Riester-Sparer sind Schnäppchenjäger

Volkswirtschaftler untersuchen die Gründe für den Abschluss einer Riester-Rente

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Die Sparkasse mag sie, die AachenMünchener auch und die Commerzbank sowieso. Die Stiftung Warentest findet sie einfach "spitze" und die Bundesregierung schwört, dass sie sich lohnt - "gerade auch für Geringverdienende und Familien".

Mit der Riester-Rente kann man wenig falsch machen, scheinen die 15,5 Millionen Bundesbürger zu glauben, die in den letzten zehn Jahren einen Vertrag abgeschlossen und bis dato rund 40 Milliarden Euro angespart haben. Eine Studie der Universität Bayreuth zeigt allerdings, dass es den Riester-Sparern nicht in erster Linie um die eigene Altersvorsorge geht.

Weniger Altersvorsorge, eher Mitnahme-Effekt

2001 bekamen Rentner immerhin noch 70 Prozent ihres durchschnittlichen Nettoeinkommens. Bis 2050 soll dieser Wert auf 57 Prozent fallen. Wenn es gut läuft. Unter diesen Umständen lag es für den Staat auf der Hand, die private Altersversorgung zu fördern. Ob sich der Fokus dabei nahezu ausschließlich auf die nach Arbeitsminister Walter Riester (SPD) benannte Rente richten sollte, ist seitdem heftigen umstritten.

Das gilt auch für die Frage, wie alt man eigentlich werden muss, um noch in den Genuss der Rente zu kommen. 2009 empfahl ein Wirtschaftstheoretiker der FU Berlin Riester-Fondssparern mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von 52.500 Euro dringend das Erreichen des 92. Lebensjahres. Erst dann würden die eigenen Beiträge mit Zinsen als Rente ausgezahlt. Dass die Lebenserwartung des Betroffenen lediglich bei 78 Jahren liege, könne natürlich zum Problem werden.

Die Zahl der bisherigen Vertragsabschlüsse reicht noch lange nicht aus, um die Einbußen der gesetzlichen Rentenversicherung zu kompensieren, legt aber immerhin die Vermutung nah, dass die Angebote von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung angenommen werden. Christian Pfarr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft der Universität Bayreuth, und Udo Schneider vom Wissenschaftlichen Institut der Techniker Krankenkasse für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen wollten es nun genauer wissen und fragten nach dem gesellschaftlichen Background der Riester-Sparer und ihren Motiven, sich trotz anhaltender Kritik auf die staatlich propagierte Altersvorsorge einzulassen.

Ihre im Journal of Pension Economics and Finance erschienene Studie umfasst den Zeitraum von 2005, als die gesetzlichen Bestimmungen durch das Alterseinkünftegesetz noch einmal entscheidend verändert wurden, bis 2009, das Jahr, für das die SAVE-Studie die bis dato aktuellsten repräsentativen Daten liefert.

Ein Ergebnis der beiden Volkswirtschaftler ist vor dem Hintergrund der eingangs genannten Zahlen besonders interessant. Viele Riester-Sparer haben nicht in erster Linie die eigene Altersvorsorge im Auge, sondern interessieren sich vorwiegend für die staatlichen Zulagen und Steuervergünstigen, die je nach Familienstand und Kindern mehrere hundert Euro im Jahr ausmachen.

Vorteile für Vermögende, mittlere Einkommen und Kinderreiche

Die Rente der Verkäuferin sinkt, weil ihr Verkaufschef eine Riester-Rente abgeschlossen hat. Das ist Sozialpolitik für Geisterfahrer.

Norbert Blüm, 12.02.2008

Pfarr und Schneider unterscheiden zwischen fünf verschiedenen Einkommensgruppen, und die Vermutung, dass das Interesse an der Riester-Rente unmittelbar mit den persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zusammenhängt, erweist sich als richtig. 12 Prozent aller Riester-Berechtigten verfügen über weniger als 606 Euro im Monat und entscheiden sich nur selten für den Abschluss eines Vertrages.

Offenbar hat das Riester-Konzept nicht mit den Entwicklungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt Schritt gehalten, die von der rot-grünen Bundesregierung selbst lanciert wurden. Wenn immer mehr Menschen im Teilzeit- und Billiglohnsektor so wenig verdienen, dass sie kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist die Etablierung einer privaten Altersvorsorge wenigstens in diesem Bereich absehbar zum Scheitern verurteilt.

Die oberste Einkommensgruppe, die mehr als 2.475 Euro im Monat ausgeben kann, stellt dagegen 8 Prozent der Berechtigten und setzt überdurchschnittlich häufig auf die Riester-Variante. Aber auch der Mittelstand hat ein Faible für die Erfindung des gelernten Fliesenlegers, der sich seine Sachkenntnis von diversen Finanzdienstleistern versilbern lässt und mittlerweile als "Starredner" angekündigt wird.

Für Riester hat sich die Riester-Rente in jedem Fall gelohnt, aber kinderreiche Familien glauben ebenfalls an eine profitable Anlage, und in ihrem Fall sehen Pfarr und Schneider tatsächlich ein "überaus attraktives Modell", da der staatliche Förderanteil mit jedem Kind steigt und der Eigenanteil im Gegenzug reduziert werden kann.

Generell stellen die Volkswirtschaftler bei Menschen, die ohnehin schon Bausparverträge, Lebensversicherungen oder Aktien besitzen, eine erhöhte Bereitschaft fest, auch noch einen Riester-Vertrag abzuschließen.

Anscheinend spielt bei zahlreichen Entscheidungen für eine Riester-Rente ein gewisser "Mitnahme-Effekt" eine Rolle. Wer unterschiedliche Formen der Daseinsvorsorge einschließlich der staatlichen Fördermöglichkeiten kennt und nutzt, ist desto eher willens, auch die Vorteile der Riester-Rente in Anspruch zu nehmen.

