßter Autorität gesehen und wählt diesen einfachen Zugang, um Gefolgschaft herzustellen."

Höhler erkennt dabei durchaus die Muster, nach denen das "System M", wie sie es nennt, funktioniert: Merkel tritt prinzipiell erst spät in laufende Debatten ein, lässt politische Partner und Gegner lange im Unklaren, auf welche Seite sie sich schlagen wird - um so sicher zu gehen, am Ende auf der richtigen zu stehen. Hinzu kommen schlagartige politische Richtungswechsel, sobald dies opportun erscheint, wie es besonders beim plötzlichen Ausstieg aus dem Ausstieg vom Atomausstieg zu erkennen war.

Höhler analysiert sogar hervorragend die Folgen und Ziele, die Angela Merkels Spar- und Europapolitik nach sich ziehen: Merkels Schuldenbremse sei nichts weiter als eine autoritäre Strafandrohung von zweifelhafter Wirkung, die als Quelle von Wirtschaftswachstum ganz und gar nicht geeignet sei. Das Ziel ihres Fiskalpaktes sei Kontrolle: "Der Pakt ist vor allem ein Täuschungsmanöver an die Adresse der Bürger: Er soll die deutsche Dominanz in Europa sichern." Dabei versuche Merkel, jeder ihrer Handlungen den Anschein von Alternativlosigkeit zu verleihen.

Auf der Buchpräsentation in Berlin erklärt Höhler, dass es stattdessen notwendig sei, den verschuldeten Ländern zu zeigen, wie sie ihre Verwaltung und ihre Strukturen wieder in Ordnung bringen. Deutschland sei nach dem 2. Weltkrieg das Objekt der leidenschaftlichen Hilfsbereitschaft Amerikas geworden, heute sehe sie Deutschland in dieser Rolle.

Höhler verdreht die Argumente

Wirklich neu ist das, was Höhler zu sagen hat, alles nicht. Vielmehr ist Vergleichbares schon lange von linken Kritikern der Merkelschen Politik zu hören. Ausgesprochen von einer Konservativen, die von Firmen wie der Deutschen Bank, Volkswagen und anderen großen Unternehmen als Beraterin geschätzt wurde, könnten diese Argumente jedoch eine ganz andere Wirkungskraft entfalten. Doch Höhler verdreht die Analyse dieser Argumente. Aus der Merkelschen Sparpolitik, die die Staaten der Euro-Zone zwingen soll, ihre Staatsausgaben zu kürzen, Sozialsysteme abzubauen und Arbeitsmarktreformen nach dem Vorbild der Agenda 2010 vorzunehmen, wird bei Höhler ein Programm zum Aufbau einer Staatswirtschaft.

Wie ein Staat, der durch rigorose Ausgabenkürzungen eingeschränkt ist, gleichzeitig eine Staatswirtschaft aufbauen soll, erklärt Höhler nicht, sie behauptet es einfach - und greift dabei auf das bekannte Muster der angeblichen Sozialdemokratisierung der Union zurück: SPD-Wähler fänden Markenkerne der SPD jetzt bei der CDU wieder und könnten dort auch dem Linksruck der SPD entgehen. Der Versuch, wenigstens diesen angeblichen Linkstrend in der kompletten Parteienlandschaft zu belegen, gleitet jedoch ins Lächerliche ab: Hartz IV und Rente mit 67 sind für Höhler nämlich "ehemals klassische SPD-Projekte", die Merkels CDU dann anschließend gekapert habe. Dass die Sozialdemokraten mit dieser Politik eigentlich das Geschäft der Union betrieben haben und Angela Merkel dies nach dem darauffolgenden Absturz der ehemaligen Kleine-Leute-Partei nur noch weiterzubetreiben brauchte, sieht Höhler nicht.

Es würde auch ihre These zu arg zerstören. Für Höhler ist Merkel die Protagonistin des Demokratieabbaus, die umgeben ist von Mitläufern und jenen, die noch nicht begriffen haben, was die Stunde geschlagen hat. Die zunehmende Annäherung aller Parteien aneinander, mit Ausnahme der Linken, ist für Höhler Teil dieses Demokratieabbaus. Dem Wähler wird die echte Auswahl zwischen politischen Alternativen genommen, wenn SPD und Grüne in der Euro-Politik lieber mit der Kanzlerin abstimmen, als öffentlich für eine andere Krisenstrategie zu werben.

So richtig diese Analyse ist, so falsch ist die Annahme, dass die Kanzlerin hier die Hauptakteurin ist, die die Einheitspartei der Mitte formt. Sie hat nicht einmal den ersten Schritt getan. Der wurde schon gemacht, als Gerhard Schröder einst antrat, um die SPD in die Mitte zu rücken - und anschließend mit der Agenda-Politik die Sozialdemokraten ein ganzes Stück nach rechts zu rücken. Wer Merkel die Hauptschuld an der zunehmenden Ununterscheidbarkeit der Parteien die Hauptschuld gibt, tut ihr schlicht und ergreifend Unrecht - zu viele haben da mitgewirkt, als dass ein Einzelner verantwortlich gemacht werden könnte.

Unglaubwürdig macht sich Höhler vor allem dann, wenn sie Angela Merkel vorwirft, ihre Politik auch aus machttaktischen Erwägungen nicht zu erklären, mit ihren Thesen aber genau so verfährt. Ein Interview mit der Süddeutschen zu ihrem Buch hätte sie zwei Mal fast abgebrochen, ein Interview mit der Kulturzeit auf 3Sat brach sie ab, bevor es begonnen hatte, weil ihr der Fragenkatalog nicht zusagte.

Wer sie auf ihrer Buchvorstellung darauf ansprach, zog deutlich den Unmut der streitbaren Autorin auf sich. Immer wieder versuchte Höhler, kritischen Fragen aus dem Weg zu gehen, indem sie so tat, als hätte sie sie akustisch nicht verstanden - so häufig, dass es schwer ist, dies nicht als Masche zu deuten. Als auch das nicht mehr half, versuchte sie es damit, den Fragenden ins Wort zu fallen, sie niederzureden. Sie wolle eben nicht in der Yellow Press über Themen sprechen, die ihr wichtig sind - was die Kulturzeit mit der Yellow Press gemein hat, bleibt wohl ihr Geheimnis.

Mit ihrem Verhalten kritischen Gesprächspartnern gegenüber ist Höhler sehr nah an dem, was sie Merkel vorwirft. Die Strategie mag geeignet sein, kurzfristig die Buchverkäufe nach oben zu treiben - Die Patin ist derzeit auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste im Bereich Politik und Geschichte - einer seriösen Auseinandersetzung mit dem Zustand der bundesdeutschen Demokratie dürfte Gertrud Höhler jedoch eher schaden.

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