Christian Pfarr

Die Finanzberater

Die anhaltende Popularität der Riester-Rente führen Pfarr und Schneider zu einem erheblichen Teil auf die Empfehlung von Finanzberatern zurück, deren Einfluss auf die Kundenentscheidung als "signifikant" eingestuft wird. Ohne entsprechende Beratung würden erheblich weniger Menschen einen Vertrag abschließen. Die Autoren führen diese interessante Beobachtung nur zum Teil auf die "hohe Komplexität" der mehr als 5.000 Riester-Produkte zurück, die es dem Laien praktisch unmöglich macht, seine Vorteile zu erkennen und die für ihn optimalste Variante zu wählen.

Finanzberater erhalten in der Regel ungewöhnlich hohe Provisionen, wenn sie ihren Kunden eine Riester-Rente vermitteln. Es ist daher nicht auszuschließen, dass dieser finanzielle Anreiz einen starken Einfluss auf das Beratungsverhalten und indirekt auf die Entscheidungen der Kunden hat.

Christian Pfarr

Der Versuch, die Höhe der Berater-Einkünfte genauer zu taxieren, nimmt im Streit um die Riester-Rente beträchtlichen Raum ein, auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass es wegen der Verteilung der Abschlussprovisionen auf zehn Jahre noch dauern wird, bis verlässliche Einschätzungen vorgenommen werden können. Das gilt selbstredend für das gesamte Vorsorgekonzept, das trotz der staatlichen Begleitung von den Risiken der wirtschaftlichen Entwicklung und den Berg- und Talfahrten der Finanzmärkte abhängig ist.

Immerhin stützt auch die Stiftung Warentest die These, Bankberater und Versicherungsvermittler würden ihre Kunden "oft" nicht optimal beraten und sich vorwiegend für ihre eigenen Provisionen interessieren. 2011 kam eine Stichprobe der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis, die Altersvorsorge-Beratung für junge Leute sei "durchweg desaströs", und selbst die Bundesregierung mag nicht mehr ausschließen, dass es "neben vielen guten und seriösen auch schlechte, kundenunfreundliche, kaum durchschaubare Angebote" gibt.

Die Zahl der gesamten Vertragsabschlüsse zeigt denn auch nur eine Seite der Medaille. Den Anteil der "ruhend gestellten" Riester-Verträge, für die aktuell keine Beitragszahlungen geleistet werden, schätzt die Bundesregierung auf 18,5 Prozent.

Rente im Wahlkampf

Unser Ziel war es, durch ein steuerlich gefördertes Zusatzangebot den Menschen im unteren und mittleren Einkommensbereich höhere Renten zu ermöglichen. Dieses Ziel haben wir mit der Riester-Rente nicht erreicht. Das sollten wir als Partei ganz offen sagen.

Hilde Mattheis (SPD), 18.02.2012

Vorerst sagt die Partei von Frau Mattheis wenig zu diesem Thema, denn die Positionierung in der Rentenfrage könnte sich entscheidend auf die wichtigen Wahlen des Jahres 2013 auswirken. Mit dem Begriff "Solidar-Rente" hofft die SPD, wenig falsch zu machen, und dann wird man sehen, ob eine Präferenz für die betriebliche Altersvorsorge Auswirkungen auf die Fördertöpfe der Riester-Rente hat.

In der Zwischenzeit wirbt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schon einmal für ihr eigenes Rentenpaket, das multifunktional alle Probleme auf einen Schlag lösen soll.

Das vorgelegte Gesamtpaket hilft der Wirtschaft in der Krise, sorgt für einen gerechten Ausgleich zwischen Jung und Alt im demografischen Wandel, und verhindert, dass Menschen in der Altersarmut landen, die sich um die Älteren und die Kinder kümmern.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 7.8.2012

Die anvisierte Absenkung des Beitragssatzes für die allgemeine Rentenversicherung um 0,6 Beitragssatzpunkte ist aber nicht nur innerhalb der Koalition umstritten. Kritiker sehen in den Plänen einen erneuten Versuch, die gesetzliche Rentenversicherung zu schwächen und den Staat aus der Verantwortung zu nehmen.

Die gesetzliche Rentenversicherung muss so im Jahr 2013 auf rd. 7,2 Mrd. Euro verzichten. Weitere Folge des Absenkens des Beitragssatzes wäre, dass die Rentenversicherung vom Bund im Jahr 2013 0,37 Mrd. € weniger Beiträge für Kindererziehung erhält (…) Diese Maßnahme ist keine echte Entlastung der Arbeitnehmer/innen, sondern ausschließlich der Arbeitgeber/innen. Weniger finanzielle Mittel der gesetzlichen Rentenversicherung bedeuten zugleich weniger Leistungen und mehr Armut im Alter.

Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di, 21.8.2012

Solange die Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung vorsätzlich infrage gestellt wird und der Effekt der Riester-Rente bestenfalls so unsicher ist wie in den vergangenen zehn Jahren, wird das Thema alle Betroffenen weit über 2013 hinaus beschäftigen.

Die ganz zentrale Herausforderung der kommenden Jahrzehnte bleibt, für eine nachhaltige Finanzierung des Alterssicherungssystems zu sorgen.

Andreas Storm (CDU), saarländischer Sozialminister, 14.08.2012

Die Volkswirtschaftler aus Bayreuth empfehlen den politischen Akteuren bis dahin, die Bevölkerung "viel umfassender als bisher" über sämtliche Möglichkeiten der Altersvorsorge zu informieren. Sie plädieren insbesondere für öffentliche Informationsangebote, "die nicht einseitig interessengeleitet sind".